Der Boden bei Berlin war schlecht, doch am 28. Mai 1893 gründete trotzdem eine Handvoll Idealisten "Eden", die erste genossenschaftlich organisierte Obstbau-Kolonie Deutschlands.
Das Leben im Paradies hat mitunter fatale Folgen. Besonders, weil dort traditionsgemäß ein Apfel eine große Rolle spielt. Lange jedenfalls hat es der Mensch im biblischen Garten Eden nicht ausgehalten. Anders sieht es freilich aus für all diejenigen, die nachhaltig auf Apfelsaft setzen - und auf natur-belassenes Dunstobst, auf schonend verarbeitete Konfitüre und gesunde Marmelade. Für sie trägt der Garten Eden auch heute noch Früchte. Von Vertreibung also keine Spur.
"Äppel koofen"
Die Rede ist von der Lebensreform-Siedlung "Eden", der ersten genossenschaftlich organisierten Obstbau-Kolonie Deutschlands: Eine Handvoll vegetarischer Gesinnungsgenossen treibt der Wunsch nach Rückkehr zur Natur, nach gemeinschaftlich genutzten Böden und nach Fruchtsaft: Das Experiment mit dem verheißungsvollen Namen startet am 28. Mai 1893 mit der Gründung einer Gartenstadt im Nordwesten Berlins. Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben ist groß, die Kenntnisse in punkto Obstanbau hingegen eher gering. So kommt es, dass die Stadtflüchtlinge, Kapitalismuskritiker und Idealisten ihre Siedlung ausgerechnet im brandenburgischen Oranienburg bauen. Auf dem sandigsten aller Böden, vom dem der kundige Landwirt verächtlich sagt, man müsse sich schon drauflegen, sonst blase ihn der Wind zum nächsten Nachbarn.
Für die pflastermüden Vegetarier beginnt das Paradies also mit schwarzen Fingernägeln. Doch den Edenern ist das Schicksal hold, und der Apfelsaft scheint zu schmecken: Schon um die Jahrhundertwende listet das Inventar 15.000 Obstbäume, 50.000 Beerensträucher, 3.000 Haselnusssträucher, 200.000 Erdbeerpflanzen und 20.000 Rhabarbersträuche. Was den Selbstversorgern übrig bleibt, wird verkauft. Die Produktmarke mit den drei stilisierten Bäumen ziert bald auch Gemüsesäfte aus Tomaten und Sauerkraut und schließlich - der Reform-Schlager überhaupt - die allererste pflanzliche Margarine.
Wer Boden, Alltag und Zukunft mit Gleichgesinnten teilt, der hat offenbar gute Laune. Selbst ohne Fleisch, ohne Tabak und Alkohol: Kriminalität ist unbekannt. Die Berliner Gendarmerie kommt nur nach Eden "wenn se Äppel koofen will."
Unter strengen Auflagen
Den kleinen Wohneinheiten in genossenschaftlicher Verwaltung folgen Kindergärten, Schulen und eine Ferienpension. Dazu eine Genossenschaftsbank, eine Poststelle und eine eigene Siedlungszeitschrift. Die Miniaturwelt ist auf Erfolgskurs: Eden überlebt zwei Weltkriege und den Nationalsozialismus. Die völkische Ideologie fällt sogar auf fruchtbaren Boden. Reibungslos lassen sich die naturverbundenen Lebensreformer gleichschalten und nehmen "Blutreinheit" in ihre Statuten auf. Die DDR macht aus den riesigen Nutzgärten dann kurzerhand einen volkseigenen Betrieb. Produziert wird ohne Idealismus, dafür aber streng nach Plan. Eden übersteht auch dies. Und noch immer leben die Edener in ihrer Kolonie unter der strengen Auflage, ihre sandigen Gärten für den Anbau von Obst und Gemüse zu nutzen.
Eden-Fruchtgelees und Eden-Fleischersatz füllen auch heute noch bundesweit die Reformhaus-Regale. Doch Soja-Hacksteak, Selleriemost und Rote Beete-Saft haben mit dem Siedlungsexperiment in Oranienburg schon lange nichts mehr zu tun. Bereits in den 1950ern wurde der Markenname mit den drei Bäumchen in den Westen verkauft und gehört jetzt einem Schweizer Pharmakonzern.
Räumungsverkauf im Garten Eden. Die Lebenskünstler sind im Paradies wieder unter sich.