Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Heute ist der 31. August, herzlich willkommen zu "Typisch Helene", zur ersten Sendung nach der Sommerpause! Und ich begrüsse auch alle Zuhörer im Ausland, in Holland, Ägypten, Spanien und den USA. Ich freue mich, dass Sie alle wieder mit dabei sind - es ist schön, zu wissen, dass der Podclub so weit in die Welt hinausstrahlt. Ich hoffe, Sie haben wunderschöne Ferien gehabt, wo auch immer Sie gewesen sind, falls Sie in den Ferien waren, natürlich. Und falls nicht, so hoffe ich doch sehr, dass Sie auch hier in der Schweiz eine erholsame Zeit verbracht haben. Ich war zwei Wochen lang in Schweden, in Göteborg, und wie fast immer auf meiner Lieblingsinsel Käringön. Sie liegt ganz im Westen und ist die während des ganzen Jahres bewohnt. Sie hat einen besonderen Charme, der mich immer wieder fasziniert und von dem ich nie genug bekommen kann. Ehrlich gesagt, ich wäre am liebsten noch viel länger geblieben. Aber - nun bin ich zurück und voller Tatendrang [1]. Deshalb legen wir gleich los: Ich erzähle Ihnen als erstes von einer ganz besonderen Hochzeit. Danach mache ich wieder mal meinem Ärger über Menschen Luft [2], die süchtig [3] sind nach ihren Smartphones, und zum Schluss geht's noch darum, warum man oft erst zum Star wird, nachdem man so richtig versagt [4] hat.
Vor einigen Wochen, liebe Zuhörer, war ich an einer Hochzeit, an einer ganz speziellen Hochzeit. Na ja, eigentlich war sie gar nicht so besonders speziell; es haben zwei Menschen geheiratet, die einander seit vielen Jahren lieben, die wunderbar zueinander passen - und die mir beide sehr viel bedeuten. Meine Freundin und ehemalige Arbeitskollegin Simone hat endlich ihre grosse Liebe geheiratet, ihre Lebenspartnerin Kathrin. Es war eine Hochzeit, an der sich nicht ein Mann und eine Frau das Ja-Wort gegeben haben, sondern zwei Frauen. Ja, es war die Hochzeit eines Lesben-Paars. Seit Oktober 2004 gibt es in der Schweiz das sogenannte Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher [5] Paare. Das Gesetz erlaubt es homosexuellen Paaren, ihre Partnerschaft offiziell registrieren zu lassen. Ihr Zivilstand heisst danach zwar nicht "verheiratet", sondern "in eingetragener Partnerschaft" lebend, aber schlussendlich geht es einfach ums Heiraten. Simone und Kathrin, auf jeden Fall, haben immer nur von ihrer Hochzeit gesprochen und nie von einer eingetragenen Partnerschaft. Vielleicht zucken Sie jetzt zusammen [6], vielleicht runzeln Sie die Stirn, vielleicht denken Sie: "Warum sollen Homosexuelle überhaupt heiraten?", oder "Was wird denn das bloss für ein Fest?" Ein Freund von mir fragte: "Haben die nun auf ihrer Hochzeitstorte zwei Frauenfiguren aus Marzipan?" Und ein anderer fragte: "Wer trägt denn da das lange weisse Kleid, wer den Anzug? Welche der beiden Frauen ist der Mann in der Beziehung?" Sie sehen, liebe Zuhörer, eine Hochzeit von zwei Frauen ist noch immer etwas Ungewöhnliches. Auch für mich, natürlich. Ich war noch nie an einer solchen Hochzeit. Ich kenne nur die Feiern von heterosexuellen Paaren, und die waren, mit einigen Ausnahmen, eigentlich immer ziemlich bieder [7]. Und wissen Sie was? Die Hochzeit von Simone und Kathrin war eines der schönsten Feste, das ich je erlebt habe. Für die Zeremonie auf dem Standesamt trug die eine Braut ein schwarzes, die andere ein weisses, knielanges Kleid. Die Kleider waren vom Designer Max Mara, wie mir Simone zuflüsterte, als ich ihr gratulierte. Die Beamtin, die die Zeremonie durchführte, wirkte zuerst zwar ein bisschen verkrampft. Aber als sich Simone und Kathrin dann übermütig küssten, und die Mütter und Väter, die Schwestern und Brüder, die Freundinnen und Freunde und die ganze