Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich begrüsse Sie ganz herzlich zur Sendung "Typisch Helene". Heute haben wir den 24. Februar, und haben Sie gemerkt, dass die Tage bereits länger und heller werden? Dass die Vögel zwitschern und einige Bäume schon Knospen haben? Dass der Himmel früh morgens, wenn man zur Arbeit geht, rosa schimmert [1]? Ah, ich liebe diese ersten, zarten Anzeichen [2] des Frühlings. Denn sie zeigen mir, dass der Winter langsam aber sicher vorbei ist, und dass es nun nicht mehr allzu lange dauert, bis auch die Temperaturen wieder steigen. Ja, und jetzt ist natürlich auch in vielen Städten der Schweiz Fasnacht. Masken und Guugenmusiken [3] dominieren die Strassen. Es ist eine wundervolle Zeit! Und deshalb werde ich nun auch gleich ein bisschen besinnlich [4]: Ich erzähle Ihnen nämlich als erstes über eine Licht- und Segensfeier, die die katholische Kirche für Tauffamilien [5] veranstaltet. Dann mache ich einen abrupten Themenwechsel und rede über Pilze an Zimmerwänden, und zum Schluss berichte ich Ihnen noch von meinen neuesten Beobachtungen zur Lektüre im Tram.
Letzte Woche rief mich meine Schwester an: "Helene", sagte sie, "hast du am nächsten Samstagmorgen Zeit? Kannst du nach Luzern kommen? Mia hat ein Fest in der Franziskaner Kirche. Wäre super, wenn du dabei wärst!" Ich habe Ihnen ja bereits einige Male von meiner Nichte Mia-Sophia erzählt. Sie ist inzwischen 14 Monate alt, rennt wie wild herum, klettert auf alles, was sie findet und brüllt entsetzlich, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Mia-Sophia wurde im vergangenen Mai in der Franziskaner Kirche in Luzern getauft. Und anscheinend macht diese Kirche für alle Kinder, die getauft wurden, einige Monate später eine so genannte Licht- und Segensfeier. Ich war erstaunt, als ich das hörte. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es so eine Feier gibt. Ich erfuhr dann, dass diese Licht- und Segensfeier ein Fest ist, das an die Taufe erinnern soll. Und es scheint so, als möchten sehr viele an die Taufe erinnert werden: Denn ich war total überrascht, als ich sah, wie viele Menschen an diesem Samstagmorgen in die Kirche gekommen waren. Es wimmelte von [6] Babys, Kindern, Eltern und Verwandten. "Wow!", dachte ich. "Das ist wahnsinnig. So viele Leute! Und ich hatte geglaubt, die Kirche leide an Besuchermangel!" Meine Nichte blickt staunend um sich und war ganz still, fast ein bisschen andächtig [7]. Es war ja auch alles neu für sie.
Zuerst durften wir die ganze Kirche erforschen. Mia und ich gingen sofort die Treppe zur Orgel hinauf, drückten auf die Tasten und untersuchten die Pedale. Danach standen wir am Geländer und schauten lange auf das Kirchenschiff [8] hinunter. Das war sehr eindrucksvoll. Ich sah wie Mias Augen leuchteten und war gerührt. Und ich war natürlich auch sehr stolz darauf, dass sie nicht brüllte und schrie, wie viele andere Kinder, sondern alles genau beobachtete und konzentriert an ihrem Nuggi [9] sog. Nach der Entdeckungstour durften dann alle Kinder ihre Taufkerzen anzünden. Taufkerzen sind schöne lange Kerzen, die man in der katholischen Kirche bei der Taufe bekommt. Sie können sich sicher vorstellen, wie lange es dauert, bis alle Kinder ihre Kerze angezündet haben. Eine ganz lange Weile! Aber als die Kerzen endlich alle brannten, versammelten wir uns in einem Kreis. Wir begannen ein Lied zu singen und schritten langsam durch den Kirchengang zum Raum, in dem der Taufstein steht, und als wir dort angekommen waren, läutete die Glocke. Sie läutete, damit alle Menschen in Luzern hören sollten, dass hier, in dieser Kirche gerade eine schöne Feier stattfand. Ich muss zugeben, das war sehr bewegend. Zum Schluss legte der Pfarrer den Kindern nach altkirchlichem Brauch die Hand auf den Kopf und schenkte ihnen eine schöne Glasmalerei, auf der ihr Namen geschrieben stand. Ich muss sagen, es war wunderschön. Ich bin ja der Kirche gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt, aber diese Feier, die war nun wirklich geglückt.
