Es wäre vielleicht eine belehrende Illustration zu manchen Vorträgen an der Juristenfakultät und an der Handelsakademie, wenn die Hörer veranlaßt werden würden, Exkursionen in die dunkelsten Gebiete des volkswirtschaftlichen Lebens zu unternehmen, die Tätigkeit jener Gewerbsleute und Händler zu betrachten, die weder konzessioniert noch protokolliert sind, die auch zum großen Teile keine Steuern bezahlen. Man könnte da manche Lücken in den Gesetzen entdecken, manchen Geschäftskniff bestaunen, man könnte da vielleicht konstatieren, daß manche Finanzoperationen, über deren nationalökonomischen Wert und über deren Zulässigkeit an den Börsen und Hochschulen Amerikas gestritten wird, hier im kleinen, ganz kleinen Maßstabe als selbstverständlich praktiziert werden. Und wer weiß, ob die Trusts und die Kartelle der armen Prager Trödler und Hausierer nicht besser organisiert sind als jene der amerikanischen Multimillionäre?
Man kann die Gegenseitigkeitsgeschäfte dieser kleinen Leute, die sich in einem beispiellos erbitterten Kampfe um den kleinsten Gewinst aufreiben und die trotz ihrer Geschäftsschlauheit und ihrer raffinierten Organisation im allgemeinen auf keinen grünen Zweig kommen, leicht beobachten. Man kann unter irgend einem Vorwande in die Partiewarengeschäfte und Trödlerläden, in die Handelcafés in der Zeltnergasse und auf dem Ziegenplatz kommen, man kann aber auch den öffentlichen Feilbietungen in der gerichtlichen Auktionshalle im Landesgerichtsgebäude, den Pfänderversteigerungen im „K. k. Pfand- und Leihamt“ in der Leihamtsgasse und in den zahlreichen privaten Pfandleihanstalten beiwohnen und dort diese Börsenspekulanten in Partiewaren in sinnfälliger Massenwirkung bei der Arbeit sehen.
Ein Kaffeehaus, hart an der Grenze der Alt- und Josefstadt. Die Operationsbasis für die Geschäfte der Tandler und der „Šalváří“, der Spezialisten in echten und falschen Juwelen. Es ist früh. Ein Gast kommt herein:
„Adalbert, bring’ mir ein Schmalzbrot,“ ruft er dem Kellner zu.
„Schmalz ist nicht, aber harte Grieben kannst du haben,“ sagt der Kellner. Die Brücke, die vom Gast zum Kellner führt, führt auch vom Kellner zum Gast: Sie duzen einander.
„Also bring’ mir die Grieben, und das „Amtsblatt“ möchte ich haben.“
„Da liegt es doch,“ ruft der Kellner unwillig, und deutet auf die Zeitung, die wirklich auf dem Sessel neben dem Neuangekommenen liegt.
Der aber ist neugierig, zu erfahren, wer schon früher das Amtsblatt studiert hat. Und der Kellner erwidert, daß Karl Neuhof gerade weggegangen ist.
„Und wohin?“ forscht der Gast mit einer durch die Konkurrenz begründeten Neugier weiter.
„Nach Žižkow zu irgend einer Feilbietung,“ verrät der Garçon.
Da wendet sich der Gast mit Grausen. Er spuckt aus: „Die Werkstätteneinrichtung von Nechvátal! Schöne Sachen, was da zu kriegen sind! Dort wird Neuhof kein Rothschild werden.“
Inzwischen hat sich Adalbert entfernt, und der Gast nimmt das „Amtsblatt zur Prager Zeitung“ zur Hand, dieses zweisprachig gedruckte Blatt, in dem der Amtsschimmel alltäglich die hohe Schule reitet. Aber unser Freund interessiert sich weder für den Humor der Tatsache, daß der seit „hundertsechzig Jahren abgängige Mathias Struck“ aufgefordert wird, sich binnen sechs Wochen zu melden, widrigenfalls er todeserklärt wird, er interessiert sich nicht für den Aufruf an die Erben „des mit Hinterlassung eines Vermögens von 23⅓ Hellern ohne Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung verstorbenen konzessionierten Drehorgelspielers Josef Horčička“, er beachtet auch die Rubriken „Erledigungen“, „Konkursausschreibungen“, „Kundmachungen“, „Proklamierung alter Satzposten“, „Anlegung neuer Grundbücher“, „Amortisationen“, „Kuratelsverhängungen“ und „Erkenntnisse“ nicht, sein Blick bleibt an der Rubrik „Feilbietungen“ haften, in der am Schluß nach den langatmigen Ankündigungen der freihändigen Verkäufe von Realitäten, Liegenschaften, Häusern, Mühlen und Fabriken, die Nachricht über „Feilbietungsedikte“ stehen. Die liest er eifrig und schreibt in sein Notizbuch mit den schwarzen Wichsleinwanddeckeln von Zeit zu Zeit etwas ein. Nicht alles. Die Feilbietungen, die in der öffentlichen Auktionshalle im Landesgericht abgehalten werden, braucht er nicht zu vermerken, dort ist er ohnedies an jedem Freitag. Ebenso weiß er genau, daß fast immer am Freitag nach dem Zehnten jedes Monates die Versteigerung der verfallenden Pfänder des staatlichen Leihhauses stattfindet. Was ihn aber interessiert, ist das Datum der Auktionen in den acht privaten Pfandleihanstalten und Datum, Hausnummer und Warengattung der Geschäfte und Wohnungen, in denen exekutive Feilbietungen vorgenommen werden.