Verwandtschaft jubelten und applaudierten, da lächelte auch die Standesbeamtin. Danach fuhren wir zu einem traumhaften Restaurant am See, wo wir weiter feierten. Simone und Kathrin hatten sich für das Fest am Abend sensationelle Kleider schneidern lassen. Simone trug eine lange, altrosa Robe [8], Kathrin eine weisse mit Pailletten. Sie sahen aus, als würden sie gleich auf eine Opernbühne steigen, so dramatisch und schön waren sie. Es gab köstlichen Champagner, hervorragenden Wein und zart gebratenes Fleisch. Die Bräute verzichteten auf peinliche Showeinlagen, sie hatten uns im Vorfeld der Hochzeit sogar gebeten, ja keine dümmlichen Produktionen aufzuführen. Sie hatten auch keine konventionelle Hochzeitstorte, sondern liessen Erdbeeren mit Pfefferminze und Schokoladenmousse servieren. Und das Beste war: Sie hatten einen DJ engagiert, der super Musik auflegte [9]. Er spielte "Dancing Queen", "Born to be alive", "YMCA", all die wunderbaren alten Hits, die uns bis morgens um halb zwei Uhr tanzen liessen. Und auf der Tanzfläche waren Grossmütter und Grossväter, Mütter und Väter, Tanten und Cousinen, dreijährige Mädchen, Teenager, die 40jährigen Freundinnen und Freunde. Und Männer küssten Männer, Frauen küssten Frauen, Frauen küssten Männer, und Männer küssten Frauen, und dabei drehte sich alles um eines: Um Menschen, die einander lieben.
*******
Uff, jetzt muss ich fast weinen, ich bin in letzter Zeit immer so schnell gerührt. Ich fürchte, das ist nun das Alter. Mir sind meine Tränen der Rührung immer ein bisschen peinlich, aber langsam stehe ich dazu. Es bleibt mir auch nichts anderes übrig. Aber um wenigstens nicht auszusehen wie ein Zebra, wenn mir die Tränen spontan über die Wangen laufen, trage ich einfach immer wasserfeste Wimperntusche [10]. Das hilft enorm! So, nun aber zu unserem nächsten Thema. Ich habe Ihnen, glaube ich, schon einmal erzählt, wie sehr ich es hasse, wenn Leute während eines Treffens oder eines Essen mit ihren Smartphones herumspielen, Nachrichten beantworten oder SMS verschicken. Ich war kürzlich an einer Geburtstagsparty einer Freundin. Sie hatte 12 Gäste eingeladen, 9 Frauen und 3 Männer, und in einem schönen Restaurant einen Tisch reserviert. Ich hatte mich sehr auf diesen Abend gefreut, hatte mich hübsch angezogen und war bestens aufgelegt. Aber - meine gute Laune ist leider sehr schnell verflogen: Schon nach einer halben Stunde begann einer der Männer SMS zu verschicken. Er hielt sein Handy auf den Knien und blickte kaum noch auf. Ich sagte ihm, dass ich sein Benehmen extrem unhöflich finde. Er antwortete nur: "Ach, ich muss mit der Welt kommunizieren." - "Deine Welt ist das Hier und Jetzt", antwortete seine Tischnachbarin trocken. "Wenn du mit dem Telefon spielst, gibst du uns zu verstehen, dass du dich nicht für uns interessierst." Aber er zuckte nur mit den Schultern und schrieb weiter. Nach einer Stunde hielten schon etwa 7 Leute ihr Telefon auf den Knien. Sie checkten ihre Statusmeldungen auf Facebook und schickten einander Freundschaftsanfragen - wussten aber nicht, was sie miteinander reden sollten. Es gab immer wieder stille Minuten am Tisch, in denen wohl alle krampfhaft nach einem Thema suchten. Es war schrecklich. Wäre ich doch lieber auf meinem Balkon geblieben und hätte Arabisch gelernt! Davon hätte ich viel mehr gehabt! Ich war so wütend, dass ich am nächsten Tag einen Smartphone-Knigge [11] schrieb, der nun in den kommenden Wochen publiziert wird. Er besteht aus drei Punkten. Und die lauten so: Erstens: Man soll sich während des Essens nur auf das Gegenüber konzentrieren. Wer mit dem Telefon herumspielt, Nachrichten liest und sie erst noch am Tisch beantwortet, gibt seinem Gegenüber zu