Schon mit knapp 16 Jahren begann Margaret Fountaine am 15. April 1878 ihr Tagebuch zu schreiben. In späteren Jahren berichtet es, wie aus einer "alten Jungfer" eine bedeutende Schmetterlingsforscherin wurde.
Zwölf große, schwere Bände, in dunkles Leder gebunden und gefüllt mit einer steilen, akkuraten Handschrift: Über sechzig Jahre lang führte Margaret Fountaine das Tagebuch, das sie als knapp sechzehnjährige Pfarrerstochter am 15. April 1878 begann. Viel hatte sie zunächst nicht zu berichten, die unglückliche Liebe zu einem trunksüchtigen Kirchenchorsänger war lange Zeit das Aufregendste in ihrem Leben.
Das änderte sich drastisch, als sie sich ihrem dreißigsten Geburtstag näherte. Eine Erbschaft machte sie unabhängig, und Margaret Fountaine, nach viktorianischem Maßstab eine alte Jungfer, begann zu reisen: in die Schweiz, im nächsten Jahr nach Südfrankreich, Neapel und in die Toskana, ein Schmetterlingsnetz immer zur Hand. Die Engländer waren enthusiastische Hobbyforscher, und mit einem Schmetterlingskescher graziös über Sommerwiesen zu huschen, war auch für eine Lady nicht unschicklich.
Wunderbares Leben einer alten Jungfer
Für Margaret Fountaine war die Jagd nach seltenen Faltern der Schlüssel zum Abenteuer. Sie fuhr mit dem Fahrrad von der Côte d’Azur nach Venedig und durchstreifte Korsika, Sizilien und die Karpaten, den Peloponnes, Syrien und Palästina zu Pferd, zu Fuß und mit dem Rad. Das Leben einer alten Jungfer, fand sie, sei nach ihrer Erfahrung ganz wundervoll und jedem anderen unendlich vorzuziehen. Furchtlos trieb sie sich in abgelegenen Gegenden herum, fest davon überzeugt, dass die Tugend einer Frau ein unüberwindlicher Schutzschild sei.
Ihre sehr viktorianische Geisteshaltung hinderte sie auch nicht daran, sich in ihren - 15 Jahre jüngeren und verheirateten - syrischen Dolmetscher zu verlieben und die nächsten 27 Jahre in wilder Ehe mit ihm zu leben. Ihre größte Leidenschaft sei die Unabhängigkeit, bekannte sie ihrem Tagebuch.
So groß wie ihre Abenteuerlust war ihr Forscherehrgeiz, und sie wurde eine international renommierte Koryphäe der Lepidopterologie - was, wie ja jeder weiß, die Wissenschaft von den Schmetterlingen ist. Mit ihrem Lebensgefährten bereiste sie Südafrika, die Karibik, den Himalaya und Indien, und sie spezialisierte sich darauf, aus Schmetterlingseiern die Brut aufzuziehen. So erforschte sie die Entwicklungsstadien, Futterpflanzen und Lebensbedingungen vieler tropischer Arten. Heute hilft dieses Wissen Artenschützern, die Lebensräume bedrohter Spezies zu retten.
Anonymes Grab
Als der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise ihr Vermögen schrumpfen ließen, konnte sie vom Verkauf ihrer Schmetterlinge an Museen und Privatsammler leben. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten reiste Margaret Fountaine allein weiter: in den Amazonasdschungel, durch Afrika, nach Vietnam und Kambodscha und in die Karibik.
Im April 1940 brach sie auf Trinidad am Straßenrand zusammen. Ein Mönch fand sie, das Schmetterlingsnetz neben sich, und trug sie ins Kloster. Sie starb kurz vor ihrem achtundsiebzigsten Geburtstag und wurde begraben, wie sie es sich in ihrem Tagebuch ausgemalt hatte: in einem anonymen Grab, weit entfernt von der kalten Erde Englands.
Fünfzig Jahre lang war sie auf allen Kontinenten unterwegs gewesen, in ungefähr 60 Ländern. Ein ganzes Leben auf demselben kleinen Fleck in der großen Welt zu verbringen, hatte sie geschrieben, mache den Geist schwach und eng.