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Ach, nun bin ich schon wieder gerührt, liebe Zuhörer. Meine Nichte Mia-Sophia war nach der Feier übrigens extrem gut drauf. Ich denke, sie findet es super, wenn sie schöne Kleider tragen und ihre goldene Halskette anziehen darf, die ich ihr zur Taufe geschenkt habe. Ach, ich könnte Ihnen noch stundenlang von meiner Nichte erzählen, aber ich glaube, das würde dann nur mich selbst interessieren. Deshalb wechseln wir nun das Thema und tauchen in die Probleme des Alltags ein: Und zwar in den Wohnungs-Alltag. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, mögen Sie Pilze? Ich liebe Pilze. Ich liebe sie im Risotto, in Suppen, ich liebe sie gebraten, gedämpft [10] oder auch frisch als Salat. Ich liebe es, sie im Wald zu sehen, sie anzufassen und an ihnen zu riechen.
Pilze sind etwas Wunderbares, aber etwas ziemlich Übles [11], wenn sie an Wohnungs- oder Hauswänden auftauchen. Die Rede ist von Schimmelpilzen. Schimmelpilze entstehen dann, wenn die Innenwände einer Wohnung konstant zu feucht sind. Das geschieht, wenn man am Morgen nach dem Duschen zu wenig lüftet [12], nasse Wäsche häufig in der Wohnung zum Trocknen aufhängt oder ganz einfach vergisst, die Fenster morgens und abends zu öffnen, damit die warme, stickige Luft wieder hinaus kann und die Luftfeuchtigkeit in der Wohnung reguliert wird. Vor einigen Tagen habe ich an einer Wand in meiner Wohnung Schimmelpilze entdeckt. Ich war seit langem endlich wieder einmal tagsüber zu Hause und wollte putzen, waschen, staubsaugen, was man eben so tun muss, wenn man lange nicht mehr tagsüber zu Hause war. Da sah ich ihn: Unten links in der Ecke, grün-grau, bereits etwa 50 Zentimeter lang, und er begann schon, die Wand hoch zu klettern, schrecklich! Widerlich. Und das bei mir! Was hatte ich falsch gemacht? Schimmelpilz ist nämlich nicht so harmlos. Er kann Allergien, Asthma oder Magenprobleme verursachen, und Menschen, deren Immunsystem durch eine schwere Krankheit, wie zum Beispiel Krebs, geschwächt ist, können durch Schimmelpilze noch kränker werden. Nun bin ich Gott sei Dank einigermassen gesund, aber den Pilz wollte ich nicht. Der musste weg. Und zwar schnell! Inzwischen sind bereits zwei Malermeister und Schimmelexperten bei mir gewesen. Nun muss die Verwaltung [13] entscheiden, wer von den beiden meine Pilze pflücken darf. Aber egal, wer es sein wird: Sie müssen drei Wochen lang in meiner Wohnung arbeiten. Uff, wie das wohl sein wird? Muss ich ausziehen? In einem Hotel übernachten? Ich werde Ihnen davon erzählen. Bis dahin konzentriere ich mich aber erst mal auf die Pilze für mein nächstes Risotto!
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Und nun zum Schluss noch Folgendes, liebe Zuhörer. Ich habe Ihnen doch einmal davon erzählt, dass ich in den Trams, Zügen oder Bussen demonstrativ Kaufzeitungen wie der Tagesanzeiger oder die NZZ lese, um gegen Gratiszeitungen zu protestieren. Denn ich finde, journalistische Arbeit muss etwas wert sein, die soll nicht gratis konsumiert werden. Nun sind zwar die Gratiszeitungen 20 Minuten und Blick am Abend aus den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr wegzudenken, selbst ich habe mich daran gewöhnt und lese, was mir in die Finger kommt. Nun beobachte ich aber seit einiger Zeit, dass die Lesegewohnheiten der Tram- und Zugreisenden vielfältiger geworden sind. Heute morgen, zum Beispiel, sass ich neben einem jungen, bärtigen Mann, der einen Science Fiction-Roman las. Vor mir sass jemand, der ein philosophisches Buch in den Händen hielt, hinter mir studierte eine ältere Frau die Bibel, wiederum eine andere hielt ein Heft mit mathematischen Formeln auf den Knien und ganz hinten war ein älterer Herr in die Frankfurter Allgemeine vertieft. Ja, und ich selbst versuchte mich auf meine arabischen Vokabeln zu konzentrieren. Was mir bei so viel aufregender Lektüre um mich herum natürlich schwer fiel. Aber, ich muss sagen: Meine Beobachtungen erfüllen mich mit Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Leute sehr gerne für ihre Lektüre bezahlen - und dass Lektüre auf Papier noch lange nicht aussterben wird.
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[1] schimmern: schwach leuchten
[2] die Anzeichen: erste Signale
[3] die Guugenmusik: Musikgruppen an der Fasnacht
[4] besinnlich: andächtig, voller Andacht
[5] die Tauffamilie: Familie, deren Kind getauft worden ist
[6] es wimmelte von: es hatte ganz viele
[7] andächtig: besinnlich
[8] das Kirchenschiff: Mittelteil einer Kirche
[9] der Nuggi: Schnuller
[10] dämpfen: Gemüse in Wasser kochen
[11] Übels: nicht gut, schlecht
[12] lüften: Fenster offen haben
[13] die Verwaltung: Management von Mietwohnungen