In einem Bache, der wie ein Spiegel leuchtete und an Lieblichkeit und Süße mit der Quelle des Lebenswassers und mit dem Paradiesesbrunnen Selsebil wetteiferte, lebten zwei Enten und eine Schildkröte. Infolge ihrer Nachbarschaft war unter ihnen die engste Freundschaft entstanden. Plötzlich drohte das grimme Geschick, ihr Zusammensein zu trennen. In dem Teiche, in dem sie ihren Lebensunterhalt fanden, machte sich von Tag zu Tag eine Abnahme des Wassers bemerkbar.
Als die Enten ihre traurige Lage bemerkten, entschlossen sie sich, ihre ihnen liebgewordene Heimat zu verlassen und in die Fremde zu ziehen. In Niedergeschlagenheit gingen sie mit feuchten Augen zu der Schildkröte und sagten ihr Lebewohl. Als diese von der Abreise der Freunde hörte, jammerte und wehklagte sie: „Wie sollte ich ohne euch denkbar sein. Jetzt habe ich kaum die Kraft, euch Lebewohl zu sagen. Wie sollte ich die Trennung ertragen?“ Die Enten erwiderten: „Auch unser Herz ist von dem Stachel der Trennung verwundet und unsere Brust brennt von dem Feuer der Abreise. Aber der Wassermangel droht unser Leben zu vernichten, so müssen wir notgedrungen [268]in die Ferne ziehen und den lieben Freund und das paradiesische Land verlassen.“
Die Schildkröte sagte: „Der Wassermangel berührt mich auch, denn ohne Wasser ist mein Leben verwüstet. Seid so freundlich und achtet die alte Freundschaft, laßt mich nicht in diesem Unglück allein. Wenn ihr geht, nehmt mich mit.“ Die Enten erwiderten: „Lieber Freund und alter Genosse, die Trennung von dir ist für uns die schlimmste Folter und die böseste Pein. Überall, wo wir in Ruhe und selbst in der größten Bequemlichkeit wohnen, wird unserem Auge der Glanz und unserer Brust die Ruhe fehlen, da wir von deinem lieben Anblick getrennt sind. Auch wir haben weiter kein Verlangen als deine Gesellschaft und weiter keinen Wunsch als deine Kameradschaft. Aber was sollen wir machen? Denn wir können nicht mit dir auf der Erde wandern und mit unserem schwachen Körper und schwachen Füßen Täler und Wüsten durchqueren und du wiederum kannst nicht die Weiten des Himmels durchfliegen. Wie soll da auf dieser Reise Begleitung und Genossenschaft zwischen uns möglich sein?“
Die Schildkröte sagte: „Das überlasse ich wieder eurer Einsicht, und die Lösung dieser Schwierigkeit hängt von eurem Scharfsinn ab. Was könnte ich mit meinem schwachen Geist, der durch den Abschiedsschmerz krank und durch die Trennung von den Freunden ganz gebrochen ist, herausfinden?“ Die Enten erwiderten: „Lieber Freund, wir haben schon an eine Möglichkeit gedacht, aber da wir wissen, daß du etwas leichtsinnig bist, so kannst du wahrscheinlich nicht so, wie wir denken, handeln.“ Die Schildkröte sagte: „Wäre es möglich, daß ich, während ihr zu meinem Besten einen Plan ausdenkt, mein Versprechen nicht halten sollte, obgleich es zu meinem Nutzen ist?“ Die Enten sagten: „Wir können dich unter der Bedingung durch den weiten Himmelsraum tragen, daß du weder Hand noch Fuß rührst und kein Wort sprichst. Denn es werden uns Leute begegnen, die uns irgendein Wort zurufen [269]oder sich sonst irgendwie bemerklich machen. Da ist es nötig, daß du, magst du auch hören und sehen, was du willst, deinen Mund fest unter Siegel hältst.“ Die Schildkröte sagte: „Ich tue, wie ihr befehlt.“
Die Enten brachten einen Stock und steckten die Mitte davon der Schildkröte in das Maul. Sie faßten an beiden Enden an und hoben ihn hoch. Als sie so flogen, kamen sie über ein Dorf. Alle Leute, jung und alt, groß und klein, sahen dies Ereignis und verließen, um es sich genauer anzusehen, die Häuser, wunderten sich und riefen von allen Seiten: „Die Enten tragen eine Schildkröte.“ Eine Zeitlang war die Schildkröte ruhig, dann konnte sie es nicht mehr aushalten und antwortete auf das Gerede der Leute: „ja.“ Sobald sie zur Antwort den Mund geöffnet hatte, fiel sie vom Himmel zur Erde.