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Aus Prager Gassen und Nächten:Die Gemeindetruhe

时间:2024-01-26来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Aus Prager Gassen und Nächten
Die Einführung der Gemeindetruhe sei den Kommunalbehörden aller Weltstädte ans Herz gelegt. Nicht etwa, daß diese Empfehlung meinem ausgeprägten Lokalpatriotismus oder irgend einem anderen Gefühle entspringen würde. Persönliche Beziehungen verknüpfen mich mit der Gemeindetruhe nicht. Ich kann auch aus eigenem nichts über das Innere dieses hermetisch verschlossenen Verkehrsmittels sagen. Aber es ist ganz hübsch. So sagt mein Freund Franta Cuček, der in der Gemeindetruhe geboren wurde, schon oft in ihr nach Hause gefahren ist und auch mutmaßlich einst mittels dieses Vehikels in die „Pathologie“ geschafft werden wird. Der kennt das „Etui“, wie er es in dem Tonfall der tschechisch-französischen Verbrüderung ausspricht, in- und auswendig. Von weitem und um die Ecke erkennt er, welche Nummer jene Truhe hat, die da herangerasselt kommt, um irgend einen Gast unseres Stammlokales nach Hause zu befördern. Ohne je den Zettel zu betrachten, der an der Rückseite des Korbes baumelt und eine rote Ziffer — die Wagennummer — trägt.
 
Daß Franta Cuček die Lenker des Gefährtes kennt, ist ganz natürlich. Er steht mit allen auf Du und Du und sein „Serbus“ wird von dem menschlichen Zweigespann mit gleicher Herzlichkeit erwidert. Aber diese private Freundschaft hat natürlich nicht etwa zur Folge, daß Franta den Lenkern bei der Ausübung ihrer Berufspflicht irgendwelche Erleichterungen gewähren würde. Dienst ist Dienst. Es ist ein schöner Zug im Leben Frantas, daß er einmal einem dieser Automedonten, dem Jaro Roztopil, mit dem er selbst treu befreundet war, das linke Auge ausgeschlagen hat, als dieser ihn in den Korb zu betten versuchte. Trotzdem das linke Auge für jeden Menschen im Sommer nur eine unnötige Mehrbelastung des Körpergewichtes darstellt, trotzdem das linke Auge zum ehrsamen Gewerbe des Gemeindetruhenwärters nicht unbedingt erforderlich ist und trotzdem Jaro Roztopil anläßlich dieser in Ausübung der Berufspflicht erlittenen Wunde aus dem Stadtsäckel ein Schmerzensgeld erhalten hat, lassen es seither die beiden Truhenmänner nicht mehr auf die Betätigung von Frantas Unparteilichkeit im Dienste ankommen. Sobald sie an den Ort kommen, auf welchen man sie begehrt, und sehen, daß Franta Cuček zu ihrem Passagiere auserkoren ist, dann eilen sie mit unheimlicher Schnelligkeit auf ihn zu und umklammern aus einem nicht in die Augen springenden Grunde seine vier Gliedmaßen mit gußeiserner Gewalt. Der eine hält Frantas rechten Arm und den rechten Fuß, dem anderen ist die ehrenvolle Aufgabe zugewiesen, mit den linken Gliedmaßen ein Gleiches zu tun. Oh, Franta Cuček wehrt sich noch immer nach Leibeskräften, aber es hilft ihm nicht mehr viel. Er fällt, wie einst Cäsar von Brutus Hand, von den Händen seiner Freunde. Er fällt in die Truhe, ohne daß er im Kampfe mit seinen Widersachern siegreich geblieben wäre. Sein einziger Erfolg ist höchstens, daß er manchmal einen Fuß aus der Umklammerung der beiden befreit und einem von diesen durch einen Tritt die Uniform beschmutzt hat.
 
Ach, die Uniform der Gemeindetruhenwärter! Wer kennte sie nicht, diese Livree: Die fesche Bluse aus blauweißer Leinwand, der nur im Winter durch ein einfaches braungestricktes Cachenez verhüllte Hals, die hohen Kanonenstiefel und die Eishackerhosen, die Ledermütze von undefinierbarer Farbe mit dem blechernen Wappen der königlichen Hauptstadt darauf — gibt es etwas Einfacheres, etwas Schöneres? Ist das nicht schöner als der blaue Frack, den man in Wien vor kurzem als Festkleidung für die Magistratsfunktionäre bestimmt hat?
 
