Franz Marc suchte nach dem vollkommenen Sein, zuerst in seinen Tierbildern, dann in der "reinigenden Kraft" des Kriegs. Er fiel bei Verdun. Am 3. April 1917 wurde er zum zweiten Mal bestattet - zu Hause, in Kochel.
Ein blaues Pferd. Ein rotes Reh. Ein gelber Stier. Franz Marc hat sie gemalt, und so sehr seine Gemälde die Zeitgenossen verstört haben, so sehr sind sie heute Gemeinplatz geworden. Seine bunten Tiere zieren Tassen, Mousepads und Schreibblöcke.
Marc wäre entsetzt, sähe er seine Kunstwerke zu Dekor reduziert. Seine Gemälde zeugten von seinem Ringen um geistige Erneuerung, sie waren der Ausdruck seiner tiefen Sehnsucht nach dem vollkommenen Sein. Um das zu finden, floh er - ein echtes Münchner Kindl - die Stadt und suchte Inspiration in der Natur. Er fand sie in der Voralpengegend um Kochel. Diese eigenartige, von Eismassen geformte Landschaft, die geheimnisvollen Moore, die steil aufragenden Wände der ersten Bergkette wurden sein magisches "Blaues Land". "Blau ist die einzige Farbe, bei der ich mich wohlfühle", hatte er einmal bekannt, und hier gab es ihm seine Umgebung im Überfluss: Der Himmel spiegelte sich in den Seen, und ein blauer Schleier schien über Wasser, Wäldern, Gebirge zu liegen.
Im benachbarten Murnau wohnte Wassily Kandinsky. Oft sah er den Malerkollegen, wie er mit Rucksack und Wanderstock durch Wiesen und Wälder streifte. Es schien ihm, als freue sich nicht nur Marc über die Natur, sondern die Natur auch über Marc.
Hier, im Tölzer Land, entstanden Marcs berühmte Tiergemälde, hier schrieb er seine Kunsttheorien.
Umso schwerer ist es nachzuvollziehen, warum dieser naturliebende und vergeistigte Mensch mit Überzeugung in den Krieg zog. Bereits wenige Tage nach der Kriegserklärung im August 1914 zog er in die Kaserne nach München und erwartete ungeduldig das Ausrücken ins Feld. Endlich ging es los, über Augsburg nach Straßburg an die Westfront. Wie viele Intellektuelle glaubte Marc an die reinigende, kathartische Wirkung des Krieges. Doch die Ernüchterung kam rasch, wie auch das Heimweh nach dem Blauen Land. Einmal, als er in einem Atlas blätterte, fiel sein Auge auf eine Karte des Voralpengebietes.
Da fand er voller Herzklopfen Kochel, Ried, Aidling, Sindelsdorf, Riegsee, Murnau. Namen, die wie aus einer längst untergegangenen Zeit zu ihm herüberklangen, einer friedvollen Zeit, als er über die Hügel zu seinem Freund Kandinsky pilgerte.
Er sollte nicht lebend in sein Blaues Land zurückkehren. Bei einem Erkundungsritt im März 1916 trafen Granatsplitter den Meldereiter Franz Marc. Seine Kameraden beerdigten ihn tags darauf unweit von Verdun.
Daheim, in Ried bei Kochel, die trauernde Witwe. Nichts war ihr geblieben, der Mann gefallen, Kindersegen hatte sich nicht eingestellt. So holte sie wenigstens die sterblichen Überreste heim, ließ Marc - noch zu Kriegszeiten - exhumieren. Am 3. April 1917 wurde der Künstler Franz Marc ein zweites Mal zu Grabe getragen, auf dem Friedhof von Kochel, in geweihter Erde, im Blauen Land.