Was hat Gott mit einem Karussell zu tun? Viel! Seit am 17. Mai 1620 das erste drehbare Fahrgeschäft im bulgarischen Plowdiw präsentiert wurde, kann man das bis zur Ekstase ausprobieren.
Ein jeder hegt wohl eine andere Erinnerung an das erste Kettenkarussell, das er als Kind befahren durfte. Den einen hebt es förmlich. Nicht nur in die Lüfte, auch in der Magengegend. Den anderen dagegen umweht im Geiste ein süßer Blütenduft des herannahenden Frühlings - stand so ein Karussell doch gerne während des Frühlingsfests auf dem heimischen Marktplatz. Dazu der Duft gebrannter Mandeln, das fröhliche Gekreische der Kinder und das Knirschen des Kieses beim Herunterhüpfen aus dem Sessel. In den war man mit einem Bügel oder einer Kette eingespannt, um bei den atemberaubenden Drehungen nicht hinausgeschleudert zu werden. Welch Glücksgefühl mit der Fliehkraft den Alltag zu verlassen. Oder wie Goethe es im Faust so trefflich ausdrückte:
"Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"
Es ist die Szene "Vor dem Tore", wo Kirmestreiben herrscht. Und da sind wir - bei der Kirmes, der Kirchmesse oder in Bayern auch Kirchweih genannt. Wurde im frühen Mittelalter eine Kirche eingeweiht, fand nach der Messe ein Kirchweihfest statt. Also eigentlich etwas zutiefst Religiöses. Aber die Zeiten wurden moderner, und so haben solche Anlässe manchmal auch Gaukler, Artisten und Spielleute angezogen. Aus den Kirchenfesten entwickelten sich gerne feuchtfröhliche Gelage.
Fahrgeschäft im Handbetrieb
Um auch den Kindern eine Freude zu bereiten, kamen Fahrgeschäfte dazu. Das Karussell hat seinen Ursprung in der Ferne: eine Erfindung aus der Gegend zwischen Ägäis und Schwarzem Meer. In Plowdiw, heute die zweitgrößte Stadt Bulgariens, wurde am 17. Mai 1620 das erste drehbare Fahrgeschäft präsentiert. Damals freilich noch im Handbetrieb. Also ein ähnliches Gefährt wie wir es heute von Spielplätzen her kennen. Da mühen sich Eltern ab, ihre Zöglinge auf einer horizontal drehenden Scheibe in Bewegung zu setzen bis die Kleinen vor Freude juchzen.
Gott und Karussell
Die Kirchweih, das Hochfest, das Sakrale mündete also im Profanen. Das Karussell aber, man könnte es als Bindeglied zwischen diesen beiden Gegenpolen begreifen. Denn: Auch auf dem Rummel kommt in den Sessel gepresst schnell ein Gefühl auf, in andere Sphären zu schweben. Eine Ahnung des Göttlichen, wenn es einen in großer Höhe im Kreis umherwirbelt und die Landschaft nur noch als bunte, sich ins Abstrakte auflösende Fetzen zu erkennen ist. So zumindest erklären es Soziologen, die sich wissenschaftlich mit Karussellen befasst haben. Nämlich: dass mittels technischer Apparaturen ein profan-transzendentes Erlebnis ermöglicht wird. Oder noch hochgestochener ist die Rede von einer ekstatischen Einheit, die den semantischen Komplementärbegriff bildet zu einer durch die funktional differenzierte Moderne zersplitterten Wirklichkeit. Übersetzt fürs Volksfestpublikum: Gott und Karussell spielen in derselben Liga.
Doch leider kann sich die erwähnte "ekstatische Einheit" schnell ins Gegenteil verkehren, wenn der Drehwurm auf den Magen schlägt und das Hochgefühl abrupt endet: "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt", um nochmals Goethe zu bemühen. Oder profan gesagt: Rausch und Rummel zollen am Ende ihren Tribut auf dem Klohäuschen.