Der Blonde und der Braune waren Nachbarn; Jeder von ihnen stand an der Spitze eines gutmüthigen Hirtenvolkes. Sie tauschten nach Bedarf die Producte ihrer Ländereien und blieben einander stets hülfreich in Noth und Gefahr.
Niemand hätte bestimmen können, welchem von Beiden ihr Bündniß mehr Nutzen brachte.
Eines Tages, im Herbste, begab es sich, daß ein heftiger Sturm großen Schaden anrichtete im Walde des Braunen. Viele junge Bäume wurden entwurzelt oder gebrochen, viele alte Bäume verloren mächtige Aeste.
Der Herr rief seine Knechte; sie sammelten die dürren Reiser und schichteten sie in Bündel.
Aus dem frischen Holze aber wurden Stöcke zugehauen. Im Frühjahr sollten sie verwendet werden zu einem neuen Zaune für den Hühnerhof der braunen Herrin.
Nun wollte der Zufall, daß ein Diener des Blonden die Stöcke in die Scheune bringen sah. Ihre Anzahl schien seinen etwas blöden Augen ungeheuer. Von Angst ergriffen lief er heim und sprach zu seinem Gebieter:
»Ein Verräther will ich sein, wenn der Nachbar nicht Böses wider uns im Schilde führt!«
Er und andere ängstliche Leute, — es waren auch Weise darunter, — schürten so lange das Mißtrauen, das sie ihrem Herrn gegen den Freund eingeflößt hatten, bis jener sich entschloß, zu rüsten gegen die vermeintlich Gerüsteten.
Eine Scheune voll von Stöcken hatte der Braune; der Blonde wollte drei Scheunen voll von Stöcken haben.
Holzknechte wurden in den Wald geschickt. Was lag ihnen an seiner hohen Cultur? Ihnen that es nicht leid, einen jungen Baum zu fällen, ihm die aufstrebende Krone abzuhauen und die lichtsuchenden Aeste und die Zweige mit den athmenden Blättern.
Nach kurzer Zeit war der Wald verwüstet, aber der Blonde hatte viele tausend Stöcke.
Wie es ihm ergangen war, erging es nun seinem ehemaligen Freunde. Die Klugen und die Thörichten, die Verwegenen und die Zaghaften im Lande, Alle schrieen: »Es ist Deine Pflicht, Herr, dafür zu sorgen, daß uns der Tag des Kampfes reich an Stöcken finde!«
Und der Braune und der Blonde überboten einander in der Anschaffung von Vertheidigungsmitteln, und bedachten nicht, daß sie endlich nichts mehr zu vertheidigen hatten, als Armuth und Elend. Weit und breit war kein Baum zu erblicken, die Felder waren unbebaut; nicht Pflug noch Egge, noch Spaten gab es mehr: Alles war in Stöcke verwandelt.
Es kam so weit, daß die größte Menge des Volkes zu Gott betete: »Laß den Kampf ausbrechen, laß den Feind über uns kommen; wir würden leichter zu Grunde gehen unter seinen Stöcken, als unter den Qualen des Hungers!« —
Der Blonde und der Braune waren alt und müde geworden, und auch sie sehnten sich im Stillen nach dem Tode. Ihre Freude am Leben und Herrschen war abgestorben mit dem Glücke ihrer Unterthanen.
Und einmal wieder trieb der Zufall sein Spiel.
Die beiden Nachbarn stiegen zugleich auf einen Berg, der die Grenze zwischen ihren Besitzungen bildete.
Jeder von ihnen dachte: Ich will mein armes, verwüstetes Reich noch einmal überschauen.
Sie kletterten mühsam empor, kamen zugleich auf dem Grate des Berges an, standen plötzlich einander gegenüber und taumelten zurück ... Aber nur einen Augenblick. Ihre abwehrend ausgestreckten Hände sanken herab und ließen die Stöcke fallen, auf welche sie sich gestützt hatten.
Die ein halbes Jahrhundert in Haß verkehrte Liebe trat in ihr altes Recht. Mit schmerzvoller Rührung betrachtete der Freund den Freund aus halb erloschenen Augen. Nicht mehr der Blonde, nicht mehr der Braune! Wie aus einem Munde riefen sie: „O, Du Weißer!" und lagen Brust an Brust.
Wer zuerst die Arme ausgebreitet, wußten sie ebenso wenig, als sie sich besinnen konnten, wer dereinst die ersten Stöcke aufgestellt wider den Anderen. Sie begriffen nicht, wie das Mißtrauen hatte entstehen können, dem Alles zum Opfer gefallen war, was ihr Dasein, und das der Ihren lebenswerth gemacht hatte.