Mäxchen geht gern in den Kindergarten. Mit den Kindern aus der Nelly-Nilpferd-Gruppe versteht er sich gut. Die kleine Miene aus dem Wohnblock gehört seit einigen Tagen auch dazu. Mäxchen kümmert sich um die Kleine. Er kann sich noch genau an seine ersten Tage im Kindergarten erinnern. Auch er hat manchmal Angst gehabt. Der kleine Max zeigt Miene, wo die Malsachen liegen. Gemeinsam setzen sich die Kinder an einen Tisch.
"Mit so einem Kritzel-Kratzel habe ich auch einmal angefangen", sagt Mäxchen. "Jetzt kann ich schon fast richtig malen, und alle Farben kenne ich auch."
Miene schaut Mäxchen mit großen Augen an. Geduldig lässt sie sich die Farben erklären.
Stolz hält der kleine Max sein Bild hoch und fragt: "Was habe ich hier wohl gemalt, Miene?"
Miene legt das Köpfchen schief, schaut sehr lange, sehr kritisch auf die Zeichnung. "Hm, ich glaube, das ist ein Elafant - und noch einer."
"Zwei Elefanten sind auf dem Bild, Miene, man sagt E-le-fanten", verbessert Mäxchen freundlich. Er weiß, dass Miene seine Sprache nicht besonders gut kennt. "Sie musste erst einmal Türkisch lernen", hat Mama ihm erklärt.
"Die Elefanten sehen ja toll aus!", staunt Frau Stellermann. "Du hast sogar einen afrikanischen mit großen und einen indischen mit kleineren Ohren gemalt. Darf ich dieses Bild im Flur aufhängen, Mäxchen?"
Der kleine Max schüttelt den Kopf. "Ich habe jeden Tag 'Elefantenmalen' geübt. Heute kann ich es endlich. Dieses Bild möchte ich meinem Papa schenken. Aber am Montag male ich ein neues für dich, Frau Stellermann."
"In Ordnung, Max. Darauf freue ich mich. Jetzt müssen wir aber aufräumen, Kinder. Packt eure Bilder in die Mappe und legt die Zeichenstifte und Malblocks bitte ins Regal." Freundlich lächelnd streicht die Kindergärtnerin den beiden kurz übers Haar.
Am Freitag sind alle Kinder etwas aufgeregter als an den anderen Wochentagen. Sie freuen sich auf ein langes Wochenende mit Mama und Papa. Schnell haben sie das Spielzimmer in Ordnung gebracht, die Stühle auf die Tische gestellt.
Die Kindergärtnerin öffnet die Tür und gibt jedem Kind zum Abschied die Hand.
"Tschüss, bis Montag, schönes Wochenende", hört Mäxchen von überall her.
Zum ersten Kindergartentag hat Opa dem kleinen Max eine Armbanduhr geschenkt. Nicht so eine Spielzeuguhr. Nein, eine, die richtig funktioniert! Lesen kann Mäxchen die Uhr noch nicht. Aber er weiß genau, wo die Zeiger stehen, wenn Mama ihn abholt. Der große auf der Zwölf und der kleine auf der Drei. Das hat der Junge schnell verstanden.
In der Eingangshalle bleibt er stehen, schaut auf seine Uhr. Noch zwei Striche bis zur Drei. Mäxchen lässt den Sekundenzeiger nicht aus den Augen. Da, endlich! Leicht zitternd bleibt der große Zeiger auf der Drei stehen.
"Wenn ich jetzt zur Tür schaue, steht Mama dort", freut sich der Junge.
"Mam… - nein - Papa, Papa ist da!", jubelt der kleine Max.
Schnell wie der Wind läuft er in Papas ausgebreitete Arme. "Wieso bist du schon da - und warum holst du mich heute ab, wo ist Mama?"
"Mama muss heute etwas länger arbeiten. Ich hatte nur eine kleine Tour zu fahren. So kann ich dich endlich auch einmal vom Kindergarten abholen", erklärt Papa fröhlich.
Mit Schwung setzt er Mäxchen auf den Gepäckträger seines Rades. "So, jetzt noch der Helm, dann kann es losgehen."
Kräftig tritt Papa in die Pedalen. Mäxchen genießt die schnelle Fahrt. Ab und zu drückt er sich fest an Papas Rücken.