verstehen: "Du interessierst mich nicht". Und dies gilt nicht nur für die Essens-Situation. Zweitens: Man soll das Telefon nicht auf den Tisch legen. Denn einerseits ist eine solche Geste pubertär, andererseits sind Smartphones längst keine Statussymbole mehr, selbst das iPhone nicht. Wer etwas von sich - und seinem Gegenüber hält - lässt das Telefon in der Tasche. Drittens: Man soll keine Apps vorführen. Apps sind nie aufregender, als das, was gerade in der realen Welt passiert. Wer zwischen den Gängen den neusten App zeigt, signalisiert: "Ich habe nichts zu sagen." Und dann habe ich bei meinen Recherchen noch das hier gefunden: Das Smartphone-Roulette. Es ist ein Spiel, mit dem sich der Smartphone-Missbrauch möglicherweise bekämpfen lässt. Dabei müssen alle Gäste ihre Handys in die Mitte des Tisches legen und dürfen das Telefon dann während des Essens nicht anfassen, selbst wenn es noch so piepst oder vibriert. Wer es trotzdem tut, bezahlt die ganze Runde [12]. Ha, das könnte teuer werden! Grimmig [13] schickte ich den Hinweis auf das Smartphone-Roulette an den hartnäckigen Handybenutzer, der mich an der Party so verärgert hatte. "Aha, du hoffst auf ein billiges Essen!", antwortete er mir. "Nein", schrieb ich zurück. "Ich hoffe, dass die Essen in Zukunft weniger billig werden!"
*******
Aber jetzt, zum Schluss, noch etwas Ermutigendes, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Haben Sie manchmal auch Angst, dass Sie einmal etwas nicht schaffen? Dass Sie versagen? Dass Sie ganz furchtbar auf die Nase fallen [14]? Dann hören Sie sich bitte an, wer auch schon ganz schrecklich versagt hat, aber vielleicht gerade deswegen danach zum Star geworden ist. Ich habe nämlich kürzlich zum Thema Versagen recherchiert und bin auf eine hochinteressante Liste gestossen [15]. Die will ich Ihnen nicht vorenthalten [16]: Also, der Basketballspieler Michael Jordan, zum Beispiel, der ja ein absoluter Superstar ist, wurde aus seinem High School Basketball-Team geworfen. Er hatte einen Mangel an Fähigkeiten, sagten seine Trainer. Der grosse Comiczeichner Walt Disney wurde während seiner ersten Arbeitsjahre an einer Zeitung verspottet [17]. Ein Redaktor meinte, er hätte keine Phantasie und keine originellen Ideen. Heute macht die Firma Disney einen Umsatz von 30 Milliarden Dollar im Jahr. Die Decca Recording Studios wollten nichts von den Beatles wissen. "Wir mögen ihren Sound nicht, Sie haben im Showbusiness keine Chance", sagten die Chefs und schickten die Musiker weg. Und wir wissen ja alle, wie berühmt die Beatles geworden sind. Und, das finde ich ja ganz speziell: 1947 liessen die Filmbosse von 20th Century Fox Marilyn Monroe fallen - bloss ein Jahr, nachdem sie ihren Vertrag unterschrieben hatte. Ihr Produzent sagte, sie sei unattraktiv und könne nicht schauspielern. Ach, wie Unrecht er doch hatte. Das Fazit? Ich glaube, dass Versagen neue Türen öffnen kann. Denn ist man mal ganz unten, überlegt man sich, was man in Zukunft anders machen kann, sieht sich nach neuen Möglichkeiten und Chancen um und hat dann dadurch vielleicht mehr Erfolg als je zuvor.
******
1 der Tatendrang: Lust, viele Sachen zu machen
2 Luft machen: ventilieren, etwas aussprechen
3 süchtig sein nach: nicht leben können ohne
4 versagen: etwas nicht schaffen
5 gleichgeschlechtlich: von gleichem Geschlecht
6 zusammen zucken: überrascht oder erschreckt sein
7 bieder: konventionell
8 die Robe: Abendkleid
9 Musik auflegen: spielen
10 die Wimperntusche: Mascara
11 der Knigge: Regeln, wie man sich benehmen soll.
12 die Runde: alle Gäste
13 grimmig: verärgert
14 auf die Nase fallen: versagen
15 stossen auf: finden
16 nicht vorenthalten: zeigen, präsentieren
17 verspotten: auslachen