In der Stadt Tus lebte ein Mann mit Namen Sejjar. Dieser war sehr reich, aber er war sehr traurig, weil er keinen Sohn hatte. Jeden, den er traf, fragte er, ob er kein Mittel kenne, um einen Sohn zu bekommen. Eines Tages kam ein geschickter griechischer Arzt in sein Haus als Gast. Sejjar teilte auch ihm sein Verlangen nach einem Sohne mit und bat ihn, ihm ein Mittel zu geben. Der gelehrte Arzt nahm aus seinem Wunder bergenden Kasten eine feine Paste und sagte: „Zerstoße sie mit der Galle eines Pfaus, gib es deiner Frau zu trinken und dann vollziehe den Beischlaf mit ihr und, wenn Allah will, wirst [205]du einen Sohn bekommen.“ Am anderen Tage verabschiedete sich der Arzt.
Es gab nun in der Stadt keinen Pfau. Nur der König hatte einen, den er sehr liebte und hütete. Sejjar beriet sich mit seiner Frau Zarife, und sie beschlossen, sich den Pfau auf irgendeine Art zu beschaffen. Eines Nachts gingen sie in den Garten, wo der Pfau war, holten den Pfau mit List heraus und brachten ihn in ihr Haus zu einer Zeit, wo kein Fremder dort war. Sofort schlachteten sie ihn, nahmen seine Galle, zerstießen sie mit der erwähnten Paste und tranken sie. Zarife hatte aber einen Bruder, mit Namen Antar. Zarife konnte aus übergroßer Freude, einen Sohn zu bekommen, nicht mehr an sich halten und erzählte dem Antar die ganze Geschichte. Als am nächsten Tage der Pfau vermißt wurde und der König davon erfuhr, befahl er, ihn zu suchen und versprach einem jeden, der ihn fände oder Kunde von seinem Leben oder Tod bringe, tausend Goldstücke zu geben.
Als dies durch Ausrufer bekannt gegeben wurde, und als Antar von den tausend Goldstücken hörte, da ging er zum König und erzählte ihm die Geschichte. Der König entbrannte vor Zorn über die Frau und befahl, sie zu töten. Seine Vezire sagten aber: „O König, ohne den wahren Sachverhalt der Angelegenheit erforscht zu haben, diese arme Frau umzubringen, ist dem göttlichen Recht zuwider, denn dem Worte eines Mannes, der vielleicht aus Eigennutz ausgesagt hat, darf man nicht vertrauen. Die Frau muß ordentlich ausgefragt werden. Wenn sie ihn wirklich genommen hat, soll sie ihre Strafe erhalten, wenn aber im Gegenteil dieser Mensch nur aus Eigennutz ausgesagt hat, soll er bestraft werden.“
Dem König gefiel der Vorschlag seiner Vezire, und er dämpfte etwas seinen Zorn. Er rief den Antar und sagte: „Mensch, wenn deine Aussage nicht richtig ist, werde ich dich an ihrer Stelle töten.“ Antar antwortete: „Mein Padischah, ich habe selbst von meiner Schwester gehört, daß [206]sie den Pfau umgebracht habe. Wenn du aber meinen Worten nicht glaubst, so bestimme zwei Männer. Ich werde sie irgendwo verbergen und werde sie die Worte meiner Schwester hören lassen.“
Der König gab dem Antar zwei Leute, denen er vertraute, mit. Antar versteckte einen jeden von ihnen in einem Kasten, verschloß sie und ließ sie von zwei Lastträgern in das Haus seiner Schwester bringen. Dann sagte er: „Schwester, ich muß irgendwohin verreisen. In diesen Kästen sind meine Kostbarkeiten, die ich fürchte in meinem Hause zu lassen. Sie sollen bei dir zur Aufbewahrung bleiben.“ Sie sprachen dann von allerlei Dingen, und er brachte das Gespräch auf den Pfau und sagte: „Ach, Schwester, wie wäre es, wenn du doch einen Sohn bekämst! Wie würden wir uns freuen! Aber erzähle mir doch noch einmal, wie ihr den Pfau in der Nacht habt fangen können. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Verzeih mir nur, daß ich das erste Mal, als du mir es erzähltest, nicht recht zugehört habe, weil ich zu aufgeregt war. Erzähle es mir, bitte, noch einmal!“
Zarife erzählte auch, von Anfang bis zu Ende, wie sie dorthin gegangen seien, ihn ergriffen, nach Hause gebracht und getötet hätten. Zum Schlusse sagte sie dann: „Es war gerade Morgen geworden, und ich wachte auf. Es war ein Traum. Aber da der Pfau ein bunter Vogel ist, so deutet das darauf hin, daß ich, wenn Gott will, einen schönen Sohn bekommen werde. Es muß ein guter Traum sein, denn wer im Traum einen Pfau sieht, deutet das so.“ Antar sagte: „Schwester, war das denn ein Traum, was du mir das erste Mal erzähltest?“ Zarife antwortete: „Bruder, weißt du nicht, daß ich nicht einmal einen Sperling töten kann, wie sollte ich wohl einen Pfau schlachten besonders, wenn es der des Königs ist. Du hast mich in deiner Aufregung nicht verstanden und hast angenommen, ich hätte dir ein wirkliches Ereignis erzählt.“