»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören hier eigentlich gar nicht her – wir sind nur hereingekommen – wir wollten gern wissen – können Sie uns vielleicht sagen, was Weihnacht ist?«
»Wa – wa – was – Weihnachten?« Dem Herrn Gardelieutenant fiel vor Erstaunen das Monocle weg, ohne daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden brauchte, und sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der Fensterbank auf die Erde flogen.
»Weihnachten? – Weihnachten ist Weihnachten,« brummte Lieutenant Knack von Mandelkern entrüstet, nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt hatte – dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den Flöckchen nach – »nette Pusselchen – aber noch sehr jrün – die reene Unschuld vom Lande.« – –
Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein schönes Buch mit Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf die Erde gefallen war – auf dem stand mit großen bunten Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere Vorfahren! Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was Weihnachten ist, wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? – Sehen Sie mich an.« Und dabei schlug es sich auf und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des hl. Bonifacius, des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur Verehrung eines unbestimmten Etwas antrieb, im Winter, unter Schnee und Eis, ein Fest.«
»Altes Buch, schweig' doch still! – Hüh! Hoh! Wollt Ihr wohl laufen, Ihr faulen Tierchen!« klang es da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als die Schneeflöckchen, die sich große Mühe gaben, die weisen Worte des Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind eine drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade über das gelehrte Goldschnittbuch hinweg, das sich voller Entrüstung erhob und mit Würde von dannen wandelte. – In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen Wägelchen stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den Schultern und einem Bogen in der Hand, und sang und jubelte in die Welt hinein. Der hat auf einer schönen Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende Steine und Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und hat sein lustiges Wesen getrieben.
Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes anfunkelten, und so viel die Schlange auch nach ihm mit dem Goldzünglein gezischelt, – »ich bin die Schlangenkönigin,« sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, weiße Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe ihm den Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« – es half ihr nichts: das kecke Bürschchen schlang sie sich um die kleine weiße Brust, und die Rubinenaugen funkelten ihm von der Schulter herunter.
»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als Deins, – Du kannst mir nichts anhaben.«
Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm der Nußknacker geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen Rokokodame einen Pfeil ins Sèvresherzchen geschossen.