"Du, Papa, das ist aber nicht unser Nachhauseweg", stellt er nach einiger Zeit fest.
"Stimmt, mein Sohn. Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich."
Vor dem Eiscafe "Mario" hält Papa an, hebt Mäxchen vom Gepäckträger und sagt ganz vornehm: "Darf ich Sie zu einer großen Portion Eis einladen, mein Prinz?"
"Sie dürfen, Sie dürfen, mein König", antwortet der kleine Prinz gnädig.
Vater und Sohn verbeugen sich voreinander. Lachend setzen sie sich an einen Tisch auf dem Platz vor der Eisdiele. Ein älterer Herr am Nebentisch senkt seine Zeitung und schaut mit lustig funkelnden Augen auf Max und Mäxchen. Die beiden studieren gemeinsam die Eiskarte. Den Tischnachbarn bemerken sie nicht. Wie immer entscheidet sich Mäxchen für den Spezial-Vanillebecher. Früher hat er immer "Eis mit Vanille" gesagt. Inzwischen weiß er längst, dass es Vanilleeis heißt. Schließlich ist er schon vier Jahre alt.
Mäxchen holt die Bildermappe aus seiner Tasche. "Ich habe auch ein Geschenk für dich, Papa", sagt er stolz.
Der große Max freut sich sehr. "So ein schönes Elefantenbild habe ich noch nie gesehen, mein Junge. Sogar unterschiedlich große Ohren hast du gemalt."
Mäxchen strahlt. "Kannst du mir denn jetzt sagen, weshalb es große und kleine Elefantenohren gibt, Papa?"
"Leider nicht, mein Sohn. Ich habe in vielen Tierbüchern und auch im Lexikon nachgesehen. Dort aber keine Antwort gefunden. Bevor ich zum Kindergarten fuhr, habe ich im Allwetterzoo in Münster angerufen. Der Tierarzt Dr. Schaller war sehr hilfsbereit. Er konnte mir aber nur eine von vielen möglichen Erklärungen geben: Die afrikanischen Elefanten leben überwiegend in der Savanne oder Steppe. Dort gibt es keine Wälder. Hin und wieder ein paar Büsche. Diese kleinen Büsche können den Dickhäutern natürlich keinen Schutz oder gar Schatten vor der sengenden Sonne Afrikas bieten. Einige Tierforscher nehmen an, dass über die riesigen Ohren die Körper-Hitze verdunstet."
Die Kellnerin bringt zwei große Eisbecher. Ein winziger japanischer Schirm steckt in einer Eiskugel. Einige bunte Smarties leuchten Mäxchen entgegen.
Ganz langsam löffelt der kleine Max sein Eis. Er möchte es möglichst lange genießen.
Papa zeigt auf die Elefantenzeichnung. "Wie du weißt, Mäxchen, lese ich immer vor dem Einschlafen. In der Zeitung gab es einen Bericht über Elefanten. Auf einem Foto war ein sehr junges Tier zu sehen. Irgendwie sah es traurig aus. Ich habe lange über den kleinen Elefanten nachgedacht. Und dann habe ich seine Geschichte in mein Merkbuch geschrieben. Möchtest du sie hören? Wir haben noch viel Zeit. Mama will uns hier in einer Stunde treffen."
"Natürlich möchte ich, aber wo ist denn dein kleines Buch, Papa?"
"Das habe ich doch in der Hemdtasche. Oh, nein, dort ist es nicht."
Papa sucht in den Jacken- und auch Hosentaschen. Vergeblich. Das Büchlein ist mal wieder verschwunden.
"Aber das macht nichts. Ich kann mich noch sehr gut an die Geschichte erinnern", sagt der große Max zuversichtlich. Kurz schließt er die Augen und beginnt mit leiser Stimme zu erzählen.
"Ruhe! Hör endlich mit deiner Heulerei auf, du nichtsnutziges Riesenschlappohr! Wir wollen schlafen. Morgen ist ein großer Tag. Der erste Auftritt im Zirkus nach der Winterpause. Da müssen wir alle ausgeschlafen sein", schimpft Indra, die älteste der indischen Elefanten.
Der kleine Don Loxo zieht den Rüssel hoch und verschluckt sich prompt. Mühsam unterdrückt er den Husten. Seine Tränen kann er aber nicht stoppen. Leise, leise weint er vor sich hin.
