»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch sagen werde,« fuhr der Seekönig fort: »Die Luftgeister, unsere Freunde, haben dieses Papier, das der tote Mensch mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat da oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg und zu uns herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans Meer, lasset die im Meere es weitertragen zu den Geistern der Völker an der andern Seite des großen Wassers, wie das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« – Da schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das Papier, daß es auf in die Wellen flog; die fischköpfigen Räte griffen entsetzt danach: »Erst sehen, sehen!« Aber der kleine Seekönig lachte, daß es ein Seebeben gab, und zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht – wir bauen!« sagte er.
»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr Antlitz der Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, die du ins Wasser hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich habe dich oft gesehen, habe vor dir geschaukelt, wenn du dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich hätte dich mir geholt – ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die Menschen denken, sie haben dich begraben; aber ich halte dich in meinen Armen – ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen und dein Werk beschauen, nicht so lange die Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, daß dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will dich behalten – für mich.« – Dann glitt sie zum Seekönig hin und schmeichelte: »Väterchen, mach' es recht schön!« – Er aber streichelte ihr langes Haar, das glänzte wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du darfst die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn nur durch sie können wir das Große vollenden.«
Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein dabei sind, das blaue Wasser zu kommandieren, daß es in langen, glänzenden Streifen zwischen grünen Inseln sich durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im Wege ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd zu Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die Nixen kommen und spielen mit den Fluten, daß sie in glitzernden, schillernden Farben zu den Luftgeistern emporsprühen. Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt aus der Tiefe des Sees – eine weiße, wundersame Wunschstadt. Da tauchen Türme auf mit seltsam zackigen Verzierungen; ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie allerlei alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die Türme sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde mit lauter kleinen Fensterchen rundum; und die Fische leiten das klare Wasser hinein und tummeln sich darin. Und still und groß und schön wächst es und wächst es, schier in die Ewigkeit hinein. – In einer großen Muschel, davor sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht der Seekönig die Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau haltend. Hier zwickt er ein paar faulen Weißfischen aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt er zwei streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches Nixlein ruft er herbei als Oberaufseher, und das lenkt mit seinen weißen Fäustchen die störrischen Gesellen wie ein paar gutmütige Oechslein. – – Als aber der Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie tragen kann, schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da – krönt das Ganze damit! daß die Kuppel weithin leuchte wie eine Sonne!«