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Ein modernes Mädchenbuch:Bei den Volkssängern.

时间:2024-01-30来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Ein modernes Mädchenbuch
Taratahi taho! Tschin! tschin!
 
Volkssänger, Auflauf.
 
Es ist Feierabend. Sie geht mit Vatern und Muttern zu den Volkssängern. Sie ist ein sehr braves Mädchen, eigentlich ganz altmodisch erzogen.
 
In der Atmosphäre von Bier, Schweiß und Cigarrendampf lassen sie sich an einem Tische nieder. Die Kellner schreien, die Frauen machen dumme, possierliche Affengesichtchen auf die Männer, die wie Faune dreinschauen.
 
Vorne auf der Bühne steht einer, der sich zu lange Arme und Beine gemacht. Darüber lachen die Leute. Er singt, wie niemand singt;[S. 19] springt, wie niemand springt — darüber lachen die Leute.
 
Sie sieht alle diese Gesichter an. Schrecklich! Es liegt etwas Gemeines, Rohes in dieser Freude. Alle werden häßlich. Plötzlich fällt ihr ein, wie süß es wäre, wenn alle Menschen schön sein würden. Und wie komisch es sei, daß die Menschen sich extra bemühen, häßlich und gemein zu werden.
 
Wären doch alle schön! denkt sie. Dann erinnert sie sich der kleinen, bleichen Martha, die immer den blinden Peter zur Kirche führt, während die Gassenbuben sie auslachen. Die ist so schön. Nein! Sie hat ein Stumpfnäschen und kleine, grüne Augen. Sie ist häßlich. Aber doch schön. Ihre Seele leuchtet aus ihr heraus.
 
Die kleine Martha, die schöne Martha — taratahi, taho! Tschin-tschin.
 
Alles applaudiert!
 
Endlich eine neue Nummer!
 
Wie die Frauen würdelos sind! Wie sie sich mit Blicken anbieten. Ihr kommen die Thränen in die Augen: wären doch alle schön![S. 20] Die Frauen wenigstens — so schön wie die kleine Martha.
 
—  —  —  —  —  —  —  —  —  —
 
Ein Weib tritt auf das Podium heraus. Sie hat kurze Röcke und ein tiefdekolletiertes Kleid. Wie sie wunderschön ist! Das Kleid ist aus glänzender Seide und Brillanten funkeln darin. Sie ist schön wie die Märchenprinzessin. Sie tanzt und hebt die Röcke wie Flügel empor, so daß sie einem wunderschönen, fliegenden Schmetterlinge gleicht.
 
Sie singt dazu etwas, was Geny nicht ganz verstehen kann und jedesmal am Ende einer Strophe macht sie plötzlich ein häßliches, gemeines Gesicht. Ihre Augen zwinkern. Die Männer aber klatschen, Beifall schreiend, in die Hände. Geny weiß nicht warum, aber sie kann es sich so ungefähr denken.
 
Und dann tanzt jene wieder so entzückend, die Märchenprinzessin.
 
Die Männer sitzen da mit Augen wie Feuerräder. Die Märchenprinzessin aber lächelt und tanzt in funkelnder Seide.
 
[S. 21]
 
Ihr Gesicht ist schön. Allein es ist ganz verklebt von einer dicken, weißen Schicht Schminke, und die Lippen sind unnatürlich rot gefärbt. Auch hat sie breite, schwarze Striche unter den Augen.
 
Warum machst du das? es ist häßlich, sagen Genys Blicke.
 
Weil sie es so wollen. Taratahi-taho! tanzt die Märchenprinzessin.
 
Dann zwinkert sie wieder mit den Augen. Ihr Gesicht wird gemein — die Männer applaudieren.
 
Die Augen Genys sind feucht. Du schöne Märchenprinzessin, warum machst Du dich häßlich?
 
Genys Eltern stehen auf. Die Nummer ist aus. Sie gehen fort. Die Eltern voran. Sie zappelt hinterdrein.
 
Im Korridore steht die Märchenprinzessin mit ein paar Herren plaudernd. Geny guckt sie verwundert an. Die Märchenprinzessin macht plötzlich ein böses, herausforderndes Gesicht, als[S. 22] wollte sie sagen: was willst du kleine Alberne von mir?
 
Warum hat sie die häßliche Schminke? Darunter ist sie gewiß schön.
 
Und weshalb macht sie so gemeine Blicke? Darunter — darunter — ist die Seele darunter schön?
 
Auf einmal wird ihr so weich und wehleidig zu Mute, sie weiß nicht warum. Ihr thut so leid um die Märchenprinzessin. Es ist alles nur die häßliche Schminke, darunter —
 
Im Nu geht sie, ganz impulsiv, auf die Märchenprinzessin zu, umarmt sie und flüstert: „Schwester!“
 
Diese hat sie zuerst wild und abweisend angesehen, mit einem Blick voll Rohheit, aber dann brechen zwei dicke Thränen aus ihren Augen, auf ihrem Wege das Weiß-schwarz-rot der Schminke wegschwemmend.
 
Die Seele jener fühlt: ich danke dir, du bist der erste Mensch, der nichts von mir verlangte und mir dennoch Gutes that.
 
Sie sehen einander gütig und heilig an.[S. 23] Ihr Weg liegt weit auseinander. Die eine wird einst eine brave, kleine Frau, die andere muß verkommen.
 
Aber einmal kamen ihre Seelen doch zueinander.
 
—  —  —  —  —  —  —  —  —  —
 
Die Eltern rufen: „Geny!“ Und sie zappelt schnell nach. Ihre Seele fühlt: es ist doch nur die Schminke, die häßlich war — nichts als die Schminke — — — 
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