Er wußte nur noch, daß er weiter, immer weiter getrieben wurde. Endlich sank er erschöpft zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer weiten Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten ihn mit stillen, klaren Augen; aber sie waren stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber sie sangen nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das Wasser murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige strich, rauschte nicht – es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos flogen die drei weißen Vögel vor dem Gesellen her. – In der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße Wolke. Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und aber tausend von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, wie die, die ihn begleitet hatten, und er dachte daran, wie viele Menschen wohl gleich ihm denselben Weg gemacht hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit diese Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel umkreisten leise, leise einen starken, grünen Baum, dessen viele Zweige gingen auf und nieder zwischen Erd' und Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die drei weißen Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, mischten sich unter die andern, die in den Zweigen des Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr unterscheiden konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und der weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn fächelte, da war es ihm, als höre er die Worte:
»Weil' nicht am Wege,
Nicht ist er mehr weit.
Wir kreisen und hüten die kommende Zeit,
Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid –
Im Baum schläft sie sicher geborgen.«
Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines der saftgrünen Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, in seine Hand. Da zog sein ganzes Leben an ihm vorüber: er sah sich, wie er immer dem Sonntag nachgejagt war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht die Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war ja eine Viertelstunde zu früh geboren. Wie er auf das Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, lange, da bleichte sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein starker Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein Greis, und nun wußte er, wann er den Sonntag einholen würde. – Er sah auf und sah die weißen Vögel, die mit ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind erhoben; der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über der Stadt lag der Dunst, das zerfallene Königreich bröckelte am Wege – er schaute nicht um danach. Er ging durch den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos standen. Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem Frau Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer geschlossen hatte. Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster und schaute in den Garten hinein.
Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte den Spatzen: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine Blütenkrone auf dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen der Kinder, die heute geboren werden.«
Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er schloß die Augen, und seine Seele zog vor des Sonntags Thron, damit sie als Duft auf die Stirn eines neugeborenen Sonntagkindes gelegt werde. – Im Tode war der Geselle ein Sonntagskind geworden.
»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas ganz Alltägliches,« piepsten die Spatzen, »das passiert jede Woche einmal.«