Die Mama war immer so bleich. Soweit sich Maria zurückerinnerte, aus ihren Mädchenjahren bis zurück in die Kinderzeit — immer sah sie die Mutter bleich, mit den ernsten, wunden Augen und dem milden Lächeln um die Lippen.
Der Papa liebt die Mama nicht. Entschieden! Maria sagt dies niemandem, niemandem! Dennoch ist es so. Sie hat es schon als Kind gefühlt. Sie wußte nichts damals, dachte nichts — aber sie litt!
Niemals gab es Scenen oder Rohheiten im Hause. Die Eltern blieben immer vornehm und gebildet. Aber es fehlte der Sonnenschein. Das Weiche, Gütige, welches in einem Blick[S. 15] sich offenbart! Und wofür gerade Kinder, denen Worte noch unverständlich sind, ein so feines Empfinden haben.
Aber jetzt war sie schon ein Mädchen. Und es blieb das Gleiche. Nie hörte sie zanken, oder ein rohes Wort. Aber es war da, wie die Gewißheit, saß gleich einem Schiefer in schmerzender Wunde. Sie wußte und schwieg. Niemand erfuhr ihr Geheimnis.
Sie litt.
Aber heute geschah Schreckliches. Sie saß mit Mama. Diese am Sofa, sie selbst ihr vis-à-vis vor dem Spiegel, mit dem Rücken gegen die Thür.
Es begann zu dämmern. Beide schwiegen. Da verstanden sie sich am besten. Sie hätte so gerne ihre Arme um Mutters Hals geschlungen, in heißen Küssen flüsternd: Du arme, arme Mami! Aber es ging nicht. So durfte sie mit der, die ihr das Leben geschenkt, nicht sprechen. Wie hätte sie der Tochter klagen dürfen — — —
Also schwiegen beide, nur ihr Empfinden sickerte in feinen Wellen durch den Raum, ver[S. 16]mischte sich, während die Lippen geschlossen blieben.
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Es läutete.
Der Papa! dachten beide, aber niemand sprach es aus.
Und plötzlich fühlten sie eine schwere Müde in den Gliedern. Sie wollten ihm entgegen, ohne es zu können. Es war etwas in ihnen, wie im Kinde, dem vor Schlaf die Lider zufallen — schwer — müd — — —
Der Papa lachte, er ging durch die Zimmer. Endlich kam er ins Nebengemach. Er schäckerte mit dem Stubenmädchen, das Licht anzünden wollte.
Maria sah es genau durch den Spiegel. Da — schrecklich — ganz unmerklich zuckte Mama zusammen. Sie konnte es nicht beschreiben. Es war, als ob ihre Seele innen einen Ruck bekommen hätte. Dabei spreizten sich ihre Augen auseinander, als sähe sie in einer Vision den Tod vor sich. Die arme Mama! Es dauerte alles nur eine Tausendstel[S. 17]sekunde. Papa hatte das Mädchen in die Wangen gekniffen.
Nun fühlte sie Mamas gefolterten Blick: Hat meine Tochter gesehen?
Da blickte sie in schamhaftem Mitleid auf die Tischdecke: ich denke schon die ganze Zeit, wie diese Gobelins heutzutage eigentlich ganz schön imitiert werden können.
„Ja, nicht wahr,“ sagte die Mama. „Siehst du, alles ist möglich, wenn man nur ernstlich will.“
Dann stand sie auf, laut rufend: „Guten Abend, Papa.“ Und ging dem Gatten entgegen.