Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur Sendung "Typisch Helene". Heute ist der 12. Oktober, und ich begrüsse Sie zur 60. Sendung. Es ist schon wieder ein kleines Jubiläum, schon wieder eine runde Zahl, die es eigentlich zu feiern gilt. Aber – da wir nicht alle zehn Male die Champagnerkorken knallen lassen können, tauchen wir jetzt einfach gleich in die heutigen Themen ein. Zuerst geht es um die erneuten Diskussionen ums Rauchen in der Schweiz, danach erzähle ich Ihnen das Neuste von den SBB, den Schweizerischen Bundesbahnen, und zum Schluss geht es noch um die Tücken [1] eines Zeitungsstapels. Wenn Sie bereit sind, bin ich es auch, liebe Zuhörer. Also, legen wir los!
Die Berichte und Kommentare in den Medien sind längst weniger geworden. Aber in der Bevölkerung gibt die Abstimmung, die vor gut zwei Wochen über die Bühne gegangen [2] ist, noch immer zu reden. Vielleicht haben Sie das Thema mitverfolgt, liebe Zuhörer. Es ging um ein verschärftes Rauchergesetz. Schon vor gut zwei Jahren haben wir Schweizer über ein Rauchergesetz abgestimmt. Damals ging es darum, das Rauchen in Bars und Restaurants sowie in öffentlichen Gebäuden, wie etwa in Schulen und Spitälern, zu verbieten. Diese Abstimmung ist vom Volk angenommen worden. Nur, da die Schweiz föderalistisch regiert wird, das heisst, da jeder Kanton seiner eigenen Gesetzgebung folgt, ist das Rauchergesetz von Kanton zu Kanton unterschiedlich streng: In Zürich, zum Beispiel, darf in keiner Bar und in keinem Restaurant mehr geraucht werden. In Luzern hingegen, ist das Rauchen erlaubt, wenn das Lokal nicht grösser ist, als 80 Quadratmeter. So ist es mir einige Male passiert, dass ich in Luzern in einem hübschen, kleinen Café etwas trinken wollte, dann aber vor lauter Rauch sofort wieder geflüchtet bin. Uii, wie habe ich jeweils geschimpft: "In Zürich kann ich einen Kaffee trinken, ohne in Zigarettenrauch zu ersticken, aber hier, in Luzern, habe ich diese Freiheit nicht! Wie seid ihr doch rückständig. Seid ihr euch eigentlich bewusst, was für eine Kundin ihr deswegen verliert? Ich hätte hier jetzt nämlich mindestens drei Tassen Cappuccino getrunken und erst noch ein Stück Kuchen gegessen!" So habe ich also gewettert [3], aber es hat natürlich nichts genützt. Denn Gesetz ist Gesetz. Zudem gibt es in der ganzen Schweiz so genannte Fumoirs, Räume für Raucher, die in manchen Restaurants bedient sind, in anderen nicht. Viele Fumoirs sehen denn auch eher aus wie Glaskäfige [4], in denen Menschen sitzen, die keinen anderen Genuss zu kennen scheinen, als an der Zigarette zu saugen. Andere hingegen, sind mit Plüschsesseln und schönen Tischen eingerichtet, und die Raucher werden vom Servicepersonal bedient. Genau dies sollte nun mit der neusten Abstimmung verboten werden. Ebenso das Rauchen in Einzelbüros und in der Öffentlichkeit, das heisst, vor Restaurants, Firmengebäuden oder an Bahnhöfen. Ich habe natürlich Ja gestimmt, denn es nervt mich, wenn ich verqualmt [5] werde, wenn ich aufs Tram oder auf den Zug warte. Und ich ärgere mich sehr, wenn ich sehe, dass die meisten Raucher ihre Zigarette einfach auf die Strasse oder aufs Gleis werfen. Zudem möchte ich in der ganzen Schweiz in ein Café gehen können, ohne von Zigarettenrauch belästigt zu werden. Aber – wie Sie sicher erfahren haben, ist dieses neue Gesetz abgelehnt worden, und zwar wuchtig [6]. Ich glaube, 66 Prozent der Menschen, die abgestimmt haben, haben Nein gesagt. Das hat mich ehrlich gesagt, überrascht. Ich hätte gedacht, dass sehr viel mehr Menschen nicht mehr vom Rauch gestört werden wollten. Aber was mich dann wirklich geärgert hat, waren die Schlagzeilen in den Zeitungen: "Die Schweiz wehrt sich gegen Raucher-Taliban" las ich irgendwo. Oder: "Die Schweizer wollen keine Zwängerei [7]!" Oder: "Die Schweizer haben sich für die persönliche Freiheit entschieden!" Taliban, Zwängerei, persönliche Freiheit – ich habe den Kopf geschüttelt. Diese Reaktion kommt immer, wenn es um neue Vorschriften geht. Schweizer fühlen sich nämlich sehr schnell mal in ihrer persönlichen Freiheit bedroht.