Während in dem Notizbuche Ziffern und Adressen verzeichnet werden, kommt ein neuer Gast in das Café und setzt sich mit stummen Gruß zum ersten. Der Angekommene zieht einen Karton mit Goldinuhren aus der Tasche — Fabriksware, die wegen kleiner oder wegen großer Fehler nicht mit der Firmamarke versehen und nur an Ramscher abgegeben wird. Der neue Gast will die Uhren hier nicht verkaufen, er weist sie seinem Kollegen nur zur Begutachtung vor.
„Sechs Kronen per Stück,“ schätzt der.
„Fünf,“ lächelt der andere, zufrieden darüber, daß sein Branchegenosse die Uhren überschätzt hat, und ermutigt, zieht er nach und nach sein ganzes Warenlager hervor: Ein Paar Brillantohrgehänge aus der Westentasche, einen Similiring vom Finger, eine Damenuhr mit Rauten aus der Hosentasche.
Inzwischen ist es neun Uhr geworden. Die beiden brechen auf.
„Wohin gehst du?“, fragt der zuerst Angekommene den andern.
„Ich geh’ ins Geschäft. Und du?“
„Ich geh’ zum General.“
So trennen sie sich. Der eine also geht „ins Geschäft“, was aber durchaus nicht soviel bedeutet wie „ins Geschäftslokal“. Ein solches hat er nicht. Er geht nur zu seinen Kundschaften, zu Tandlern, Privatpersonen und Gästen der kleinen Kaffeehäuser, denen er seine Schmucksachen aufschwatzt.
Der andere geht „zum General“, d. h. in das Landesgerichtsgebäude an der Ecke des Obstmarktes und der Zeltnergasse, das so heißt, weil es früher das Generalkommando von Prag war und als solches traurige Berühmtheit erlangte, als am 12. Juni 1848 ein Schuß durch das Fenster die Gemahlin des Feldmarschalls Alfred Fürsten Windischgraetz, Fürstin Maria Eleonore Windischgraetz-Schwarzenberg (die Großmutter des jetzigen Herrenhauspräsidenten Fürsten Alfred Windischgraetz), tötete. In den ebenerdigen Räumen des alten Generalkommandogebäudes, die ehedem als Wachzimmer und Stallungen verwendet wurden, ist heute außer dem Depositenamt, seit dem Jahre 1900 auch die gerichtliche Auktionshalle untergebracht. Die ist das Ziel des Kaffeehausbesuchers, der „zum General“ geht.
Die Fachleute in Partiewaren und Gelegenheitskäufen behaupten, daß hier nichts besonderes zu holen sei. Sie begründen es mit der Tatsache, daß sich die in Geldnot befindlichen Leute absichtlich die für sie wertlosen oder unbrauchbaren Mobilien pfänden lassen, um sie in der Auktionshalle zu besseren Preisen loszuwerden. Wird bei der Lizitation nicht der Preis geboten, den der Eigentümer den gepfändeten Sachen beimißt, so hat er — vorausgesetzt, daß er pfiffig ist — noch immer Mittelchen genug, den Preis in die Höhe zu lizitieren oder die Sachen selbst zu erstehen.
