(Eine Plauderei.)
Weib: Du bist ein Mädchen von heute: unschuldig, aber wissend —
Mädchen: ja, alle Mysterien sind mir bekannt, ohne —
Weib: daß du dich selbst dabei beschmutzt hättest. Du weißt nur, wie die Sonne am Himmel von der Erde weiß.
Mädchen: Ja.
Weib: Und was gedenkst du nun zu thun? Wohin zieht dich das Leben?
Mädchen: Dir ist’s leicht, du gabst deine Seele hin.
Weib (bitter): Heißt geben empfangen?
Mädchen: Nein, allein du konntest jemand[S. 88] etwas geben. Nur Reiche beschenken und wenn du den würdigen für deine Seele fandest...
Weib: Wenn! Wenn! Wenn ich ihn aber nicht gefunden hätte? Wenn ich mich getäuscht habe und schnell die zum Geben geöffnete Hand wieder geschlossen hätte?
(Beide schweigend nachdenkend.)
Nach einer längeren Weile das
Mädchen: Muß man nicht unglücklich sein, wenn die Schwesterseele nicht zu finden ist?
Weib: Du nennst sie Schwesterseele. Nenne sie Allmenschenseele, das wäre besser. Aber deine Augen sagen es mir, du verlangst mehr vom Leben. Die Schwesterseele bin ich dir. Doch du wünschest mehr. Deine hungernden Mädchenaugen verraten das Verlangen nach Glück.
Mädchen (leise): Und Glück ist Liebe.
Weib (traurig): Auch du, die der neuen Generation! Ist dies ein Mangel unserer Gewöhnung oder unserer Erziehung, werden wir alle immer so denken müssen?
[S. 89]
Mädchen (seufzt).
Weib: Wäre unsere Welt wirklich so eng? Der Mann hat Berge und Bergestiefen, Meer und Meeresgrund, Reiche, Sternenwelten und noch über sie hinaus Sehnsüchte, und wir, wir hätten nur die Liebe? Sind wir so arm?
Mädchen: Und er hat noch die weiten Reiche, die er unter dem Mikroskop sieht: Wunder über Wunder, Staunen ohne Ende! Ist das Leben nicht das allerherrlichste Märchen? Da siehst du in ein kleines, dünnes Rohr, nicht größer als dein Auge und drinnen, dahinter liegen plötzlich Welten, Reiche von Ungekanntem ... Und immer neues, immer wieder!
Weib: Wir aber, wir hätten nur die Liebe?
Mädchen: Der Mann sehnt sich auch nach Liebe.
Weib: Auch! Du sagst es. Aber wir sehnen uns nur nach Liebe. Hast du nicht Frauen beobachtet, die einen Beruf haben? Der Mann wird sein Lebensziel ernst nehmen, und Liebe wird ihm das Versüßende sein. Der Frau aber wird die Liebe ernst sein und der[S. 90] Beruf ein Tändelding. Ein Ding, das sie ihrer Erwartung wie eine Schürze vorhängt.
Mädchen: Wer lehrte dich so bittere Gedanken? War das Leben so schlimm mit dir?
Weib: Ich meine nur so. Es ist keine Bitterkeit darin. Vielleicht habe ich unrecht. Es quält mich nur manchmal in schlaflosen Nächten, das zu finden, was uns wirklich aus unserer inneren Natur heraus angepaßt wäre. Damit wir von dort aus unser Lebensziel fänden. Nicht was wir eben „auch“ leisten könnten, sondern was nur wir zu stande brächten.
Mädchen: Und wenn es die Liebe wäre!
Weib: Dann müssen wir sie eben zu unserem Lebenszweck erheben. Liebe zu allem Geborenen; zu allen Leidenden, Trostsuchenden. Dann soll es die Liebe sein, mit der wir den Ernst, den Schmerz der andern lindernd durchleuchten.
Mädchen: Es ist noch etwas. Ich finde die Worte nicht, aber ich trage es in mir.