Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Heute ist der 4. Mai, ich begrüsse Sie ganz herzlich zur Sendung "Typisch Helene". Das letzte Mal haben wir ja ausführlich die 50. Sendung gefeiert. Jetzt sind wir mit der Sendung Nummer 51 sozusagen wieder in der Normalität zurück, fast sogar in der Tagesaktualität. Denn ich erzähle Ihnen gleich als erstes, was ich am letzten Freitag Abend erlebt habe, als ich nach Hause fuhr. Das war so speziell, dass ich ausnahmsweise gleich zwei Kapitel daraus mache. Und zwar geht es um die Tasche in Wodka und Raucher im Tram. Und danach berichte ich Ihnen noch, wie letztes Mal angekündigt, von der Frauenquote in der Schweiz. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
Ein Unglück kommt selten allein, sagt ein Sprichwort. Und wenn ich auf den letzten Freitag Abend zurückblicke, dann kann ich das nur bestätigen. Es ist natürlich nichts wirklich Schlimmes passiert, sonst würde ich jetzt nicht mit einem Lächeln im Gesicht davon erzählen. Aber, es war halt schon ziemlich ärgerlich. Am letzten Freitag Abend war ich mit einer Freundin essen. Wir haben sehr fein gegessen und uns super unterhalten, aber als wir uns von einander verabschiedeten, war ich sehr müde. Ich ging um etwa halb zwölf Uhr aufs Tram und hatte nur einen Wunsch: ab ins Bett. Ich sass vorne im Tram und bin wohl sogar eingeschlafen. Da hörte ich plötzlich einen Riesenlärm: Etwa zehn junge Leute sind ins Tram hereingekommen. Die Jungs setzten sich in den Reihen vor mich hin, die Mädchen hinter mich. Die Mädchen kreischten und lachten und scherzten mit den Jungs. Irgendwann sah ich, dass einige von ihnen Plastikbecher mit einem roten Getränk in den Händen hielten. Ich beachtete das aber nicht weiter, dafür war ich zu müde. Aber plötzlich beugte sich eines der Mädchen ausgelassen [1] über meinen Sitz - und leerte den ganzen Inhalt ihres Bechers über mich und meine Tasche. Ich war augenblicklich hellwach. Das Mädchen und ihre Freundinnen schwiegen erschreckt und starrten mich an. Ich war natürlich zuerst total verblüfft [2], wurde dann aber immer wütender und versuchte, die rote Flüssigkeit von meinen Hosen und meiner Tasche zu wischen. "Oh, Sie! Es tut mir so leid!", sagte das Mädchen, das mich geduscht hatte. "Sorry, gell." Ich blickte es böse an: "Sieh dir mal meine Tasche an, alles nass und rot. Wie um Himmels Willen soll ich das jetzt wieder sauber bringen?" - "Hey, das ist kein Problem, echt. Glauben Sie mir. Putzen Sie die Tasche einfach mit Wasser und Nagellackentferner. Wissen Sie, mir hat auch schon mal jemand roten Wodka über meine Tasche geleert, und ich habe sie so wieder sauber bekommen." Roter Wodka! Ich kochte vor Wut [3]. "Das kann dich teuer zu stehen kommen, echt! Sag mal, in welche Schule gehst du?" - "In die EVF [4]", sagte das Mädchen kleinlaut [5]. "Ouuu, pass auf, jetzt hast du eine Klage am Hals [6]", flüsterte ihr ein Junge zu. Das Mädchen schaute mich an und wusste nicht, ob es lachen oder weinen sollte. "Wenn ich meine Tasche nicht sauber bringe, komme ich dich in der Schule besuchen", drohte ich und stieg aus dem Tram. Ich war so sauer, dass es mich sogar selber überraschte. Normalerweise bin ich nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Aber schlechtes Benehmen kann ich einfach nicht ausstehen [7].
