Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach all dem Schönen. Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, daß ganz, ganz unten am Fenster eine schmale Ritze offen wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, und vorsichtig kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter und nun stehen sie vor der Fensterritze – – –
»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander zu, »komm', wir wollen uns an die Händchen fassen und hineingehen und den Weihnachtsduft einatmen.«
»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr seid Kinder der Luft, Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen – Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht zu ihnen.«
Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; sie zogen sich ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, damit sie auch hübsch kalt blieben und schlüpften durch die Fensterritze. – Da schlug's Zwölf. Das kleine Männchen in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, kam zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es seinen kleinen Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: »Meine Herrschaften, die Geisterstunde hat geschlagen!« –
Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, und klirrend schlug die Thür hinter ihm zu.
Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern in allen Ecken und Winkeln – alles im Zimmer wurde lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr wie beim Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, die an den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, eine der andern Vorwürfe zu machen, daß sie sich immer den Menschen auf den Rücken setzten oder auf der Erde herumtrieben, und wurden so heftig dabei, daß sie sich schließlich gegenseitig mit sich selber bombardierten. – Das Sofakissen wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine Liebeserklärung. – »Sie haben eine so schöne Gestalt!« sagte es, – »von oben bis unten egal!« Und die Feuerzange beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen auf dem Kamin schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz und der Nußknacker, der in der Uniform eines Gardelieutenants auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und klappte seine Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder zu. Dieser Nußknacker war überhaupt ein Don Juan; just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, die in Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf er der porzellanenen Schäferin da oben Kußhände zu und entschuldigte sich damit, daß es ja Weihnachten sei.
Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, die sich in ihren weißen Schwanenpelzchen scheu in die Fensterbank gedrückt hielten.
»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant klemmte seine Monocle ein und beeilte sich, mit allersteifsten Gardebeinen durch den Saal zu marschieren.
»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, Bleisoldaten zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken aneinander, daß unsere Schneeflöckchen erstaunt seine Füße anguckten. – »Damen fremd hier? – äh – dürfte Ehre haben, Chaperoneur zu sein?«