Es waren einst zwei Geschäftsgenossen, der eine klug, der andere leichtsinnig. Der eine war in dem Maße schlau und gewandt, daß er durch seinen Zauber, seine Künste und Listen das Wasser vom Fließen und den Vogel vom Fliegen abhielt und durch seinen Scharfsinn aus den Blättern des Heute die Ereignisse des Morgen lesen konnte. Dieser hieß Tizhūsch. Der andere konnte bei seinen Mängeln und seiner Einfältigkeit nicht einmal zwischen Gewinn und Verlust entscheiden. Der hieß Hazim. Diese befiel die Lust zu reisen und Handelsgeschäfte zu treiben und sie machten sich in Kameradschaft auf den Weg.
Sie zogen von Station zu Station. Unterwegs fanden sie durch Gottes Fügung einen Beutel mit vollwichtigen Goldstücken. Diesen sahen sie als einen großen Gewinn und [270]ausreichenden Lebensunterhalt an und machten Halt. Der kluge Gefährte sagte: „Lieber Freund, es gibt viel Gewinn in der Welt, der noch nicht nutzbringend verwendet ist. Ich halte es für das Beste, unsere Reiselust aufzugeben und uns mit diesem Sack Gold zu begnügen, mit diesem Lebensunterhalt zufrieden zu sein und in Ruhe und Gesundheit nach Hause zu gehen.“
Sie kehrten also um und rasteten nahe vor der Stadt. Der einfältige Genosse sagte: „Bruder, wollen diese Beute teilen, wollen unser gemeinsames Geschäft auflösen und von unserm Anteil leben.“ Der Kluge, der allerhand listige Pläne schmiedete, antwortete: „Jetzt ist der Gedanke der Teilung abwegig. Das Richtige ist es, jetzt soviel davon auszugeben, wie wir brauchen, und den Rest mit größter Vorsicht in einem Loche zu deponieren. Nach einigen Tagen kommen wir und nehmen uns so einen bestimmten Teil und verwahren den Rest wieder. So ist es am wenigsten gefährlich und am sichersten.“ Der törichte Genosse ließ sich täuschen und nahm das listige Angebot an. Sie nahmen in dieser Weise, soviel sie brauchten, heraus und vergruben den Rest am Fuße eines Baumes. Dann gingen sie in die Stadt ein jeder in sein Haus.
Der schlaue Genosse ging zum Baume und nahm den Schatz vollständig in eigenen Besitz. Der andere, der nichts davon ahnte, war damit beschäftigt sein Geld auszugeben. Als er damit fertig war, mußte er notgedrungen zu dem klugen Partner gehen, teilte ihm die Sache mit und sagte: „Bruder, komm, wollen uns aus dem Schatz für unsere Ausgaben einen Teil holen. Ich brauche es nötig.“ Tizhūsch stellte sich so, als ob nichts passiert sei, und sagte: „Ob Not oder nicht, ist einerlei, komm, wir wollen hingehen.“ Sie gingen an den bekannten Platz und suchten emsig und eifrig, fanden aber vom Schatz keine Spur. Tizhūsch wurde zornig, packte Hazim am Kragen und sagte: „Natürlich hast du das Geld genommen. Kein anderer außer dir wußte darum.“ Wie sehr der Arme auch jammerte [271]und schwur, es nützte ihm nichts. Kurz, vom Streit kam es zum Prozeß. Der kluge Partner führte den andern vor den Kadi und erzählte diesem die Sache. Hazim sagte nur: „Gott soll mich bewahren.“ Der Kadi forderte von Tizhūsch Beweise für die Richtigkeit seiner Behauptung. Dieser sagte: „Kadi, außer dem Baum, an dessen Fuße das Gold vergraben wurde, habe ich keinen Zeugen. Ich hoffe, daß der allmächtige Gott jenem Baume die Macht der Rede geben wird und ihn gegen den Betrug dieses gemeinen Menschen, der sich den ganzen Schatz genommen und mich um meinen Anteil gebracht hat, Zeugnis ablegen lassen wird.“
Der Kadi wunderte sich über diese Worte und nach langem Hin- und Herreden kam man überein, daß am nächsten Morgen der Kadi persönlich am Fuße jenes Baumes anwesend sein würde und die Zeugnisabgabe des Baumes mit ansehen werde. Sollte das Zeugnis für Tizhūsch günstig sein, würde er dementsprechend das Urteil fällen.
Der kluge Partner ging nach Hause und erzählte seinem Vater die Sache ganz offen. „Vater, ich vertraue dir. Deswegen habe ich diesen Gedanken mit dem Zeugnis des Baumes vorgebracht und in der Hoffnung auf deine Zustimmung habe ich den Setzling dieser List in den Garten des Kadis gepflanzt. Das Gelingen dieser Sache ist an deine Mitwirkung geknüpft. Wenn du einverstanden bist, gewinnen wir so viel Geld und noch mehr und können den Rest unseres Lebens in Behaglichkeit und Zufriedenheit zubringen.“ Der Vater antwortete: „Was soll ich in dieser Sache tun und was ist an meine Mitwirkung geknüpft?“ Der Sohn erwiderte: „Der Baum ist in seinem Innern hohl, und zwar in einem Grade, daß zwei Personen sich darin verbergen können. Du mußt in dieser Nacht hingehen und dich im Innern verstecken. Morgen, wenn der Kadi kommt und das Zeugnis vom Baume fordert, legst du ein ordentliches Zeugnis ab.“ Der Vater sagte: „Sohn, gib die List und den Betrug auf. Selbst wenn du die Leute täuschest, wie willst du es mit Gott machen? Und selbst wenn [272]du mit deinen Betrügereien auf den Richter der Stadt Eindruck machst, wie willst du den Richter des Weltgerichts täuschen?“ Der Sohn antwortete: „Vater, rede nicht soviel und mache dir nicht solche Sorgen! Denn die Sache verursacht nur wenig Mühe und bringt großen Nutzen.“
Schließlich zog die Gier nach Geld und die Liebe zu seiner Familie den armen Vater von dem Ruheplatz des Glaubens und der Frömmigkeit in die Wüste der Ungerechtigkeit und des Verbrechens und das Wort des Korans: „Euer Vermögen und eure Kinder sind eine Versuchung“ erfüllte sich. Er ließ den Weg des Edelmuts beiseite, rollte den Teppich der Ritterlichkeit gänzlich zusammen und fand es für passend, eine solche Sache, die sowohl im göttlichen wie im Gewohnheitsrecht verboten ist, zu begehen. In jener dunklen Nacht ging der ungerechte Vater zu dem Baume, und da er sein Inneres hohl fand, versteckte er sich in der Höhlung. Am Morgen, als der leuchtende Richter, die Sonne, im Gerichtssaal des Himmels erschien und die Täuschung des Morgengrauens43 den Menschen klar wie der Tag wurde, da fanden sich der Kadi und die übrigen Notabeln der Stadt am Fuße des Baumes ein, und das Volk in Scharen stand in Reihen und schaute voll Neugier auf den Baum.