Man sieht ihn schlecht, das hat er ausgenutzt, der Hallimasch, und hat sich unterirdisch zum größten Lebewesen der Welt ausgewachsen. Am 2. April 1992 ist man dem Riesenpilz zum ersten Mal auf die Spur gekommen.
Was ist das größte Lebewesen der Welt? Der Wal? Das Mammut? Der Mammutbaum? In diesen Bahnen denken wir Individualisten. Die Antwort lautet: Weder noch. Nein, wir müssen anders denken und ganz woanders suchen.
Wie aber sucht man nach dem größten Lebewesen der Welt? Nun, man sucht es nicht, man findet es zufällig.
Hallimasch - Fresssack im Untergrund
So geschehen am 2. April 1992 im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan. Auf der Fläche eines abgeholzten Mischwaldes hatte man Kiefern angepflanzt - und wunderte sich, dass die Setzlinge allesamt abstarben. Bei näherem Hinsehen fand man an ihnen die Spuren des Killers: Sporen des Hallimasch - eines Pilzes, der Bäume anzapft und ihnen Wasser und Nährstoffe entzieht, bis sie sterben. Die Laubbäume hatten es geschafft, sich dagegen zu wehren, die jungen Kiefern nicht. Der Waldboden war durchzogen von bis zu schuhbandeldicken Strängen. Denn das, was wir vom Pilz sehen, Stiel und Hut, ist nur die Spitze des Netzwerks. Seine Verbreitung betreibt der Pilz im Untergrund mithilfe langer Leitungen: dem Pilzmycel. Mit dessen Tentakeln wühlt er sich durch den Boden, auf der Suche nach neuem Holz.
Die Pilzforscher wollten mehr wissen. So steckten sie im gesamten Areal hölzerne Zungenspatel in die Erde, wie sie in jeder Arztpraxis verwendet werden. Der Pilz fraß sich erwartungsgemäß daran fest; und an den Proben ließ sich der genetische Fingerabdruck bzw. Mycelcode ablesen. Die Überraschung: Alle Proben gehörten zu ein und demselben Pilz, rund 100 Tonnen schwer, 150.000 Quadratmeter groß und 1.500 Jahre alt.
Ausdehnung von 1.665 Fußballfeldern
Mit dem Fund des bis dahin größten bekannten Lebewesens machten die Entdecker Schlagzeilen.
Und traten zugleich einen Pilzkrieg los, einen gigantischen Wettbewerb um größte Funde. Plötzlich schossen an verschiedensten Orten Amerikas immer größere Pilze aus den Schlagzeilen. Nicht immer war ihre Größe nachweisbar. Doch im Sommer des Jahres 2000 stießen Wissenschaftler in Oregon auf ein wahres Monstrum. Der Killerpilz, ebenfalls ein Hallimasch, hatte einen gesamten Wald mit dem bezeichnenden Namen "Malheur National Forrest" zerstört. Zu sehen war nichts von ihm; Bodenproben und DNA-Analysen brachten Gewissheit. Das Pilzmycel hatte eine Fläche von 900 Hektar oder 1.665 Fußballfeldern unterkellert und verkabelt. Weil das dortige Klima so trocken war, hatte der Pilz keine Fruchtkörper und somit keinen Nachwuchs bilden können - und so stellte sich dem immer weiter wühlenden Altpilz nichts und niemand in den Weg, 2.400 Jahre lang. Mit 600 Tonnen Lebendgewicht übertrifft er auch das schwerste Tier, den Blauwal, um das Vierfache.
Der Pilz von Oregon entfachte unter den Fachleuten eine neue Debatte: Was genau kann als ein Organismus gelten? Genügt es, eine gemeinsame DNA zu haben? Oder müssen alle Teile sich durch gezieltes Zusammenwirken auszeichnen?
Die Bewohner von Crystal Falls in Michigan machten sich viel pragmatischere Gedanken. Zu Ehren ihres Riesenpilzes veranstalten sie alle Jahre wieder im September ein großes Pilzfest. Dort gibt es Pilzburger und Pilztoffees, beides allerdings garantiert pilzfrei. Dabei kann man den Hallimasch sogar essen. Vorausgesetzt, man kocht ihn gründlich. Diese Voraussetzung mag ihm zu seinem klangvollen Namen verholfen haben: Hallimasch, so sagt die etymologische Forschung, kommt möglicherwiese von "Höll´ im Arsch"; denn ungenügend durchgekocht wirkt der Pilz abführend.