Sherlock Holmes hatte die unübertreffliche Begabung, sich nach Wunsch von dem, was ihn gerade Beschäftigte, abzulenken. Er hatte zwei Stunden lang für nichts anderes Sinn als für die Bilder moderner belgischer Künstler.
Als wir im Hotel ankamen, meldete der Hotelportier uns umgehend bei Sir Henry Baskerville an. Doch bevor der Portier uns ins Zimmer führte, warf Holmes noch einen Blick auf die Gästeliste. Nach kurzer Rücksprache waren wir uns sicher, dass die Leute, die so ein intensives Interesse an unserem Freund hatten, nicht in diesem Hotel abgestiegen waren. Holmes meinte: "Es ist den Spähern wohl ebenso bedeutend, ihn zu beobachten, wie es ihnen wichtig ist, nicht von ihm gesehen zu werden.
Wir waren gerade am obersten Treppenabsatz, als uns Sir Henry Baskerville zornigen Blickes entgegenkam. In seiner Hand hielt er einen staubigen, alten schwarzen Schuh. "Zum Donnerwetter! Erst fehlt mein neuer brauner Schuh und nun mein alter schwarzer. Wenn der Kerl meinen Schuh nicht findet, dann setzt es aber was!", rief er wütend.
Der aufgeregte Hausdiener erschien: "Ich habe im ganzen Hotel herumgefragt, niemand weiß etwas über Ihren Schuh!"
Holmes fragte interessiert nach. Er nahm diese scheinbar belanglose Geschichte sehr ernst. Keiner seiner fünfhundert besonders wichtigen Fälle, die er in den vergangenen Jahren gelöst hatte, war derart verzwickt.
Das Mittagessen verlief sehr angenehm. Als wir dann in Sir Henrys Zimmer waren, fragte Holmes ihn nach seinen Absichten. Sir Henry hatte vor, sich Ende dieser Woche nach Baskerville Hall zu begeben.
"Ich finde befürworte Ihren Entschluss", meinte Holmes, "da ich inzwischen doch klare Beweise habe, dass Sie in dieser Millionenstadt beschattet werden. Sie wurden heute Morgen von meinem Haus aus verfolgt. Dr. Mortimer, gibt es unter Ihren Bekannten in Dartmoor einen Mann mit dichtem schwarzem Bart?"
"Natürlich. Barrymore, der Butler von Sir Charles. Er verwaltet Baskerville Hall", antwortete Dr. Mortimer.
Dann werden wir jetzt diesem Herrn ein Telegramm schicken und vermerken, dass im Falle seiner Abwesenheit das Telegramm wieder zurückgeschickt werden soll. Dann wissen wir, ob besagter Barrymore auf seiner Position in Devonshire ist oder nicht. Auch wenn Sie, lieber Dr. Mortimer, annehmen, dass es achtbare Leute sind, müssen wir jeder Spur folgen.
Holmes und Dr. Mortimer klärten noch, wer denn was geerbt hatte. Es gab wohl einige kleinere Erbteile, doch das Gesamtvermögen belaufe sich auf siebenhundertvierzigtausend Pfund. Eine wirklich große Summe. Holmes fragte: "Wenn unserem Freund hier etwas zustoßen würde, wer wäre der nächste Erbe?"
"Die Erbschaft würde an die Desmonds, entfernte Cousins, übergehen. Eigentlich würdige und schlichte Menschen, die bisher nie Geld von Sir Charles angenommen haben", antwortete Dr. Mortimer.
Nun, Sir Henry, da Sie nun bald nach Baskerville Halls abreisen wollen, stelle ich noch eine Bedingung: Sie dürfen auf keinen Fall alleine reisen. Dr. Watson wird Sie gerne begleiten. Immerhin gilt es, einen der geachtetsten Männer Englands zu schützen. Und da nur ich alleine den Skandal verhindern kann, bin ich in London unabkömmlich."
Ich staunte nicht schlecht über dieses Vertrauen, fühlte mich zudem sehr geschmeichelt. Sir Henry Baskerville überhäufte mich sofort mit seinem Dank und wir verabredeten uns auf Samstag, halb elf Uhr am Paddingtonbahnhof.