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Nun fragen Sie sich sicher, warum das so ist, liebe Zuhörer. Und ja, das ist eine gute Frage: Warum fühlen sich Schweizer so schnell in ihrer persönlichen Freiheit bedroht? Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass wir so viele sind in einem so kleinen Land. Immerhin sind wir schon acht Millionen. Und das ist ein Rekord. So viele waren wir noch nie. Und wenn ich abends, um 18 Uhr auf den Zug renne und fast in der Menschenmenge untergehe, habe ich wirklich das Gefühl, dass die Schweiz bald aus allen Nähten platzt [8]. Womit wir fast schon bei unserem nächsten Thema wären. Denn nun schauen wir uns an, was die SBB wieder so Neues machen. Und das ist einiges: Vor kurzem haben die SBB in Zürich eine Testfahrt mit einem 400 Meter langen Zug gemacht. Ja, Sie haben richtig gehört: 400 Meter! So lange, nämlich werden die Züge sein, die ab 2015 zwischen St. Gallen und Genf, zwischen Romanshorn und Brig und zwischen Konstanz, Zürich und Luzern eingesetzt werden. Gut 1400 Passagiere werden sie transportieren, so viele, wie noch nie zuvor. Klar, dass man üben muss, einen solch langen Zug in den Bahnhof zu fahren und rechtzeitig zu bremsen. Und Gott sei Dank hat man diese Testfahrt gemacht, denn sie hat sehr interessante Ergebnisse hervor gebracht. Erstens, hat man herausgefunden, dass der Lokomotivführer mit so einem langen Zug sehr langsam in den Bahnhof einfahren muss, um ihn genau anhalten zu können. Das ist zwar nichts als logisch, die SBB befürchten nun aber, dass sie dadurch pro Halt etwa 20 Sekunden verlieren. Zeit, die man im täglichen Zugbetrieb nicht hat. Zudem hat man bei dieser Testfahrt gesehen, dass die Ingenieure vor lauter Zugkonstruieren den Eingang für den Lokomotivführer vergessen haben. Das heisst, dass sich der Lokomotivführer durch die Passagiere drängen muss, um in seinen Führerstand zu kommen. Was bei den vielen Passagieren dann jeweils sicher noch viel mehr als 20 Sekunden dauern wird. Hmm, schwierig, schwierig. Da kann ich nur sagen: Vielleicht wäre es nun an der Zeit, sich weniger Gedanken über Sekunden zu machen, sondern einfach noch ein paar Eingänge für die Lokomotivführer zu bauen.
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Und nun zum Schluss noch eine weitere kleine skurrile [9] Geschichte aus der Schweiz, liebe Zuhörer. Wie Sie wissen, sind wir Schweizer Weltmeister im Wiederverwerten von Rohstoffen, auf Neudeutsch auch "Recyclen" genannt. Wir recyclen Aluminium, Pet-Flaschen, Glasflaschen, Batterien, Glühbirnen und natürlich auch Zeitungspapier. Bei mir im Quartier ist jeden zweiten Freitag Papiersammeltag. Das heisst, wir bündeln die Zeitungen zu sauberen Stapeln, verschnüren sie mit Packschnur und stellen sie vor acht Uhr morgens an den Strassenrand. Immer, wenn ich die perfekt geschnürten Pakete sehe, muss ich schmunzeln. Ich glaube, es gibt kein besseres Symbol für die Ordnungsliebe der Schweizerinnen und Schweizer, als eben diese Zeitungsbündel. Natürlich mache auch ich schöne Bündel, obwohl ich handwerklich nicht sehr begabt bin, und meine Bündel immer aussehen, als wären sie eben aus dem Fenster geworfen worden. Aber egal.
Ich bemühe mich, das ist die Hauptsache. Irgendwann hatte ich nun irgendwo mal gelesen, dass man keinen Karton mit den Zeitungen bündeln soll. Aber irgendwie hatte ich das vergessen und legte meine Zeitungen auf einen kleinen Karton. Der Karton hatte dieselbe Grösse wie die Zeitungen, das war kein Wunder, er hatte schliesslich als Verpackung eines Magazins gedient. Deshalb erschien es mir auch nur logisch, diesen Karton als Grundlage meines Bündels zu nehmen. An jenem Freitagmorgen stellte ich mein Bündel also brav an den Strassenrand und fühlte mich sogar ein kleines bisschen stolz auf mich selbst. Als ich dann am Abend nach Hause kam, waren alle Zeitungsstapel verschwunden, ausser einem kleinen Stück Karton. Zuerst beachtete ich es nicht, dachte nur, jemand hätte ein Stück Karton verloren. Doch als ich näher kam, erkannte ich – dass es mein Karton war. Der Karton, den ich als Unterlage für meine Zeitungen benutzt hatte. Ich konnte es kaum fassen: Da hatte sich also jemand die Mühe gemacht, den Karton aus meinem Zeitungsbündel herauszunehmen. Vielleicht hatte er den Stapel dafür sogar aufmachen müssen. Uff, welche Arbeit! Aber, warum hatte man den Karton auf dem Trottoir liegen gelassen? Warum hatte man die Zeitungen mitgenommen, gleichzeitig aber Abfall produziert? Fragen über Fragen, die ich in meinem Kopf hatte. Aber dann, dann verstand ich: Es war eine Strafe. Man hatte den Karton demonstrativ liegen gelassen, um mir mitzuteilen, dass ich ihn nie hätte mit den Zeitungen bündeln dürfen. Ich seufzte, senkte den Kopf, hob den Karton auf und nahm ihn wieder mit in meine Wohnung. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass irgendwann auch Kartonabfuhr sein würde. Aber dafür müsste ich dann auch alle Kartons bündeln, die in meinem Keller stehen. Und dafür würde ich lange Zeit keine Lust haben. Damit würde ich warten bis zur nächsten Grippe.
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1 die Tücken: die Schwierigkeiten
2 über die Bühne gehen: geschehen
3 wettern: schimpfen
4 der Glaskäfig: Raum oder Käfig aus Glas
5 verqualmt werden: von Rauch belästigt werden
6 wuchtig: kräftig
7 die Zwängerei: etwas erzwingen wollen
8 aus allen Nähten platzen: explodieren
9 skurril: lustig, ungewöhnlich