***
Aber, ich bin noch viel wütender geworden, als ich dann einige Minuten später ins nächste Tram stieg: Ich bemerkte nämlich sofort, dass der ganze Wagen voller Rauch war und erst noch stark nach Haschisch stank. Puh! Ich konnte es einfach nicht glauben! Rauchen im Tram ist ja streng verboten, und da hingen also so ein paar Buben vorne im Wagen herum und sogen frech an ihren Zigaretten. Und das Schlimmste war: Niemand sagte etwas. Alle anderen Passagiere sassen stumm auf ihren Plätzen und starrten vor sich hin. Einige lächelten verlegen [8], rührten sich aber nicht. Ich ging durch den Wagen zu den Buben hin. "Spinnt ihr eigentlich?", schrie ich, denn die Fenster waren offen, und das Tram rumpelte laut. "Seht ihr nicht, dass ihr den Wagen total verqualmt [9]? Ihr wisst doch, dass Rauchen im Tram verboten ist." Die Buben schauten mich erstaunt an und grinsten. "Ach du, sei doch ruhig du!" Einer bliess mir den Rauch herausfordernd ins Gesicht. Aber ich liess mich nicht beirren [10]. "Jungs, ihr müsstet es doch eigentlich besser wissen. Ihr könnt doch kaum so dumm sein, wie ihr jetzt gerade ausseht, oder?" Die Buben grölten [11] und sogen noch kräftiger an ihren Zigaretten. "Okay, wie ihr wollt. Ich gehe dann halt zum Chauffeur und melde ihm das!" - "Tu es doch, du Schlampe", schrien die Jungs und lachten. Da stoppte das Tram an einer Haltestelle, ich drückte auf den Knopf, stieg aus und eilte zum vorderen Wagen. Doch dann geschah es: Ich drückte auf den Türknopf - aber das Tram war bereits wieder für die Weiterfahrt geschlossen. Ich stand also draussen und musste zusehen, wie das Tram langsam weiterfuhr. Einfach ohne mich. Die Buben hingen zum Fenster hinaus und lachten sich kaputt. Und ich stand da wie ein begossener Pudel [12]. Erst die Tasche, und nun das. Aber wissen Sie was? Ich ärgerte mich nicht einmal so sehr darüber, dass ich mich eben blamiert hatte, sondern wartete gelassen auf das nächste Tram. Denn immerhin hatte ich gewagt [13], etwas zu sagen, hatte ich gewagt, gegen das schlechte Benehmen der Jungs zu protestieren und habe nicht einfach geschwiegen und weggesehen. Denn Schweigen und Wegsehen ist viel schlimmer, als sich mal ein bisschen lächerlich zu machen.
***
Und nach diesen beiden action-geladenen Teilen kommen wir nun zu unserem zweiten Thema, liebe Zuhörer. Es ist zwar weniger action-geladen, aber nicht weniger spannend: Es geht um die Frauenquote. Wie Sie vielleicht wissen, bezeichnet der Begriff Quote grundsätzlich den Anteil eines Bestandes [14]. Zum Beispiel den Anteil Ausländer in einem Land, oder eben den Anteil Frauen in einer Regierung, einer Partei, in Firmen oder in Institutionen wie eben dem Militär. Ich bringe dieses Thema jetzt auf, weil wir in unserem Magazin eine Initiative lancieren wollen, um den Anteil von Frauen in Chefpositionen in Firmen zu fördern. Wir wollen, dass etwa 30 Prozent der Führungspersonen in der Schweiz weiblich sind. Denn es ist Tatsache, dass in der Schweiz nur etwa zehn Prozent aller Unternehmen Frauen in leitenden Positionen haben. Und das ist natürlich zu wenig. Denn es geht nicht nur darum, dass Frauen und Männern dieselben Chancen haben. Sondern es geht auch darum, dass Firmen, die mindestens drei Frauen in der Unternehmungsführung haben, viel besser wirtschaften. Das heisst: Diese Firmen verdienen mehr, haben kreativere Ideen und haben intern erst noch eine bessere Stimmung. Natürlich sagen jetzt viele Firmenchefs, dass sie keine Frauen finden, die eine Chefposition wollen. Oder dass Frauen sowieso ausfallen, wenn sie Kinder bekommen. Oder dass es einfach zu wenig Frauen gibt, die fähig sind für einen solchen Job. Das kann vielleicht alles stimmen. Aber es ist auch Tatsache, dass die meisten Frauen, die eine Ausbildung abschliessen, die besseren Noten haben, als ihre männlichen Kollegen. Wo also, sind die alle? Tatsache ist, dass viele Frauen nur noch Teilzeit arbeiten wollen oder können, wenn sie Mutter geworden sind. Auch deshalb, weil die meisten Firmen noch immer keine Betreuungsplätze für Kinder anbieten.
