Am 24. April 1974 wurde Günter Guillaume, Mitarbeiter von Kanzler Willy Brandt, verhaftet - wegen Spionage für die DDR. Unglaublich, fanden damals viele - vor allem Guillaumes ahnungsloser Sohn Pierre.
Osterferien 1974. In aller Herrgottsfrüh klingelt es energisch an der Haustür. Uniformierte, Maschinenpistolen im Anschlag. Am 24. April um 6.32 Uhr - so das Protokoll - stürmen Beamte des Bundeskriminalamts über die Schwelle eines unscheinbaren Wohnhauses in Bonn Bad Godesberg. Verhaftet wird Günter Guillaume, Mitarbeiter im Büro von Kanzler Willy Brandt. Ein unerhörter Spionageskandal nimmt Fahrt auf. Zwei Wochen später tritt der Bundeskanzler zurück.
Eine Welt geht in die Brüche
An diesem Morgen kann das noch niemand ahnen - erst recht nicht der gerade 17 Jahre alt gewordene, völlig ahnungslose Sohn Pierre. Vor seinen Augen wird der Vater abgeführt. Dann stellen die BKA-Beamten das Mobiliar der Familie auf den Kopf. Im Badezimmer werden Zahnpasta-Tuben ausgedrückt und Seifenstücke durchschnitten. Das kann doch alles nur ein großes Missverständnis sein! Sogar die Tonbandkassetten aus dem Zimmer des Halbwüchsigen werden konfisziert. Pierre, der Rockfan, kaschiert seine Fassungslosigkeit: Da dürfen Sie aber keinen dransetzen, der auf Mozart steht. Das hält der nervlich nicht durch!
In den kommenden Tagen werden dann seine eigene Nerven auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Pierre schwänzt die Schule - vor dem Haus lungern heißhungrige Journalisten. Die Fernseh-Nachrichten versorgen ihn wenigstens mit bruchstückhaften Informationen: Verdacht auf "geheimdienstliche Tätigkeiten für das andere Deutschland", heißt es. Spionage für die DDR also. Pierre kann sich keinen Reim darauf machen. Gerade haben die Guillaumes doch gemeinsam mit Familie Brandt den Urlaub in Norwegen verbracht. Und mehr als einmal hat Pierre seinen Vater über die DDR schimpfen gehört. Hat er dem eigenen Sohn das alles jahrelang vorgespielt? Und war er selber - unwissentlich - vielleicht sogar an der Abdeckung geheimdienstlicher Aktionen beteiligt? Während der Fall Guillaume der Brandtschen Entspannungspolitik ein jähes Ende bereitet, bekommt die bis dahin heile Bad Godesberger Welt immer mehr Brüche.
Letztlich alles gut gegangen?
Wer ist um Himmels Willen dieser Vater? Eine Antwort auf diese Frage hat der Sohn nie erhalten. Denn der ehemalige Maulwurf schweigt sich aus. Als Günter Guillaume nach sieben Jahren Haft 1981 über den üblichen Agentenaustausch in die DDR zurückkehrt, möchte er vor allem eins - sich von der Stasi feiern lassen - aber ansonsten in Ruhe gelassen werden: Lass doch die ollen Kamellen! Letztlich ist doch alles gut gegangen! Nicht die Spur, findet Pierre. Er tilgt seinen verräterischen Nachnamen und nimmt den Mädchennamen seiner Mutter an.
Der Kontakt bricht ab. Selbst nach Mauerfall und Untergang der DDR haben Vater und Sohn sich nicht mehr einander annähern können. Vom Tod des Mannes, der Willy Brandt stürzte, erfährt Pierre aus der Presse und geht erst Wochen nach der Beerdigung zum Friedhof. Doch da erwartet ihn eine letzte Überraschung: Auf dem Grabstein steht ein fremder Name! Der Name der zweiten Ehefrau. Nach dem Ende der DDR hat der ehemalige Spion sein Andenken getilgt. Nicht einmal jetzt hat Pierre das Gefühl, seinen Vater wirklich gefunden zu haben.