Sekundenlang verschlug es mir den Atem. Als ich wieder zu mir selbst fand, fiel eine drückende Last der Verantwortung von meinen Schultern. Diese ironische, kühle, schneidende Stimme konnte auf der ganzen Welt nur einem Mann gehören. Ich bückte mich, um durch den roh behauenen Türsturz heraustreten zu können.
"Holmes!", rief ich. Er saß tatsächlich vor der Hütte auf einem Stein. Seine grauen Augen funkelten vergnügt, als er mein verblüfftes Gesicht betrachtete. Abgemagert und ausgemergelt wirkte er, aber dennoch gesund und frisch. Sein scharfkantiges Gesicht war sonnengebräunt und windgegerbt. In seiner Kleidung konnte er als gewöhnlicher Moortourist durchgehen. Sein Kinn war glatt rasiert und sein Hemd so reinlich, als wäre er in seiner Wohnung in der Baker Street.
"Noch nie habe ich mich über den Anblick eines Menschen so gefreut!", rief ich und schüttelte ihm die Hand. Holmes wollte wissen, wie ich seinen kleinen Schlupfwinkel entdeckt hatte. "Hielten Sie mich wirklich für diesen Verbrecher, Watson?"
"Nein. Dennoch wusste ich nicht, wer hier hauste. Aber ich war fest entschlossen, es herauszufinden."
Holmes lobte mich. Gleichzeitig gab er zu, in der Nacht, als wir Jagd auf den Sträfling gemacht hatten, unvorsichtig gewesen zu sein. Nur deshalb hatte ich ihn im Mondlicht sehen können. Ich erklärte ihm, dass wir zudem den Jungen beobachtet hätten, der ihm Essen gebracht hatte.
Er erklärte mir, dass er diesen Boten, Cartwright, aus London mitgebracht hätte. Und natürlich hatte er bereits bemerkt, dass er durch Mr. Falklands Fernrohr beobachtet worden war. Besonders freute er sich darüber, dass ich in Coombe Tracey gewesen war, bei Mrs. Laura Lyons.
Trotzdem war ich ein wenig verschnupft darüber, dass Holmes mich nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Das hatte ich wirklich nicht verdient. Er jedoch versicherte mir, dass ich ihm gerade deshalb unschätzbare Dienste erwiesen hätte. Außerdem hatte ihn die Erkenntnis, in welcher Gefahr ich schwebte, dazu bewogen, ins Moor zu kommen, um die Sache mit eigenen Augen zu sehen.
"Aber meine Berichte, ich hatte mir solche Mühe gegeben." Während ich das sagte, zog Holmes die zerlesenen Papiere gebündelt hervor. Er hatte sie sich nachschicken lassen und war mit nur einem Tag Verspätung immer aufs Neueste informiert. Er lobte mich noch einmal, ob meines Eifers und meiner Geschicklichkeit in diesem außerordentlich verzwickten Fall.
Dann musste ich Holmes von meinem Besuch bei Laura Lyons berichten. Es interessierte ihn so sehr, dass ich meine Ausführungen mehrmals wiederholen musste, bis er sich zufriedengab. Er erklärte: "Wissen Sie, Watson, Ihre Informationen füllen eine Lücke aus, die ich bisher nicht einordnen konnte. Vielleicht ist Ihnen bereits bekannt, dass Mrs. Lyons und Stapleton in einer innigen Vertraulichkeit zueinanderstehen?"
Ich verneinte und ließ mir von Holmes seine Erkenntnisse erzählen. Er hoffte, sein neues Wissen dazu benutzen zu können, Stapletons Frau von ihm zu lösen … Verblüfft fragte ich: "Stapletons Frau?"
"Ja, das ist Ihnen neu, nicht wahr? Die Dame, die alle hier für Stapletons Schwester halten, ist in Wirklichkeit seine Gattin."
Ich staunte nicht schlecht, und fragte sogleich, woher er das denn wissen wollte. Holmes hatte die Antwort schon parat. "Bei Ihrer ersten Begegnung hat Stapleton sich derart vergessen, dass er Ihnen eine wahre Begebenheit aus seinem Leben erzählte. Sicherlich hat er das schon oft bereut. Sie erinnern sich - er war Direktor an einer Schule in Nordengland. Es war für mich leicht, kleine Nachforschungen über ihn anzustellen. Dabei stellte sich heraus, dass seine Schule unter ungeheuerlichen Umständen zugrunde gegangen war und dass er mit seiner Frau verschwunden ist. Die Namen lauteten anders, aber die Beschreibung der beiden passte haargenau. Außerdem wurde mir berichtet, dass der flüchtige Lehrer sich besonders für Schmetterlingskunde interessierte. Da gab es keine Zweifel mehr."
"Wenn seine angebliche Schwester in Wahrheit seine Frau ist, was will er dann mit Mrs. Lyons?"
"Tja, das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich will Mrs. Lyons sich scheiden lassen und erhofft sich, dass Stapleton - den sie für einen Junggesellen hält - sie heiraten wird."
Wir beschlossen, dass wir am nächsten Morgen als Erstes gemeinsam Mrs. Laura Lyons aufsuchen würden. Dann schickte Holmes mich zu Sir Henry. Ihn hatte ich nun wahrlich fast schon zu lange alleine gelassen.
Nächtliches Dunkel lag über dem Moor, nur wenige schwache Sterne funkelten am Himmel. Ich erhob mich. "Eine letzte Frage noch, Holmes. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander, oder? Was bedeutet dies alles. Welchen Zweck verfolgt der Mörder?"
Holmes flüsterte: "Es ist kaltblütiger, abgefeimter Mord. Meine Netze ziehen sich langsam um ihn herum zusammen, dank Ihrer Hilfe. Ein Tag, höchstens zwei, dann habe ich meine Ermittlungen abgeschlossen. Bis dahin müssen sie über Sir Henry wachen, wie eine Mutter bei ihrem kranken Kind. Ihr Tagwerk heute war berechtigt, trotzdem wünschte ich, Sie wären bei ihm geblieben. Hören Sie!"