Als eines Tages Reinold mit seinen Brüdern zu Tische saß, ward er plötzlich traurig und ließ den Kopf sinken, so daß sich alle über ihn wunderten. Adelhart fragte ihn, was ihm fehle, und Reinold antwortete: Lieben Brüder, ich muß mich gar sehr über Euch wundern, daß keiner von Euch an unsre vielgeliebte Mutter denkt. Ich habe sie nun in sieben Jahren nicht gesehn, und weiß nicht, wie es ihr geht, wie sie aussieht, ob sie in der Zeit nicht schon zum öftern krank gewesen ist. Sie denkt vielleicht oft an uns, und ich muß Euch sagen, ich habe keine Ruhe, bis ich gen Pirlapont gereiset bin, und sie wieder mit Augen gesehn habe.
Die Brüder erschraken, und suchten ihm diesen Vorsatz auszureden, weil eine solche Reise thöricht und gefährlich wäre: denn Aya und Heymon hatten schwören müssen, die Kinder gefänglich auszuliefern, wenn sie sie je in die Hände bekämen.
Was ist das Leben, rief Reinold, wenn wir unsre liebsten Wünsche nicht erfüllen sollen? Und ich sage Euch, daß ich doch sterbe, wenn ich meine Mutter nicht zu sehn bekomme, ich mag nun hinziehn, oder nicht.
Da wurden die Brüder traurig, weil sie sahen, daß er seinen Sinn fest darauf gesetzt hatte, und daß kein Ausreden etwas fruchten würde. Sie gingen daher fort, und im nächsten Walde begegneten ihnen vier Pilgrimme, in der Pilgerkleidung und mit Palmzweigen in den Händen. Mit diesen verwechselten die Ritter die Kleider und kamen so an die Thore von Pirlapont. Aber die Thore waren verschlossen, und als sie deshalb anklopften, fragte der Thorhüter von den Zinnen der Burg, wer da sei? Wir sind vier Pilgrimme, antwortete Reinold, wir sind viele merkwürdige Städte durchwandert, und kommen nun hieher, und haben großen Hunger und Durst; bitten deshalb, Ihr wollet uns einlassen.
Hier ist viel Jammer im Hause, antwortete der Thorhüter, weil wir gestern die Zeitung bekommen haben, daß die vier Söhne Heymons in gefänglicher Haft von König Carl gekommen sind.
Ich bitte Euch um dieser vier Herren willen, antwortete Reinold, daß Ihr uns einlassen wollet.
Der Thorhüter sprach: Wenn Ihr nicht einen so langen Bart trüget, möchte ich Euch fast selber für den stolzen Reinold ansehn; und somit stieg er hinunter und öffnete ihnen das Thor.
Sie gingen zu ihrer Mutter als Pilgrimme, und baten um eine Mahlzeit, weil sie eine weite Reise gemacht hätten. Sie saßen nun zu Tische, und Reinold betrachtete seine Mutter sehr genau, endlich bat er sie, ihm auch einen Trunk Wein zu geben, weil er lange keinen guten Wein getrunken habe. Die Mutter holte ihm selber eine Kanne mit Wein aus dem Keller, und schenkte ihm ein. Reinolds Herz ward fröhlich, da er seine Mutter selber ihm einschenken sah, und trank über die Maaßen, so daß er ordentlicher weise betrunken ward. Er taumelte umher und begehrte einen Becher nach dem andern, so daß sich Frau Aya über den lustigen Pilgrim verwundern mußte. Er ließ sich immer noch mehr Wein einschenken, so daß sich wohl ihrer vier davon hätten satt trinken mögen, dann taumelte er umher, und sagte zu seiner Mutter: Nun gebt mir noch einen Becher und ich will meinem Vetter Carl nichts achten. Adelhart erschrak, als er diese Worte hörte, er wollte seinen Bruder anstoßen, um ihn zu warnen, aber Reinold, der trunken war, fiel gleich der Länge nach in den Saal hin. Die Mutter warf sich auf ihn nieder, und umhalsete ihn, und wollte vor Freuden gar nicht wieder von ihm lassen, so daß sie Adelhart endlich vom Boden aufheben mußte; dann umarmte sie auch die übrigen Söhne.
Es war aber einer im Saal zugegen, der dem Könige Carl sehr günstig war, er ging daher zu Frau Aya und sagte: Gedenket Eures Eides, und liefert nun Eure Kinder Eurem Bruder aus, der auf Euch ergrimmt ist; wo es aber nicht geschieht, will ich selbst nach Hofe reiten, und anzeigen, daß sie sich hier befinden. — Als Aya diese Worte hörte, fing sie bitterlich an zu weinen, und klagte: O du arger und gottloser Verräther, hast Du so lange mein Brodt gegessen, und darfst nun dergleichen Reden gegen mich führen? Und wenn mein Bruder auch noch viel ergrimmter wäre, so will ich ihm dennoch meine Kinder nicht ausliefern.
