Kulturkampf! Da gab es einen nagelneuen Deutschen Kaiser, doch die Katholiken hatten auch noch einen Papst. Bismarck bekämpfte die Katholiken, doch am 29. April 1887 ließ er ihre Ordensgemeinschaften wieder zu.
Es war ein richtiggehender Bürgerkrieg, und ausnahmsweise ging es nicht um Nationalitäten und Parlamentssitze und Steuergelder, sondern ganz altmodisch um die Weltanschauung: In ganz Preußen gab es keine einzige Ordensniederlassung mehr, alle Priesterseminare waren geschlossen, mehrere Bischöfe saßen im Gefängnis. Damals, 1873, prägte der berühmte Pathologe und linksliberale Reichstagsabgeordnete Rudolf Virchow das Wort vom "großen Culturkampf".
Nun ja, blutige Schlachten lieferte man sich nicht gerade, aber das gesellschaftliche Klima war gründlich vergiftet. Es wimmelte von Pamphleten und Denunziationen, es gab massenweise Verhaftungen und Ausweisungen. Was war eigentlich geschehen?
"Kulturexamen" für angehende Priester
Schuld an dem ganzen Spektakel war die deutsche Reichsgründung 1871 gewesen. Die führte zu einem gewaltigen nationalen Pathos und zum Misstrauen gegen jede Art von Minderheiten. Als "vaterlandslose Gesellen" sahen sich die Sozialisten mit ihren Grenzen sprengenden Friedensparolen verunglimpft, aber auch die Katholiken, denn die waren natürlich, wie jeder wusste, vom Papst im fernen Rom gesteuert. Im alten Preußen waren die obrigkeitstreuen Protestanten noch unter sich gewesen.
Doch nun kam es in dem ziemlich fragilen Gebilde "Deutsches Reich" zu massiven inneren Konflikten, für die man einen Sündenbock brauchte. Dass der Vatikan ausgerechnet zu dieser Zeit vor lauter Panik, den Kirchenstaat zu verlieren, seine Machtansprüche in die Höhe schraubte, sämtliche modernen Ideen verdammte und den Papst - unter bestimmten Bedingungen - für unfehlbar erklärte, heizte die aggressive Stimmung weiter an. Und Kanzler Bismarck brauchte ein antikatholisches Klima, um die aufstrebende Zentrumspartei zu bändigen.
Als der Vatikan ernsthaft verlangte, kirchenkritische Geister aus Schulen und Universitäten zu entfernen, schlug der Bismarck-Staat unbarmherzig zu: 1873 verdonnerte man sämtliche Priesteramtskandidaten zu einem "Kulturexamen" in Philosophie und Literatur. Jede Neubesetzung einer geistlichen Stelle konnten die Behörden blockieren, wenn gegen den vom Bischof gemeldeten Kandidaten irgendein Verdacht mangelnder Loyalität bestand. Seit 1874 konnten die Polizeibehörden solchen verdächtigen Priestern die Staatsangehörigkeit aberkennen. Im Jahr darauf wurden sämtliche Ordensniederlassungen in Preußen aufgehoben, mit Ausnahme der Krankenpflegeorden, die brauchte man noch.
"Kanzelparagraph" bis 1953
Ein Aufschrei der Entrüstung ging durch das Land. Die Bischöfe schlossen lieber ihre Priesterseminare, als sie staatlicher Aufsicht zu unterstellen. Die Anzeigepflicht bei der Neubesetzung kirchlicher Posten befolgte niemand. Die Behörden reagierten mit Geldstrafen, Entzug der staatlichen Zuschüsse, Inhaftierungen. Am Ende waren von zwölf Bischofssitzen in Preußen nur noch drei besetzt, die übrigen Oberhirten saßen im Gefängnis oder waren ins Exil geschickt worden.
Womit Bismarck allerdings nicht gerechnet hatte: Die Repressalien führten dazu, dass die Katholiken sich eng um ihre Führer scharten. Bei den Reichstagswahlen legte das Zentrum enorm zu. Es dauerte freilich noch Jahre, bis der "Kulturkampf" langsam ausblutete. In Rom wurde mit Leo XIII. ein gesprächsbereiter neuer Papst gewählt, und Bismarck brauchte das Zentrum für seine gefährdete Wirtschaftspolitik.
Die kirchenfeindlichen Gesetze wurden Schritt für Schritt zurückgenommen. Am 29. April 1887 wurden in Preußen die Ordensgemeinschaften wieder zugelassen - bis auf die Jesuiten, vorerst. Nur der Kanzelparagraph, der politisch aufrührerische Predigten mit Gefängnis bedrohte, blieb in Kraft und wurde erst 1953 vom Bundestag abgeschafft.