Ein hungriger Wolf durchstreifte eine Steppe und suchte nach Nahrung. Plötzlich sah er einen Hasen in tiefem Schlafe in einem Gebüsch liegen. Der Wolf sah ihn als gute Beute an und ging leise an ihn heran. Der Hase fuhr bei seinem Schnauben und bei seinem Tritte auf und wollte entfliehen. Der Wolf kam ihm entgegen und sagte: „Komm, komm, ich kann ohne dich nicht leben; lauf nicht weg, lauf nicht weg, denn die Trennung würde mich töten.“ Der Hase war aus Furcht vor dem Wolf ganz erschreckt, fing an, ihn demütig zu bitten und sagte unterwürfig: „Ich weiß, daß das Feuer des Hungers des Königs der Tiere brennend und die Glut der Leidenschaft schrecklich ist. Aber ich bin mit meinem schwachen, elenden Körper nur ein Bissen für ihn. Wie sollte der als Nahrung ausreichen, und wie sollte sein [260]Hunger dadurch gestillt werden. Aber in dieser Gegend ist ein Fuchs, der infolge seines Fettes nicht mehr laufen mag und infolge seines vielen Fleisches sich nicht mehr bewegen mag. Ich vermute, daß sein Fleisch an Feinheit des Geschmackes mit dem Lebenswasser wetteifert und sein Fett dem süßesten Scherbet gleichkommt. Wenn also der Herr geruhen und die Mühe auf sich nehmen wollte, dessen abgeschiedenes Heim mit seinem Besuche zu beehren, so werde ich den Fuchs mit den Schlingen der List fangen und vor meinen Herrn bringen. Wenn er dann mit diesem Bissen zufrieden ist, so ist es gut, wenn nicht, so bin ich da und warte auf meinen Tod.“
Der Wolf ließ sich durch den Hasen täuschen und durch seine List verführen und ging zu der Höhle des Fuchses. Dieser war so schlau, daß er in der Betrügerei selbst den Teufel lehren konnte und in der List alle Einbildung übertraf. Der Hase hatte einen alten Streit mit dem Fuchs. Da es sich nun so traf, wollte er die Gelegenheit benutzen und sich an ihm rächen. Als sie zum Hause des Fuchses gekommen waren, ließ er den Wolf draußen und trat selbst durch das Loch ein. Er begrüßte ihn, und der Fuchs empfing ihn mit aller Ehrerbietung. Der Hase sagte: „Wie lange ist es her, daß ich dich besuchen wollte, aber die Ungunst der Zeiten hat mir dieses Glück nicht gegönnt. Jetzt ist nun ein frommer Mann nach seinen gesegneten Fahrten in diese Gegend gekommen. Er hat von deiner Frömmigkeit gehört und hat mich als Mittelsperson benutzt ihn bei dir einzuführen. Wenn du es erlaubst, so ist es gut; wenn irgendein Hindernis vorliegt, kann er zu anderer Zeit kommen.“ Der kluge Fuchs sah unter dieser Rede die List und erkannte auf dem Spiegel dieser Worte das Abbild des Betruges und sagte zu sich: „Das Beste ist es, in dieser Sache ebenso zu verfahren wie sie und ihren Gifttrank ihnen selbst zu trinken zu geben.“ Er begann daher mit Schmeicheleien und Begrüßungsworten und sagte: „Ich stehe immer den Reisenden zu Dienst und halte [261]meine Tür für sie geöffnet, damit ich durch sie gesegnet werde. Besonders gegen einen so frommen Mann, wie du ihn beschreibst, und einen so heiligen Scheich, wie du ihn darstellst, lasse ich es nie an Gastfreundschaft fehlen. Aber ich hoffe, du wirst diesen Heiligen benachrichtigen, daß er so lange warten möge, bis ich meine Wohnung ausgefegt und einen Teppich, für den Gast passend, ausgebreitet habe.“
Der Hase dachte, daß seine List bei dem Fuchse Erfolg gehabt habe, und daß dieser bald mit dem Wolfe sprechen würde, und antwortete: „Der Ankömmling ist ein fremder Mann und legt keinen Wert auf Äußerlichkeiten, aber wenn du nicht davon lassen willst, so will ich dich nicht hindern.“ Mit diesen Worten ging er hinaus und berichtete dem Wolf genau die Angelegenheit und brachte die frohe Nachricht, daß der Fuchs sich habe täuschen lassen, und nach dem Satze: „Jede Neuigkeit bereitet Vergnügen“ schilderte er von neuem das Fleisch und das Fett des Fuchses sowie seine Zartheit und Feinheit. Dem Wolfe lief das Wasser im Munde zusammen, und der Hase hoffte, durch diesen Dienst sich das Leben gerettet zu haben.