Der Verräther lief hierauf zum Grafen Heymon, und gebrauchte gegen ihn dieselben Worte, aber Heymon erwischte von ungefähr einen tüchtigen Prügel, und schlug damit den Verräther zu Boden, und sagte: Nun darf ich doch versichert seyn, daß Du es nicht bei Hofe anzeigen wirst. Dann ging Graf Heymon zu seinen Edlen und versammelte sie und viel Volks, daß sie ihm seine Kinder sollten fangen helfen, damit er sie seinem Eide gemäß ausliefern könne.
Die Brüder sahen die Macht auf sich zukommen, und waren in großen Aengsten, sie wußten sich nicht zu rathen, aber endlich trugen sie den trunknen und schlafenden Reinold in ein Gemach, wo sie ihn verschlossen, dann nahmen sie ihre Waffen zur Hand, und widersetzten sich dem Volke des Grafen, das eindrang, um sie gefangen zu nehmen. Der Streit dauerte länger als einen Tag, denn die Brüder gebrauchten sich sehr tapfer, und schlugen viel Volks darnieder.
Reinold erwachte nun wieder und war nüchtern, er sah die Bedrängniß seiner Brüder, und eilte sogleich hinzu, um ihnen beizustehn. Er sprang sogleich in das Volk hinein, wo es am dicksten stand, und vor seinem guten Schwerte stürzte alles nieder und entfloh; worauf Heymon sagte: Ich sehe wohl, daß meine Kinder diesmal werden ungefangen bleiben, denn Reinold hält sich besser, als alle zusammen. Reinold kam in Wuth und drang auf seinen Vater ein, um ihn niederzuhauen; als Adelhart das gewahr ward, eilte er auf ihn zu und hielt ihn zurück. Laß mich nur, rief Reinold aus, ich will ihn lehren seine Kinder fangen. — Aber Adelhart sagte: Bedenke, Bruder, daß man dann bis in die spätesten Zeiten von uns, als von Bösewichtern sprechen wird, daß kein edles Gemüth mit uns wird Gemeinschaft pflegen wollen; nein, es ist schändlich, lieber Bruder, und gegen die Religion, warum willst Du den Vater tödten? Es ist ja sonst noch Volks genug da, das Du umbringen kannst.
Reinold sah die Worte seines Bruders ein, und ließ von seinem Vorhaben ab, aber er wüthete desto ärger gegen die Uebrigen, so daß alles umkam oder flohe, und sich ihm sein Vater gefangen geben mußte. Reinold nahm nunmehr seinen Vater und band ihn rücklings auf sein Pferd, dann gab er den Zügel einem Knaben in die Hand, der es so an den Hof des Königs Carl führen mußte. Der Thorhüter am königlichen Pallaste verwunderte sich sehr, als er den Grafen so ankommen sah; er fragte erstaunt: Wer ist so kühn, Herr Graf, daß er es wagen darf, Euch als ein Präsent an den Hof zu schicken? Ach, das haben mir meine Kinder gethan, antwortete Heymon, darum, daß ich sie habe fangen wollen.
König Carl ward ungemein betrübt, als er diese Nachricht empfing, er brachte schnell eine Macht zusammen, um die Brüder zu belagern und sie in seine Gewalt zu bekommen.
Reinold sah, wie sich die Schaaren versammelten, und ward in seinem Gemüthe sehr betrübt. Er stand auf der Zinne der Burg und sah wie das feindliche Heer seine Gezelte aufschlug, um ihn und seine Brüder zu belagern. Er ging zu seiner Mutter und fragte sie, ob sie keinen Rath wüßte, denn nun wäre an kein Entrinnen mehr zu denken, er müßte sich dem König gefangen geben. Frau Aya weinte, da sie ihren tapfern Sohn so reden hörte, er war der jüngste und ihr der liebste, und sie gedachte, daß er noch am ersten seine Brüder retten könne, wenn sie ihm zur Flucht behülflich wäre. Sie ließ ihn daher sein Pilgerkleid wieder anziehn, dann schaffte sie ihn heimlich zu einer verborgenen Thür hinaus, und so entkam Reinold.
Die übrigen Brüder aber waren in der größten Betrübniß, denn sie fürchteten sich sehr vor König Carl, besonders da sie jetzt ihren Bruder Reinold nicht mehr bei sich hatten. Die Mutter schlug ihnen vor, barfüßig und in wollenen Hemden in das Lager des Königs zu gehn, und fußfällig um Verzeihung zu bitten; sie folgten ihrem Rathe, und stellten sich vor dem König Carl, ihren Feind. Carl war sehr ergrimmt, und fragte gleich nach Reinold; sie sagten daß er entwischt sei, worüber der König noch mehr aufgebracht wurde, und schwur, sie alle hängen zu lassen, wenn der Reinold erst zur Gesellschaft hinzugekommen wäre.
