Hollah! der Papa ist zu Hause. Da darf man nicht viel Lärm machen, denn er ist nervös. Aber da ist er doch. Nun sitzen alle drei plaudernd um ihn herum. Nur die schöne Mama geht umher, denn sie hat mit den Blumen zu schaffen. Der Papa spricht und die Mama lächelt nur manchmal vom Fenster zu ihnen herüber.
Der Papa weiß stets so Schönes, Merkwürdiges vom Leben zu erzählen. Zuletzt aber fragt er sie immer: wenn ihr in diesem oder jenem Fall gewesen wäret, was hättet ihr dann gethan? Und alle sagen dann, was sie gethan hätten. Es ist wie in der Rechenstunde, alle lauschen gespannt und denkfiebernd.
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Doch einmal fragt der Papa: „Was hält jede von euch für das größte Glück? Oder, ich will es besser so formulieren: was wäre euch heißester Lebenswunsch?“
Alle Gesichter werden ernst. Selbst die Mama kommt herzu und lauscht.
Bertha, die zweite, sagt: „Ich möchte einen Freund, der mich nach meinem Tode beweint.“
Mara, die jüngste, wird sehr rot, indem sie spricht: „Ich möchte ein liebendes Herz, das treu für mich schlägt.“
„Und du, Elsa? Nun?“
Elsa steht da, aufrecht, plötzlich ganz bleich im Gesicht, mit leuchtenden Augen und zerzaust eine Blume in ihren Händen.
„Nun, Elsa?“
„Ich, Papa? ich will nichts als Ruhm.“
Die Schwestern brechen in ein schallendes Gelächter aus. Die Stimmung, welche harmonisch über allen lag, flirrt auseinander.
Der Papa ist plötzlich böse. Seine zürnenden Augen liegen drohend auf den beiden Allzufröhlichen.
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„Ihr seid albern,“ sagt er.
Innerlich fühlt er das Unabwendbar-Tragische in diesem Weib-Kind.
Dann wendet er sich zur ältesten, seine sonst herrische Stimme wird förmlich schüchtern und eine Nuance leiser als sonst. Er flüstert fast: „Da wirst du immer unglücklich sein, mein Kind.“
„Ja, das weiß ich,“ sagt Elsa herb und lächelt dazu, als hätte man ihr das Allersüßeste verheißen.
Sie sieht vor sich hinaus, weit, weit in Fernen, wo es keine Eltern, noch Geschwister giebt.
Sie blickt ins Land der stolzesten Verheißung. Alles ist still. Bertha dreht ein Sacktuch um den Daumen, immer und immer wieder.
Papas Augen sind feucht: wie hatte ihn dies Kind da erraten! In alle seine verborgensten Verschwiegenheiten geschaut. Ein großer, edler Ehrgeiz, der lag auch in seinem Blute!
Hjah! den hatte sie von ihm geerbt. Er sah auf dieses halbwüchsige Mädchen in seiner[S. 31] schlanken Kraft, mit dem trotzigen Zug um den Mund. Ihm ward wehe. Wie hatte er gestrebt, gesehnt, gewollt und viel erreicht, aber dennoch — nicht alles. Er wußte — die Erfüllung war er noch nicht.
Und dort stand die schöne, bleiche Mutter. Ihr Blick glitt schamhaft über die Bilder an den Wänden, die ihre Hand gemalt. Man sagte, sie sei genial — allein es war doch noch nicht das — das — Genie! Ganz nahe daran, wie ein Ansetzen dazu, wie eine große Sehnsucht danach, aber nicht es selbst.
Und dieser beiden Sehnsüchte hatte dies Kind bekommen.
Nun sahen sie einander an und verstanden plötzlich ihre schamhaft heimlichsten Hoffnungen, welche nie die Lippen gestanden.
Es liegt Schmerz und Enttäuschung darin, die Scham der Armut. Noch heißt es warten, ansammeln, aufspeichern durch die sparende Geduld von Generationen.
Segnend und wehmütig fällt beider Blick auf den Scheitel ihrer Tochter.
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Wenn sie nur kein Mädchen wäre, denkt der Vater.
Die Mutter aber: wird sie es endlich? Bringt sie die Verheißung unserer Generationen oder ihre Lenden?
Die Schwestern sind verschämt, aber trotzdem kitzelt sie noch ein schlechtverbissenes Lachen. Elsa sieht niemand, sondern träumt: das Leben ist mein, denn ich erzwinge es mir.
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Aber es kam anders, als die drei erwachsen wurden.
Berthas Gemahl starb, die Wittwe in Thränen lassend. Und Maras Gatte wurde ihr untreu. Elsa aber verstand, was sie damals mit dem Worte Ruhm gemeint hatte. Sie verstand darunter „Größe“. Und die Erhabenheit wich nicht aus ihrer Seele.
Sie dachte: was brauchen Frauen das Buhlen um Erfolg? Seien wir groß! Und dabei wurden ihre Pupillen so schmerzlich weit und traurig.
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Dann sah sie mit dem Blick ihrer Eltern auf ihren kleinen Knaben, mit jenem Blick voll flehendem Herzeleid: „bist du es endlich? Bist du die Erlösung? O künde mir es, bevor ich sterbe!“