Um dieser und anderer Mittelchen willen, und weil dort hie und da doch etwas Preiswertes zur Versteigerung gelangen könnte, sind doch zahlreiche Fachmänner da. Vor allem die Mitglieder des „Chabrus“. Diese Körperschaft wird man vergeblich in den Registern der Vereinspolizei suchen und auch im Staatswörterbuche findet man diesen Namen nicht. Das Wort „Chabrus“ ist eine Verstümmelung des hebräischen Ausdruckes „Chawroßo“, d. i. Freundschaft. Und ursprünglich ist auch der „Chabrus“ eine geheime jüdische Einkaufsgenossenschaft und gleichzeitig eine Art Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gewesen, dem die Althändler und Trödler des Ghettos angehörten. Als sich aber die Tore des Ghettos öffneten, da wurde die Idee des Chabrus eine interkonfessionelle, und mit der politischen Geschichte dieses Landes ist der Chabrus verknüpft, den — — die ältesten Adelsgeschlechter Böhmens im Jahre 1872 gegründet hatten. Das war nach dem Sturze des Ministeriums Hohenwart. Der Landtag war aufgelöst worden, und zwischen den beiden Gruppen des Großgrundbesitzes, die damals noch kein Wahlkompromiß hatten, entspann sich ein heftiger Wahlkampf, der zugleich ein Kampf um die Majorität im Landtag war. Da wurden denn Banken gegründet, um zur Wahl berechtigende landtäfliche Güter zu kaufen, da traten die Besitzer zweier oder mehr solcher Güter eines an dritte Personen ab, da gab es Güterkäufe und Güterteilungen in Masse, beide Gruppen überboten einander, bis schließlich die Verfassungstreuen den Sieg über die Konservativen davontrugen. Aber manche Gesetzesbestimmung über die Wahlen in den österreichischen Landtag wurde nach den Lehren geändert, die man aus dem „Chabrus“ der Ära Auersperg gezogen hatte.
So nobel ist der Chabrus der Prager Kleinhändler freilich nicht. Er war wohl ursprünglich eine Schutzorganisation für die eigenen Mitglieder, die falliert hatten und deren Lager versteigert wurde. Ein anderer der Genossenschaft erstand einfach die lizitierten Waren zum Mindestanbot, der etwa nur ein Drittel des Schätzungswertes ausmachte, ohne daß er von den anderen gesteigert worden wäre. Kam aber ein Unbeteiligter zur Lizitation und beteiligte sich an dieser, so wurde er so in die Höhe lizitiert, daß er entweder einen ganz famosen Preis für die Waren des falliten Chabrus-Bruders zahlen mußte, oder die Lust an weiterer Beteiligung verlor. Außerdem erschienen die Chabruser oft in so großen Massen in den kleinen Geschäftslokalen, in denen die Lizitationen stattfanden, daß ein „Unberufener“ gar nicht hinein konnte — ein Manöver, das durch Errichtung der gerichtlichen Auktionshalle eine wesentliche Einschränkung erfahren hat.
Im Laufe der Jahre erstreckte der Chabrus sein Tätigkeitsgebiet auch auf Auktionen von Lagern, die nicht seinen Mitgliedern gehörten. Die Waren wurden von der Kassa gekauft und dann im Kreise der Mitgliedschaft weiter versteigert. Nutzen und Schaden trug die gemeinsame Kassa. Der Chabrus verlor seine feste Struktur, er teilte sich nach den Branchen in verschiedene Teile und büßte schließlich ganz den Charakter einer einheitlichen Organisation ein. Heutzutage wird gewöhnlich nur ad hoc im Lizitationslokale ein Chabrus gegründet und nur bei den Pretiosenversteigerungen im k. k. Leihamte sind die beiden Konkurrenz-Chabruse des Herrn Franz und des Herrn Široky der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht.
In der gerichtlichen Feilbietungshalle sind auch die räumlichen Verhältnisse schlecht. Der Lizitationsleiter steht nicht in der Mitte der Längsseite, sondern der Breitseite des Saales. Also können sich nur wenig Leute herandrängen, und die Mehrzahl sieht von der lizitierten Ware nichts, trotzdem der Saal leicht ansteigend gebaut ist. Nur durch das Gäßchen, das von Barrieren eingesäumt wird, und deren Eingang ein Wachmann streng bewacht, kann man hie und da einen Blick nach den Schätzen auf dem Auktionstische werfen.
Die Halle ist niedrig und der Geruch von Karbol und anderen Substanzen, mit denen die gepfändeten Gegenstände desinfiziert worden sind, erfüllt die Luft.
Da ist die Auktionshalle im staatlichen Versatzamte in der Leihamtsgasse viel moderner und eleganter. Ein glasgedeckter Lichthof von kolossaler Breite. Also kann sich alles in die Nähe des Lizitationsleiters drängen, alles kann die zu versteigernden Sachen aus nächster Nähe betrachten, alles kann sich mit absichtlich gewählten oder zufälligen Nachbarn über die Umwertung aller Werte, die hier feilgeboten werden, unterhalten, alles kann mitsteigern, mitstreiten, mitschreien ...