"Wird echt Zeit, die Wasserspende abzuschalten. Deine dicken Säulenbeine versinken bald in dem Tränensee", spricht plötzlich jemand mit einer leisen Stimme.
Verwundert schaut Don Loxo sich in dem engen Stallwagen um. Den Besitzer der zarten Stimme entdeckt er nicht.
"Hier, hier oben, du Urvieh, auf dem Gitter. Buh, los, erschrick dich! Ich bin eine Maus. Und obendrein noch eine weiße", wispert Fritzi, die Primaballerina vom Mäuseballett.
Kleine, traurige Elefantenaugen schauen in lustige und glänzende Mäuseaugen.
"Ach, so einen Unsinn erzählen nur die Menschen", grummelt Don Loxo. "Warum sollte ich Angst vor dir haben? Du bist so winzig, kannst mir nichts tun." Er spricht ganz leise, denn er möchte nicht noch einmal von Indra angeschnauzt werden.
"Erschrecken könnte ich dich schon. Meine Familie hat die Inder da drüben schon oft aus der Ruhe gebracht. Vor allem Indra, die Angeberin. Unbekannte Geräusche oder Bewegungen mag sie nicht. Eigentlich ist sie ein Angsthase, aber das ist nur mir aufgefallen, ich kenne die Elefanten inzwischen sehr gut", sagt das Mäuslein stolz. Schnell richtet es sich auf und tanzt einen fröhlichen Stepptanz auf dem Gitterrand. Dann schaut die Maus wieder den kleinen Elefanten an und sagt: "Wir Mäuse kriechen nicht in eure Rüssel. Ich schon gar nicht. Ich werde mir doch nicht mein schönes weißes Fell verderben! Also bitte, glaube nicht an dieses Märchen."
"Hast du keine Angst herunterzufallen?", fragt Don Loxo und schaut mit großen Augen der tanzenden Maus zu.
Sie saust in unglaublicher Geschwindigkeit über den Gitterrand. Ab und zu dreht sie ein paar Pirouetten, macht einen Überschlag oder läuft auf den Vorderpfötchen. Mit einem dreifachen Salto beendet sie ihre Vorstellung.
"Na, wie gefällt dir das? Bin ich nicht einfach super? 'Diese Maus ist mein bestes Pferd im Stall', sagt mein Trainer immer. Haha, Pferd! So hübsche kleine Pferde wie mich gibt es gar nicht", lacht sie.
"Und so kleine Angeber wahrscheinlich auch nicht", überlegt Don Loxo. Er meint es jedoch nicht böse. Die freche, weiße Maus gefällt ihm sehr. Seit sie da ist, hat er nicht mehr so ein starkes Heimweh. Schüchtern bietet er der Tanzmaus seine Freundschaft an.
"Würde ich ja gerne sein, deine Freundin", kichert die freche Maus. "Aber ich kenne dich doch überhaupt nicht. Weiß nicht, ob ich dir trauen kann. Erzähl mir was von dir. Woher kommst du? Wer sind deine Eltern, und weshalb bist du ausgerechnet in unseren Zirkus gekommen? Ich muss alles über dich erfahren. Dann kann ich mir ein Bild von dir machen. Gefällt es mir, werden wir bestimmt Freunde. Eigentlich mag ich dich jetzt schon sehr. Darf ich mal eben eine Rutschpartie über deinen Rüssel machen?"
Don Loxo nickt. In Null-Komma-Nix rutscht die quirlige Maus über den Rüssel und lässt sich quietschvergnügt herunterpurzeln. Sie landet im Stroh, direkt vor den dicken Elefantenfüßen.
"Wieso könnt ihr Dickhäuter eigentlich so leise auftreten? Ich höre euch fast nie kommen, wenn ihr durch den Stall marschiert. Indra hätte mich vor ein paar Tagen beinahe zertreten."
"Ach, das liegt an unseren weichen, gepolsterten Sohlen", erklärt Don Loxo. "Weißt du, mein Papa ist schon lange ein erwachsener Elefant. Er ist fast siebeneinhalb Meter lang und bestimmt siebentausend Kilo schwer und doch ein Leisetreter."
"OK, erzähl mir mehr von deiner Familie. Ich setze mich auf deinen Rüssel. Du kannst mich ja ein bisschen hin und her schaukeln. Schaukelgemütlichkeit mag ich nämlich sehr."