Die Bäuerin hielt das Kind am Arm und sah dem Horo[1] zu.
Du, sagte zu ihr die junge Stadtfrau: Ist’s ein Bub’ oder ein Mädchen?
Nein! Ein Bube!
Wie alt?
Schon fast zwei Jahre.
Geht er?
Ach nein, noch immer nicht.
Die Stadtfrau sieht sein bleiches Gesichtchen an, welches klagt: noch immer nicht, ich bin ja so krank!
Fidelfideldidilum!
Sieh’ ’mal die dort an, wie sie tanzt, die[S. 93] mit dem goldflittrigen Kleide, das ist meine Tochter!
Aber dein Kleiner?
Ist sie nicht schön und weiß und blühend?
Liebe Stadtfrau, sie trinkt mein Blut, sie saugt am Mark meiner Knochen, für mein Fleisch kauft sie sich Goldflitter und die Mutter hält mich fest dazu, daß ich nicht fortkann.
Das Kleid hat viel gekostet, eine Kuh und ein Kalb.
Frau, dein Kindchen ist blaß.
Und leise in der Seele löst sich’s los und legt sich warm über des Kindes Seele.
Da hebt der Kleine sein schmerzlich-gleichgültiges Gesichtchen.
Der Kopf, den der abgemagerte, unnatürlich helle Hals nicht zu tragen vermochte, lag kraftlos auf der Schulter!
Aber jetzt wurde ihm gut. Und seine klugen, totgezeichneten Augen sahen nach der Stadtfrau.
Die Frau erschauerte.
Aus dem mageren Körper flatterte eine[S. 94] zuckende Seele empor und legte sie mit mildem Schauer um ihr Sein.
Und etwas sprach — aber nicht mit armen Menschenworten, sondern unendlich schöner, heiliger zu ihr, flog ihr zu wie heißer Dank, wie inniges Verständnis, klagte von frühem Tod und einsamem Sterben. Und noch viel heimlicher tönte es darunter: auch du leidest, auch du!
Die Stadtfrau bebte. Ist’s möglich! Die Vernunft sagt doch nein!
Aber ein Neinsagen ist doch kein Ungeschehenmachen.
Die Augen des Kindes erschlossen sich plötzlich, es blühte ein Glanz darinnen auf, der zu ihr herüberstrahlte.
Endlich hab’ ich dich doch gefunden, mein Teil, mein Sein, meine Seele! Nun kann nichts mehr schaden.
Träume ich? dachte die Frau.
Und ihre Augen versanken in die des Kindes, in Tiefen, Untiefen, Unendlichkeiten.
Wie weit deine Seele ist, dachte sie.
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Sieh’ da! sprach die Bäuerin, er lacht, das hat er noch nie gethan.
Wirklich! Ein beredter Glanz lag um das Schweigen seiner Lippen.
Sieh’ zu! Das hat er noch nie gethan!
Und das wird er nie mehr thun.
Die Frau dachte: es ist alles so wunderbar, fast erschrecklich. Er spricht kein Wort, dennoch sagt er bergetiefes Durchschauen. Mir ist mild zu Mute, als hätte ich mein totes Kind wieder.
Allein. Das ist doch nicht möglich! Ich bin ja irr. Es muß etwas anderes sein, etwas Heimliches, das wir noch nicht wissen.
Nun fing es zu dunkeln an. Die Frauen, die kleine Kinder hatten, gingen heim, um sie zu füttern.
Der Leib will auch sein Teil.
Aber die Bäuerin sah, wie ihre Tochter zu der Fiedel sprang.
Frau, sagte die Städterin, er ist müde, führ’ den armen Liebling heim.
Nun ja, werden schon, sieh’ erst meine Tochter an.
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Der Kleine stöhnte, aber die Bäuerin hörte nicht. Da stieg in seiner Seele das wilde, rohe, gewaltthätige Tier auf, das der Mensch ist, kämpfend, dürstend, verzweifelnd!
Und er kratzte und biß die Mutter. In seinen Augen lag ein finsterer Haß.
Um mein Leben ring’ ich, ohne los zu können.
Sie mordet mich, die Böse! Leben! Leben! Werden! Erfüllen!
Die Bäuerin lachte: Siehst du den Schlimmen, aber er kann doch nicht los, ich halte ihn fest.
Fest!
Es krallte sich dies bange Wort in der Stadtfrau Seele ein.
Eine wilde Angst stieg aus ihrem Innern zu dem Kleinen:
Kann ich dir nicht helfen, kleiner Liebling? dachte sie. Ich will dich retten. Ich will! Ich will!
Trag’ ihn gleich heim, sagte sie befehlend.
Und dann schwammen Brocken von Gedanken in dem Wogen ihres Innern empor.
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Trinkt er genug?
I, woher denn! sagte die Bäuerin. Wir können keine Milch zahlen und unsere Kuh mußten wir verkaufen. Ein Brot in Wasser verrührt thut’s auch.
Ich werde den Bauern Geld geben für Milch.
(Das behalten sie für sich.)
Oder selbst Milch schicken.
(Die trinken sie aus.)
Oder das Kind ihnen abnehmen.
(Das wäre eine Schande im Dorfe, der Ehr’ wegen können sie’s nicht —)
..... oder, oder! Himmel, giebt’s nichts mehr, keinen Ausweg!
Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Sie sah den Kleinen an, ein unendlich feines, bedeutungsvolles Lächeln flog traurig über sein Antlitz: keinen.
Aber du thatest mir so wohl, sagte die Sanftmut seines Blickes.
Nun ging die Bäuerin.
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Leb’ wohl, ich bin immer bei dir — lebe wohl, sagte des Kindes Seele.
Die Bäuerin war schon weit. Das Kind hielt den Kopf wie durch helfende Kraft aufrecht und der Stadtfrau zugewandt.
Sein Mund lächelte ihr vielen Dank.
Und dann waren sie ihr weit. Da sank sein Haupt wieder kraftlos auf die Schulter und müde Verzweiflung legte sich in die Furchen um den Mund.