Gerade als wir uns verabschieden wollten, erblickte Baskerville seinen braunen Schuh unter dem Schrank. Dr. Mortimer, der zuvor das gesamte Zimmer durchsuchte hatte, stand vor einem Rätsel. Wir auch.
Während wir in die Baker Street zurückfuhren, versuchte Holmes, die rätselhaften Geschehnisse um den Tod von Sir Charles und die Ankunft Sir Henrys zu entschlüsseln. Er versuchte mit gerunzelter Stirn, die zusammenhanglosen Ereignisse aneinanderzufügen.
Kurz vor dem Abendessen kamen zwei Telegramme. Im Ersten stand, dass Barrymore das Telegramm erhalten hätte. Folglich hielt er sich auf Baskerville Hall auf. Und im Zweiten stand, dass Cartwright in den dreiundzwanzig Hotels leider nichts gefunden hätte.
Holmes war enttäuscht. Zwei Spuren waren somit verwischt. Jetzt kann uns nur noch der Kutscher helfen. Da läutete es auch schon und herein kam ein gewöhnlich aussehender Mann, offenbar der Kutscher selbst. "John Clayton, 3. Turpey Street, The Borough. Meine Kutsche steht in Shipleys Yard, in der Umgebung des Waterloobahnhofs", stellte er sich vor.
Holmes forderte den Gast auf, etwas über seinen Fahrgast vom Morgen zu erzählen. Überrascht und etwas verlegen kam der Kutscher seiner Bitte nach. "Der Herr sagte, er sei ein Detektiv und ich dürfte mit niemandem darüber sprechen. Sein Name war Sherlock Holmes."
Selten habe ich meinen Freund so überrascht gesehen. Dann lachte er lauthals. "Ein Hieb, Watson, eine klare Abfuhr. Ich wittere eine Klinge, biegsam und rasch, wie meine Eigene. Diesmal hat er es mir aber gegeben!" Holmes blickte zu dem Kutscher und forderte ihn auf, genau zu berichten, was geschehen war.
"Um halb zehn Uhr rief er mich am Trafalgar Square herbei. Er erklärte, er sei Detektiv und versprach mir zwei Pfund, wenn ich alles tun würde, was er von mir verlangte, ohne zu hinterfragen. Das nahm ich gerne an. Zuerst fuhren wir zum Northumberland Hotel. Dort warteten wir, bis zwei Herren herauskamen und in einen Wagen stiegen. Denen folgten wir, bis sie irgendwo ausstiegen. Wir blieben mit unserem Wagen etwas weiter zurück in der Straße und warteten ungefähr anderthalb Stunden. Dann gingen die zwei Herren an uns vorüber und wir folgten ihnen, bis wir fast in der Regent Street angelangt waren. Da befahl mir mein Fahrgast, ich möge sofort, so rasch ich könne, zum Waterloobahnhof fahren. Und das tat ich dann, bekam meine zwei Pfund und er ging in den Bahnhof hinein."
Leider konnte der Kutscher seinen Fahrgast nicht genauer beschreiben, außer dass er einen schwarzen Bart und ein blasses Gesicht hatte. Nicht einmal die Augenfarbe konnte er ausmachen. Für seine Dienste gab Holmes dem Mann ein halbes Pfund und versprach ihm noch ein Halbes, wenn ihm etwas Interessantes einfallen würde.
Holmes war enttäuscht, dass nun auch die dritte Spur im Sande verlief. "Ein geschickter Halunke! Er wusste unsere Hausnummer, wusste von dem Besuch Baskervilles und Mortimers und bemerkte mich in der Regent Street. Er sah voraus, dass ich über die Nummer des Wagens den Kutscher herausfinden würde, und ließ ihn deshalb diese freche Nachricht überbringen. Eine Kampfansage. Watson, diesmal haben wir es mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun. Ich kann Ihnen für Devonshire nur viel Glück wünschen, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl."
"Weshalb?"
"Es ist eine garstige Angelegenheit, Watson, und gefährlich. Je mehr ich hineinblicke, desto weniger gefällt sie mir. Nein, lachen Sie nicht, mein Lieber, ich bin jetzt schon froh, wenn Sie gesund wieder zu mir zurückkehren."