Dorothy und der Scheuch wanderten die Straße entlang, die mit der Zeit immer unebener wurde. Toto und Dorothy wichen den Löchern in der Straße aus oder stiegen über hervorstehende Steine hinweg, aber der Scheuch, ohne Sinn und Verstand, lief einfach immer geradeaus und stolperte andauernd. Geduldig hob Dorothy ihn immer wieder auf, und der Scheuch lachte über sein Missgeschick, da er ja keine Schmerzen empfinden konnte.
Immer seltener sahen die Wanderer Häuser oder Farmen am Straßenrand. Es gab auch keine Zäune mehr, die den Weg säumten. Gegen Mittag rasteten sie an einer kleiner Quelle. Dorothy holte das Brot aus dem Korb hervor und bot dem Scheuch etwas davon an. „Nein, danke. Ich esse nie“, wehrte der Scheuch ab. „Sieh doch, mein Mund ist nur gemalt. Würde ich ihn aufschneiden, um essen zu können, dann würde das ganze Stroh herausfallen und meine Kopfform wäre ruiniert.“ „Oh, ich verstehe“, antwortete Dorothy und lachte. Dann aß sie ihr Brot allein, und nur Toto bekam hin und wieder einen Bissen. „Erzähl mir doch etwas über dich“, bat der Scheuch. „Erzähl mir etwas über Kansas.“ Dorothy erzählte ihm von der Prärie, den trockenen Winden, dem Staub und davon, dass alles grau war.
Schließlich erzählte sie ihm von dem Wirbelsturm, der sie in das Land Oz getragen hatte. Der Scheuch hörte aufmerksam zu und meinte:“ Ich verstehe nicht, warum du nach Kansas zurück willst, wenn es dort so grau und trocken und öde ist. Bleib in Oz, hier ist es doch schön!“ „Das verstehst du nicht, weil du keinen Verstand hast“, versetzte Dorothy. „Es ist mir völlig gleich, wie grau und trocken es in Kansas ist. Kansas ist meine Heimat, dort leben die Menschen, die ich liebe. Es kann anderswo so schön sein, wie es will - am besten ist es doch zu Hause.“
Der Scheuch sah Dorothy an. „Du hast Recht. Ich habe keinen Verstand und bin nur mit Stroh ausgestopft. Deshalb kann ich es nicht verstehen. Wenn alle so dumm wären wie ich, würden wahrscheinlich alle an den schönen Orten leben und niemand mehr an einem so grauen und trockenen Ort wie Kansas.“ „Erzähl’ du mir doch eine Geschichte, während wir uns ausruhen“, bat Dorothy.
Der Scheuch sah sie ein wenig verzweifelt an. „Was soll ich dir erzählen? Ich habe noch nichts zu erzählen, denn mein Leben hat doch erst vorgestern begonnen. Was davor auf der Welt geschehen ist, weiß ich nicht. Also, das erste, was der Farmer machte, als er mich zusammenbastelte, waren meine Ohren. Er malte ein Ohr auf meinen Kopf, und schon konnte ich alles hören. Er malte auch das zweite Ohr und fragte dann einen anderen Käuer, wie er die Ohren fände. ‚Ein bisschen schief!’ sagte der andere Käuer. Aber mein Farmer sagte, Ohren seien Ohren, und so blieben meine Ohren ein bisschen schief.“ Dorothy betrachtete die Ohren des Scheuchs und lächelte. „Erzähl’ weiter!“
„Als nächstes malte der Farmer meine Augen. Ich konnte alles sehen. Den Farmer, den anderen Käuer, das Zimmer, in dem ich lag. Dann kamen Mund und Nase. Die Männer stopften meine Kleider aus und setzten meinen Kopf auf den Körper. Ich war so stolz, denn ich dachte, jetzt sei ich ein richtiger Mann. ‚Schau nur, er sieht fast aus wie ein Mann’, sagte mein Farmer. ‚Er ist ein Mann’, sagte der andere. Mein Farmer packte mich und trug mich auf das Feld hinaus. Dort steckte er mich auf den Stab, an dem du mich gefunden hast. Der Farmer und sein Freund gingen fort und ließen mich allein.“ Der Scheuch seufzte tief.