Reinold war indessen auf Montalban angelangt, und voller schwermüthigen Gedanken. Er warf sich vor, daß er an der Reise seiner Brüder Schuld sei, und sie jetzt feigherzigerweise verlassen habe. Er bestieg sein Roß Bayart und beschloß sie zu erretten. So ritt er mit diesem Gedanken bis vor die Stadt Paris, wo er im Wald stille hielt, und bemerkte, daß ihm ein Jüngling nachgekommen sei, der in seinen Diensten war. Bist Du nachgekommen, mich zu verrathen? rief Reinold. Wie sollt ich, antwortete der Jüngling, zu einer so schändlichen Absicht einen so weiten Weg zurückgelegt haben? Nein, ich bin Euer Diener und Ihr könnt meiner vielleicht gebrauchen.
Gut, sagte Reinold, so sollst Du ein Abgesandter von mir an König Carl sein, doch sieh Dich ja gut vor, daß Du Dir einen guten Bürgen setzen lässest, denn Du sollst ihm harte Worte überbringen. Sage ihm von meinetwegen, daß ich es weiß, daß meine Brüder in seiner Haft sind, aber er solle sich wohl vorsehen, ihnen einiges Leid zuzufügen. Wir sind alle erbötig Sr. Majestät treu und ehrlich zu dienen, auch in wollenen Hemden und barfüßig demüthigst um Verzeihung zu bitten, aber er soll sie freilassen, und uns in seine Dienste nehmen. Will er sie aber nicht los und ledig geben, so sag ihm nur, wollt’ ich meine ganze Macht daran strecken, und nicht eher ruhen und rasten, bis ich ihm so, wie dem Könige Carlmann gethan hätte.
Der Jüngling wollte gehn, aber Reinold rief ihn zurück. Nein, sagte er, Gott bewahre meinen Arm, daß ich Seine Majestät, meinen König und Vetter umbringen sollte; das sei fern von mir, denn es wäre ein grausames und unmenschliches Beginnen. Aber sage mir meine Botschaft gut und verständig, daß er meine Brüder soll freigeben und daß wir ihm treu dienen wollen, aber er muß uns vergeben; will er aber meine Brüder hängen lassen, so will ich meine ganze Macht daran strecken und es soll ihm dann nimmermehr gut gehn.
Der Bote verfügte sich nun in die Stadt, und ging an den Hof zu König Carl, wo er seinen Auftrag ausrichtete. Er ließ sich aber vorher den König Carl selber zum Bürgen setzen, daß er frei zurückkönne, und es war gut, daß er es gethan hatte, denn König Carl wurde ungemein ergrimmt über Reinold und seinen Abgesandten, so daß er ihn gewiß würde habe hängen lassen, wenn er ihm nicht so sichere Bürgschaft zugesagt hätte.
Reinold wartete im Walde auf seinen Boten, er war vom Pferde gestiegen und ging unter den Bäumen auf und ab, sein Pferd hatte er an einen Stamm gebunden. Indem er so wartete und über das Schicksal seiner Brüder nachdachte, überfiel ihn eine Schläfrigkeit. Er legte sich nieder, und ehe er es noch bemerkte, war er unter dem Rauschen der alten Bäume fest eingeschlafen. Indem bekam Bayart ein Gelüste nach dem frischen Grase, weil er hungrig war, er schüttelte sich also so lange, bis er vom Baume los war, dann ging er nach seiner Lust auf der Weide, weil er seinen Herrn schlafen sah. Dreißig Bauerknechte waren von ohngefähr im Walde, wo sie Holz fällten, diese wurden das Roß Bayart gewahr und erkannten es sogleich, daß es Reinolds Pferd sei. Sie machten den Plan, das Roß zu fangen, und umgaben es mit Bäumen und Zweigen von allen Seiten, so daß es nicht davon kommen konnte. Dann banden sie es und führten es nach Paris. Carl war erfreut, daß er das Roß erobert hatte, er schenkte es sogleich dem Grafen Roland, der sich im Herzen heimlich darüber betrübte, daß man es seinem Vetter Reinold entwendet hatte.
Reinold erwachte und sah, daß sein treues Roß fort war, er suchte es lange im Walde und war überaus bekümmert. Als er es aber nicht wiederfand, ward sein Jammer groß, er zog den Harnisch aus und warf ihn in’s Gebüsch, eben so sein Schwert und seinen Schild. Wohl bin ich nun wie ein Thor bestraft, rief er aus, ich Unglückseliger! der ich dem Könige Carl so große Worte sagen lasse, und nun nichts davon in’s Werk richten kann. Was für Macht soll ich nun daran strecken, um sie zu befreien? Bayart ist mir gestohlen, und ich möchte hier im wilden Walde lieber gleich umkommen, denn meine Brüder sind verloren, und ich kann gar nichts thun um sie zu erretten.