Übrigens sei erwähnt, daß die Chauffeure der Gemeindetruhe ihre Uniform in Ehren tragen. Ihre Aufgabe ist schwer, aber sie erfüllen sie gut. Nicht nur dann, wenn sie ihren Passagieren à la Franta beim Einsteigen in die Karosserie behilflich sind, sondern auch beim Entladen des Korbes. Dieses Entladen ist, da die Seitenwände des Korbes nicht heruntergeklappt werden können, sondern fix sind, nicht so einfach, als sich ein Laie auf dem Gebiete des modernen Verkehrswesens denken würde. Aber das Problem wird dennoch auf findige Weise gelöst. Indem man die Truhe zu einem Tobogan umwertet. Wenn nämlich die Truhe an ihrem Endziele, dem Hof des Arrestgebäudes angelangt ist, so wird sie derart aufgestellt, daß der Korb windschief auf den Rädern ruht und die Füße des Etui-Inhaltes nach unten zu gerichtet sind. Nun klappen die aurigae den Deckel auf, heben die Beine ihres Pflegebefohlenen in die Höhe und schieben dessen Rumpf längs der schiefen Ebene so weit hinab, bis die Beine des Passagiers über die untere Wand des Korbes ragen. Dann tritt man auf die Füße des Korbinsassen, diese senken sich zu Boden, und der Passagier steht vertikal auf Mutter Erde. Ein sichernder Druck auf den Rücken hindert ihn an dem Rückfall in das Vehikel.
 
In noch zarterer Weise ist man jenen Passagieren beim Aussteigen behilflich, deren Reiseziel nicht der Hof des Polizeigefangenhauses, sondern der Flur des Krankenhauses ist. Denn auch solche gibt es. Wenn jemand auf der Straße überfahren wird und mit gebrochenem Schenkel daliegt, wenn jemand von Krämpfen oder von Blutsturz befallen wird, so holt ihn, wenn ihn nicht inzwischen der Teufel geholt hat, nach sehr geraumer Zeit die Gemeindetruhe ab und führt ihn ins Spital, wo er in den meisten Fällen noch lebend ankommt. Das ist das einzige, was Franta Cuček gegen die Gemeindetruhe einzuwenden hat. Das ist auch wirklich ein Mißbrauch dieses Vehikels. Wie kommen jene Leute, die Zeit und Geld für Alkohol geopfert und sich so mühselig das Anrecht auf die unentgeltliche Beförderung in diesem städtischen Fahrzeuge erworben haben, dazu, dieses Recht mit jedem ixbeliebigen auf der Straße ganz unabsichtlich und ganz zufällig erkrankten Menschen zu teilen? Geradezu unappetitlich ist das! Aber das ist der einzige Fehler des Etuis und dieser Fehler vermag die Liebe Cučeks zu seinem Fahrzeug nicht zu erschüttern. Und wenn er auch immer wieder von seinen Ausflügen per Schub nach Prag zurückbefördert wird — er empfindet es nicht unangenehm. Denn Prag ist die angestammte Heimat der Gemeindetruhe.
 
Ja, anderswo gibt es so etwas nicht. Man läßt zwar auch in anderen Städten die Leichen, die Bierleichen und die prosaisch Erkrankten nicht unbemerkt bis zu ihrer Auferstehung auf der Straße liegen. Aber in den anderen Weltstädten gibt es Räderbahren, bei denen die beiden Holme verschiebbar und die Füße der Bahre (nicht, wie in Prag, die des Kranken) umgeklappt werden können. Die Bahre dieser Transportmittel ausländischer Provenienz wird am Endziel der Reise einfach vom Rädergestell abgehoben — ein ungeheurer Nachteil, weil die Prager Entlade-Prozedur „System Rutschbahn“ dadurch unmöglich wird. Auch besitzen die auswärtigen Bahnen keinen Deckel, sondern ein zum Abknöpfen eingerichtetes Plantuch, das dem Kranken das Hinausblicken auf die Straße gestattet, aber es den Passanten verwehrt, das Gesicht des Patienten zu sehen. Daß dies eine Verletzung der Gleichberechtigung ist, liegt klar auf der Hand. Aber was kann man auch von einer Truhe verlangen, die keine Truhe ist!
 
Es gibt eben nur ein Prag, es gibt eben nur eine Gattung von Gemeindetruhen. Nur schade, daß es nur den breiteren Volksschichten möglich ist, dieses ebenso vornehme, wie praktische Straßenfahrzeug zu benützen. Warum könnte man nicht die Droschken und Fiaker durch Gemeindetruhen erster und zweiter Güte ersetzen? Sogar zu Gummiradlern könnte man die Gemeindetruhen umgestalten. Auf dem Josefsplatze stehen die Automobildroschken unbenützt. Würde man hier nicht auf dieser Stelle (vor dem Repräsentationshaus) einen Standplatz für Gemeindetruhen mit mehr Erfolg errichten können? Ich glaube nicht, daß ein Einheimischer oder ein zufälliger Fremder der Versuchung widerstehen könnte, wenn ihm aus dem Munde von Etui-Chauffeuren die einladenden Rufe entgegenschallen würden: „Gemeindetruhe gefällig?“, „Fahr’n m’r Euer Gnad’n?“ und „Einsteigen, meine Herrschaften, einsteigen!“ 
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