„Sie gingen einfach fort, und es war so furchtbar, dort draußen allein zu bleiben. Ich wollte ihnen hinterherlaufen, aber meine Füße berührten den Boden nicht. Ich steckte fest auf dem Stab und konnte nirgends wohin. Es war schrecklich. Dann kamen die Vögel, Krähen und auch andere Tiere. Aber als sie mich sahen, flogen sie schnell wieder davon. Sie dachten, ich sei ein Käuer. Das machte mich wieder froh, und ich dachte, ich sei eine wichtige Person. Bis eine alte Krähe kam. Sie flog dicht heran und setzte sich auf meine Schulter. Sie sah mir in die Augen und sagte: ‚Ich wusste, dass der Farmer uns hereinlegt. Aber jede Krähe mit Verstand sieht, dass du nur eine Vogelscheuche bist und nichts weiter. Du kannst nichts tun, denn du bist nur mit Stroh ausgestopft.’ Sie hüpfte von meiner Schulter und fing an, das Korn aufzupicken.“
„Das war aber nicht nett von der Krähe“, warf Dorothy ein. Der Scheuch beachtete sie nicht und erzählte voller Kummer weiter: „Als die Vögel sahen, dass der alten Krähe nichts geschah, kamen sie in Schwärmen und fielen über das Kornfeld her. Sie pickten und hackten, dass mir angst und bange wurde. Ich war eine schlechte Vogelscheuche! Schließlich kam die alte Krähe zu mir zurück. ‚Gräm’ dich nicht. Wenn du ein bisschen Verstand hättest, wärest du genauso gut wie alle anderen und besser als einige von ihnen. Das Wichtigste ist eben, ein bisschen Verstand zu haben. Ganz egal, ob du ein Käuer, eine Krähe oder eine Vogelscheuche bist!’ Ich habe viel darüber nachgedacht und mich entschieden. Ich will Verstand haben. Was auch immer ich dafür tun muss. Ich will einen Verstand haben und nicht mein Leben lang der Strohkopf bleiben. Ich hatte Glück. Du bist gekommen und hast mich von meiner Stange gehoben. Und jetzt sind wir auf dem Weg in die Smaragdstadt, damit ich ein wenig Verstand bekomme.“
„Hoffentlich klappt das auch.“, sagte Dorothy ernst. „Ich wünsche es dir wirklich. Und du kannst wohl an nichts anderes mehr denken.“ „Genau. Es ist schrecklich, zu wissen, dass man ein Dummkopf ist.“ „Dann lass uns weitergehen.“ Dorothy erhob sich, und die kleine Gesellschaft wanderte weiter. Das Land wurde immer rauer und unwegsamer, und als es Abend wurde, kamen sie an einen großen dunklen Wald. Der Weg mit den gelben Ziegelsteinen führte direkt hinein. „Nun, wenn der Weg hier in den Wald hineinführt und am anderen Ende die Smaragdstadt liegt, muss der Weg ja auch wieder aus dem Wald herausführen“, überlegte der Scheuch laut. „Das ist ja wohl klar“, antwortete Dorothy. „Entschuldige.“, bat der Scheuch. “Du weißt, dass ich einen Kopf voller Stroh habe. Ich kann nur Dinge sagen, für die man keinen Verstand braucht.“
Sie gingen weiter, aber die Dunkelheit sank rasch auf das Land, und bald konnte Dorothy nichts mehr sehen. „Scheuch, wenn du ein Haus oder eine Hütte oder etwas anderes siehst, wo wir übernachten können, dann sag Bescheid.“ Der Scheuch nickte und sie stolperten weiter. Schließlich entdeckte der Scheuch ein kleines Häuschen. Sie klopften, aber niemand öffnete. „Es ist unbewohnt“, verkündete der Scheuch, nachdem er sich vorsichtig in das Häuschen hineingeschlichen hatte. „Es gibt eine Raststatt aus Reisig und Zweigen.“ „Wunderbar“, seufzte Dorothy. Sie ging hinein und ließ sich gleich auf das Reisig fallen. Sie war todmüde. Während Toto und Dorothy in tiefen Schlummer sanken, lehnte der Scheuch, der niemals müde war, in einer Ecke und wartete geduldig auf den Morgen.