Der Schätzer wirft ein Paket auf den Tisch und der Ausrufer schreit tschechisch in den Saal:
„Ein Havelock, vier Messer und eine Decke: 13 Kronen.“
„Zehn,“ ruft jemand aus dem Publikum.
„13 Kronen 10 Heller,“ registriert der Ausrufer, aber die Rufe „zehn“, „zehn“ überhasten einander, so daß er den Stand der Anbote nicht laut konstatieren kann. Und trotzdem die affischierte Lizitationsordnung vorschreibt, daß er jedes Anbot in beiden Landessprachen wiederholen soll, hat ihn wohl noch nie jemand ein deutsches Wort sprechen gehört.
„Zehn, zehn,“ tönt es von rechts nach links.
„Ich nehme ...“ ruft ein hier Einheimischer dazwischen. Die Worte „ich nehme“ sind ein von der Lizitationsleitung anerkanntes Synonym für das Wörtchen „zehn“.
Eine Frau hat es besonders auf dieses Paket abgesehen. Mit rasant wachsender Schnelligkeit kreischt sie die Rufe „deset“, „deset“ (zehn) dem Lizitationsleiter zu, niemand lizitiert mehr mit, und sie steigert sich fortwährend selbst. Nur die Endsilbe „..set“ ist hörbar.
„Wieviel set (Hunderte) wollen Sie denn bezahlen?“ ruft ein Witzbold dazwischen. Lachen. Da hält die Frau inne. Sie erwacht aus ihrem Paroxysmus und merkt, daß sie zu teuer gekauft hat oder wenigstens mehr bezahlen muß, als sie anfangs wollte. Bei ähnlichen Gefühlen ertappt man sich vielleicht im Kasino von Monte Carlo.
Der Ausrufer erklärt: „Achtzehn Kronen und zwanzig Heller zum ersten, zum zweiten und dritten Male“. Der Lizitationsleiter drückt auf die Glocke. Der Diener legt das Paket mit Havelock, Messern und Decke auf den Pult, vor die Frau, die es gekauft. Der Kassier füllt einen Zettel mit dem erzielten Betrag und das Pare des Lizitationsprotokolls aus. Der Schätzer reicht ihn der Frau. Diese bezahlt das Geld. Dann keift sie:
„Wo ist die Ware?“
„Hier liegt sie doch!“ antwortet der Schätzer. „Nehmen Sie Ihren Zwicker ab, dann werden Sie sehen.“
Die Frau hat natürlich keinen Zwicker, und die Leute lachen. Stimmung: Lustig. Sie flaut nicht einmal dann ab, als ein brauner Flanellstoff zur Versteigerung ausgerufen wird, der von schäbiger Farbe ist:
„Den trägt man in Pankratz,“ lacht einer vom Auditorium, „nicht wahr, Karl?“
Karl bleibt die Antwort nicht schuldig: „Ganz richtig. Du kannst ihn ruhig kaufen.“
Das nächste Stück, das der Ausrufer in die Höhe hebt, erweckt scheues, ehrfurchtsvolles Murmeln. Ein Beamtenmantel ist es, mit bordeauxroten Passepoils. Selbst der Schätzer muß Hochachtung vor diesem Sinnbild der Staatsgewalt empfunden haben, als es versetzt wurde. Er hat nicht weniger als achtundzwanzig Kronen darauf geliehen, denn 28 K 40 h (geliehenes Kapital + Interessen + Lizitationskosten) sind heute der Ausrufspreis.
„Das ist ein Mantel von der Polizei,“ flüstert jemand einem andern zu.
