Der Wald wurde immer dichter und dunkler, und jeder fragte sich heimlich, ob sie wohl jemals wieder die Sonne sehen würden. Allen wurde noch unbehaglicher zumute, als der Löwe plötzlich erzählte, dass in diesem Teil des Waldes Kalidahs lebten. „Was bitte sind Kalidahs?“ fragte Dorothy. „Das sind ganz fürchterliche Monster. Sie haben den Körper eines Bären und einen Tigerkopf. Sie haben so scharfe und lange Klauen, dass sie mich einfach in Stücke reißen könnten. Sie könnten mich so einfach töten, wie ich Toto töten könnte“, erklärte der Löwe und klapperte vor Angst ein bisschen mit den Zähnen. Während der Löwe über die Kalidahs gesprochen hatte, waren die Freunde an einen weiteren Graben gekommen, viel tiefer und breiter als der erste Graben. Niemals könnte der Löwe diesen Graben mit einem Sprung überwinden.
Wieder überlegten sie, wie sie nun hinüber kommen sollten. Der Scheuch rief: „Dort steht ein Baum. Seht ihr, wie groß er ist und wie dicht am Graben er steht? Wenn der Holzfäller ihn fällen könnte, so dass er über den Graben auf die andere Seite fällt, dann könnten wir einfach darüber gehen.“ „Die Idee ist ausgezeichnet“, lobte der Löwe. „Fast könnte man meinen, du hättest schon einen Verstand und nicht bloß Stroh in deinem Kopf.“
Der Holzfäller ging sogleich an die Arbeit, und da seine Axt scharf war, war der Baum schnell gefällt. Bevor er fiel, drückte der Löwe ihn mit seinen mächtigen Pranken in die richtige Richtung, und der Baum fiel, wie gewünscht, direkt über den Graben. Die fünf machten sich gerade bereit, die ungewöhnliche Brücke zu überschreiten, als sie hinter sich ein furchtbares Heulen hörten. Sie blickten zurück und sahen zu ihrem Entsetzen zwei riesige Monster auf sich zu laufen, die Bärenkörper und Tigerköpfe hatten.
„Da kommen die Kalidahs!“ rief der Löwe und zitterte wie Espenlaub. „Schnell!“ schrie der Scheuch. „Wir müssen hinüber!“ Dorothy ging zuerst. Sie hatte Toto auf dem Arm, und der Holzfäller folgte ihr. Der Scheuch war der dritte, und der Löwe ging als letzter. Er hatte furchtbare Angst, aber trotzdem drehte er sich zu den Kalidahs um und brüllte so laut und furchterregend, wie er nur konnte. Die beiden Kreaturen blieben verdutzt stehen. Dorothy schrie erschrocken auf, und der Scheuch fiel vor Schreck fast hintenüber.
Die Kalidahs aber erkannten, dass sie viel größer waren als der Löwe und zwei gegen einen, und stürmten wieder vorwärts. Inzwischen hatten alle die andere Seite des Grabens erreicht. Der Löwe drehte sich nach den Bestien um und überlegte, was als nächstes zu tun sei. „Wir sind verloren. Sie werden uns in Stücke reißen. Aber stell dich trotzdem hinter mich, Dorothy, so lange ich irgend kann, werde ich kämpfen und dich beschützen.“
„Moment mal!“ schrie da der Scheuch, der ebenfalls überlegt hatte, was man noch tun könnte. „Holzfäller, schnell, hack dem Baum die Krone ab! Mach schnell, sie kommen immer näher!“ Der Holzfäller hatte verstanden und hackte so schnell er nur konnte. Wie gut, dass er nie müde wurde! Und tatsächlich, die beiden Kalidahs hatten den Baum fast überquert, als der Holzfäller den letzten großen Ast durchtrennte und der Baum mitsamt den Bestien in den Graben hinunter stürzte!
„Das war knapp!“ seufzte der Löwe. „Ich hänge doch sehr an meinem Leben. Wie traurig wäre es, wenn es schon zu Ende wäre. Du lieber Himmel, haben mich diese Biester erschreckt. Mein Herz klopft immer noch wie verrückt.“ „Ach, hätte ich doch ein Herz, das so klopfen konnte könnte“, warf der Holzfäller ein.
Alle wollten schnell weitergehen und beeilten sich, den Graben hinter sich zu lassen. Aber Dorothy ermüdete schnell, und so nahm der Löwe sie auf seinen Rücken. Glücklicherweise wurde der Wald wieder lichter, und am Nachmittag kamen sie zu einem breiten Fluss. Auf der anderen Seite des Flusses. Auf der anderen Seite des Flusses konnten sie sehen, wie die gelbe Ziegelsteinstraße durch eine wunderschöne Landschaft führte. Da waren sanftgrüne Wiesen, die mit Blumen übersät waren, und Bäume, die voll mit den köstlichsten Früchten hingen. Was waren die Wanderer von diesem Anblick entzückt!
„Wie kommen wir nun über diesen Fluss?“ fragte Dorothy. „Das ist doch klar“, antwortete der Scheuch. „Der Holzfäller baut uns ein Floß. Dann können wir über den Fluss fahren.“ Gesagt, getan. Der Holzfäller fällte kleine Bäume für ein Floß, und der Scheuch entdeckte einen Baum mit den feinsten Früchten. Die brachte er Dorothy. Dorothy freute sich sehr, denn sie hatte den ganzen Tag nur Nüsse gegessen, und ließ sich die Früchte schmecken. Aber es dauerte doch seine Zeit, ein Floß zu bauen, selbst wenn man solch einen unermüdlichen Arbeiter hatte wie den Holzfäller. Als die Nacht kam, war das Floß noch nicht fertig. So legten sie sich wieder unter einem Baum zur Ruhe und schliefen gut; Dorothy träumte von der Smaragdstadt und dem guten Zauber Oz, der sie bald nach Hause bringen würde.