Wieso lässt sich das nicht ändern? Tatsache ist, dass sehr viele Chefs bei weitem nicht gut genug sind für den Job, den sie machen - aber Chefs geworden sind, weil sie gute Kontakte haben und genau wissen, wie sie die pflegen müssen. Da müsste man in Zukunft genauer hinsehen. Tatsache ist, dass auch Männer Kinder bekommen, für die sie die Verantwortung übernehmen müssen. Doch haben Studien gezeigt, dass 60 Prozent der Schweizer Männer die Kinderbetreuung ganz ihren Frauen überlassen, anstatt aktiv mitzuhelfen. Das gilt es zu verändern. Und hierbei könnte die Einführung einer Frauenquote helfen. Viele, auch Frauen, befürchten nun natürlich, dass eine Quote eher kontraproduktiv sein könnte, weil die Firmen dann einfach Frauen einstellen müssten, selbst wenn die nicht gut genug sind. Oder, dass die Frau dann als "Quotenfrau" betrachtet wird. Dazu kann ich nur sagen: Falls in der Schweiz tatsächlich eine Quote eingeführt wird, müssen auch die Frauen Gas geben. Sie dürfen nicht einfach studieren gehen und dabei den Gedanken im Hinterkopf haben, dass sie danach sowieso heiraten und keine Karriere machen wollen. Das geschieht nämlich immer noch. Und Firmen und Unternehmen müssen Frauen einstellen WOLLEN, es muss ihnen darum gehen, Männer UND Frauen in ihren Teams zu haben. Und dazu gehört dann auch, die Voraussetzungen [15] zu schaffen, dass Frauen, die Kinder haben, in der Firma bleiben können. Zudem müssen die Männer dazu aufgefordert werden, sich stärker an der Kinderbetreuung zu beteiligen. Denn schlussendlich geht es bei dieser Quote darum, einen fairen Wettbewerb für alle zu ermöglichen, um dadurch die Wirtschaft zu anzukurbeln [16]. Das ist doch eigentlich logisch und heute nötiger denn je, oder? Was sagen Sie dazu, liebe Zuhörer? Schreiben Sie mir! Ihre Meinung zu diesem Thema interessiert mich.
***
[1] ausgelassen: fröhlich, wild
[2] verblüfft: überrascht
[3] vor Wut kochen: sehr wütend sein.
[4] EVF: eine Berufsschule
[5] kleinlaut: ängstlich
[6] eine Klage am Hals haben: eine Klage bekommen
[7] nicht ausstehen können: nicht ertragen können
[8] verlegen: peinlich berührt
[9] verqualmen: mit Rauch füllen
[10] beirren: aus dem Konzept bringen
[11] grölen: frech lachen
[12] wie ein begossener Pudel: von der Situation überrascht
[13] wagen: den Mut haben
[14] der Bestand: die volle Menge
[15] die Voraussetzung: die Bedingung
[16] ankurbeln: beschleunigen, verbessern
[17] schmunzeln: lächeln
[18] das Wehwehchen: kleiner Schmerz