Aber der andere weiß es besser, denn er steht sozusagen bei sich selbst als agent provocateur in Diensten. Bei den Bummelkrawallen hat er Polizisten gegen Exzedenten und Exzedenten gegen Deutsche gehetzt, und stand einmal als Angeklagter, einmal als Kläger vor der Barre des Strafgerichtes. Er ist Nationalsozialist und Sozialdemokrat, Stammgast der Meetings und im Schwurgerichtssaal und niemals fehlt er bei Auktionen. Er schreit mit, wenn sich zwei Personen darüber streiten, wer von ihnen das Meistangebot getan hat, wem von ihnen das abschließende Glockenzeichen galt. Er schreit empört, wenn sich jemand in das Gäßchen stellt, das den Zugang zum Auktionsleiter bildet und freizubleiben hat. Er schreit und hetzt — aber sonst beteiligt er sich an den Geschäften nicht. Er braucht nur den Nervenkitzel. Doch kehren wir zu dem Gespräch zurück:
„Der Mantel muß nicht von der Polizei sein,“ sagt der Amateur-Lockspitzel, „der kann auch einem Statthaltereibeamten gehören.“
Der andere, ein kleiner tschechischer Trödler aus der Fabriksvorstadt will das nicht glauben. „Alle Polizeibeamte haben doch solche dunkelrote Aufschläge! Und zwei Behörden können doch nicht gleiche Farben haben. Und es ist ein sehr feiner Mantel, der ist sicher von der Polizei!“
„Sie, Gescheiter!“, lacht der Fachmann. „Die Statthalterei ist doch mehr wie die Polizei, das ist doch die höhere Instanz.“
Aber der kleine Trödler murrt nur ungläubig und unwillig: „Jo, jo, sagen sie vielleicht auch noch, daß die Verzehrungssteuer mehr ist als die Polizei!“ Dann dreht er sich um. Für ihn ist eben die Polizei das höchste auf Erden. Nichts kann diesen frommen Glauben erschüttern, nicht die Erklärung des Fachmannes, und nicht einmal die Tatsache, daß der Mantel eines Polizeibeamten in der Leihanstalt versetzt wurde und verfiel.
Rings um die Lizitationskommission führt ein langes Pult, an dem die Kauflustigsten stehen. Sie sind entweder schon so früh gekommen, daß sie einen Platz an der Brüstung erhaschten, oder haben sie sich durch Energie und Beharrlichkeit vorgedrängt. Auf diesen Pult breitet der Schätzer die Schätze. Fachmännisch wird alles untersucht und gegen das Licht gehalten, damit man das Vorhandensein von Motten konstatieren könne. links vor der Quality street, die zum Auktionsleiter führt und die ein Polizist bewacht, stehen zwei Chabrusgruppen. Jedes Pfandobjekt, das ihnen vorgelegt wird, wird durchberaten, und die beiden Chabrusmacher (an dem hinters Ohr gesteckten Bleistift und dem aufgeschlagenen Notizbuche sind sie kenntlich) vermerken zunächst in ihrer Gruppe die Kauflustigen und erkunden, bis zu welchem Betrage Kauflust vorherrschen würde. Dann unterhandeln die beiden feindlichen Chabrusgenerale, und erzielen nach langem Feilschen die Vereinbarung, daß bei diesem Pfandobjekt nur die eine Chabrusgruppe, bei dem nächsten nur die andere mitlizitieren wird. Wenn das Objekt erstanden ist, dann wird — mitten im Saal — innerhalb der Chabrusgruppe leise weiterlizitiert. Bei dieser Privatversteigerung sind bloß 5 Heller das geringste Mehranbot. Von dem Betrag, um der bei dieser leisen Auktion mehr erzielt wird, als bei der offiziellen, fallen zehn Prozent der Kassa zu, und der ganze Nutzen bleibt innerhalb des Kreises.
Auch rückwärts im Saal gibt es verzeichnenswerte Gruppen. Ein armseliger Kleiderhändler in Břewnow hat eben einen Riesenballen aus dem Kommissionsraum geholt und breitet dessen Inhalt neugierig, ja fieberhaft gespannt, auf einen Sessel. Zahlreiche Gaffer begutachten gleichfalls die farblosen, formlosen Damenkostüme, die der biedere Břewnower in zitternder Erregung einzeln aus dem Ballen nimmt und auf die Sessellehne legt. Ein feister Konfektionär — Pelzkragen und Goldzwicker zeichnen ihn aus — lächelt ironisch über den Schund. Dann tritt er auf den Besitzer zu:
„Wieviel haben Sie dafür gegeben?“
„41 Kronen 10,“ sagt der andere kleinlaut und forscht ängstlich in dem Gesichte des Fragestellers nach dessen Ansicht. „Es war ein Dutzend.“
„Für ein Dutzend? Das ist wirklich sehr billig, halb umsonst.“ Der mit dem Pelzkragen sagt das ganz ernst. Aber als sich der Břewnower Spekulant erleichtert nach den anderen Stücken des Ballens bückt, um die weiteren Schönheiten des eben erstandenen Lagers auszubreiten, zuckt über das Gesicht des behäbigen Fachmannes ein Lachen zu den Zuschauern hinüber. Die nehmen es verständnisvoll, mit Kichern auf. Der dicke Herr befühlt die Ware:
„Höchst moderne Fasson. Sehr feiner Stoff,“ frozzelt er im Tone höchster Anerkennung, und das Publikum lacht. Lacht immer stärker.