Eine Meute von Journalisten stürmt den Leipziger Zoo auf der Jagd nach einer Ratte. Denn Schiel-Opossum Heidi ist umgezogen. In der neuen Suite tapst sie behäbig umher, frisst Fleisch und frönt schielend dem ineffektiven Nichtstun. News.de stand vor der Scheibe.
«So viele Journalisten kommen für eine Beutelratte.» Als der Umzug geschafft ist, nach all den Interviews und Fotos setzt sich Leipzigs Zoodirektor Jörg Junhold verwundert vor die Scheibe, hinter der nun Heidi ihr neues Domizil bezogen hat. «Das ist doch Wahnsinn. Ich bin 13 Jahre Zoodirektor, so was habe ich noch nicht erlebt. Ist doch keine EHEC-Pressekonferenz hier.»
In der Tat, hier geht es um eine allesfressende Beutelratte, die an Strabismus leidet, bekannt auch als Schielen. Doch hier klicken die Kameraauslöser wie Maschinengewehrsalven, die Meute stürzt sich auf eine Ratte. Insgesamt 70 Journalisten sind gekommen, um den Einzug des Oscar-Orakels ins neue Zuhause in Ton und Bild festzuhalten. Sie drängeln sich an der Scheibe und rund um den Zoodirektor, damit die neuesten Entwicklungen in Sachen Augenfehlstellung, Abspeckkur und Fortpflanzungserfolg der schielenden Beutelratte in die Welt getragen werden können.
Heidi beißt Opossum-Männchen Teddy erstmal in die Flucht
Festzuhalten ist: Heidi schielt noch immer. Die Ratte wiegt, laut Tierpfleger Michael Ernst, aktuell 4,3 Kilo - damit sei er zufrieden. «Es gibt jetzt ausgewogene Ernährung. Klar, auch Fleisch ist dabei, aber hauptsächlich Gemüse und Ballaststoffe. Sonst gibt’s den Jo-Jo-Effekt.» Babys lassen auf sich warten - noch.
Denn mit in der Suite wohnt Teddy. Das einzige Opossum-Männchen soll den begehrten Nachwuchs bringen; schließlich ist Heidi mit ihren knapp drei Jahren schon fast im Rentenalter. Ob es ein heißer Sommer wird, bleibt abzuwarten. Frühere Dates zwischen den Beutelratten schlugen fehl. Und auch beim Erstbezug der Suite biss Heidi ihren Verehrer in die Flucht. Teddy blieb nichts anderes übrig, er lief enttäuscht umher und leckte die Äste nass. Wenn schon kein Weib, dann wenigstens das Revier mit Spucke markieren, klar.
Vor Heidis Gehege könnte es für Besucher eng werden
Die schmucke 15-Quadratmeter-Suite hat alles, was das Opossum-Herz höher schlagen lassen dürfte: Wasserstellen, Baumhöhlen, unterschiedliche Bodenbeläge, Kletterbäume zur Fitness. Und es ist schön dunkel, schließlich sind Opossums nachtaktiv, und die Besucher wollen sie ja in Aktion sehen. Beim ersten Inspizieren tapste Heidi behäbig umher, schnappte sich ein Stück Fleisch aus dem Futtertopf und verkroch sich in die Höhle aus einem Eichenstamm.
Bis zum 1. Juli hat Heidi noch Ruhe. Dann öffnet die Tropenhalle Gondwanaland als neue Attraktion im Leipziger Zoo, und die Besucher werden an der Scheibe kleben. Zoolotsen sind engagiert, sie werden die Ströme lenken müssen, denn der Gang, durch den die Massen müssen, ist nicht allzu breit. «Als wir das geplant haben, rechneten wird ja nicht mit solch einem Ansturm», gesteht Zoodirektor Junhold.
Der nächste Hype: womöglich eine Blattschneiderameise
Doch auch wenn sich die Massen an der Scheibe entlang drücken - Heidi wird weiter ihrer Lieblingsbeschäftigung frönen: die Tage «möglichst ineffektiv» verbringen, so ihr Tierpfleger Michael Ernst. «Sie läuft rum, frisst, atmet und kackt. Ob sie sich schon eingewöhnt hat, kann ich noch nicht sagen», so ein erstes Fazit des professionellen Tierpflegers, den der Hype um die Beutelratte ebenfalls überrascht. Warum Heidi so bekannt sei? «Na, es ist eben ein außergewöhnliches Tier», sagt er. «Deutschland lacht auch, einfach nur weil Karl Dall schielt.»
Tierpfleger Ernst findet, der Zoo müsste den Hype noch steigern. «Das nächste Ding wird 'ne Blattschneiderameise», sagt er und grinst vor dem Gehege der schielenden Beutelratte mit Weltruhm.