Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im Garten und zwitscherte: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine Krone von Blüten auf dem Haupte, und –«
Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, denen die Drossel das erzählte, piepsten und schrieen und zankten so durcheinander, daß die Drossel auf und davon flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die Walddrossel zu erzählen hatte!
Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten Fenster ihres Hauses und sah der Drossel nach. »Ach,« seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind wäre und verstehen könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur das Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, dann wollte ich gern glücklich und zufrieden sein.«
Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende Sonntag noch nicht aufgestanden, und der stille Sonnabend lehnte noch an der kleinen Wiege mit großen, müden Augen. Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, roten, zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem Deckchen herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht in die Welt hinausschrie.
»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse Frau Sehnsucht, und zwei heiße Thränen fielen auf die geschlossenen Augen des Bübchens in ihrem Arm.
Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und wurde so stark, daß die ungezogenen Buben in der Nachbarschaft ihm gern aus dem Wege schlichen. Er stand an seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern erzählte, wie sie gar so klug sind und wissen, wie die Welt geht, und verstehen, was die Tiere sprechen, und wie sie den Wolkenflug deuten können. – »Warum kann ich nicht jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann sprang er hinaus in den Garten und legte das Ohr auf die Erde, ob er nicht das Gras wachsen höre, wie ein richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, leises Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen waren, die da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er stand unter den Bäumen und hörte zu, was die Vögel sangen; es war ihm, als verstände er einzelne Worte, wie Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. Und weinend lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: »Ich will doch ein Sonntagskind werden!«
»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht traurig. »Und es war doch nur eine Viertelstunde!«
»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, als er in die Schule ging. Und er lernte alles, was in den Büchern stand und wurde ein berühmter Mann. Von weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen Häuschen der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen Gesellen Antwort haben auf ihre neugierigen Fragen, und er sagte ihnen alles. Aber insgeheim glaubte er selber nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige Frage erhalten: Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind zu werden? – Als nun eines Tages wieder einmal ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht so klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die spitzigen Nasen legten, und ihm die wichtige Frage stellten: Wie kommt es, daß der Mensch die Nase mitten im Gesicht hat? – da fielen dem Gesellen seine Riesenkräfte ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, that einen tüchtigen Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht: