Von den Bergen, wo der Wind,
Wo die Tannenschwestern sind,
Sind wir hergeflogen,
Sind wir hergezogen –
Sag' uns, was ist Weihnacht?
Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' das Rauschegold, mit dem sie geschmückt, knisterte und raschelte, die Krystallkugeln klirrten – stärker denn je dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal:
»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl trage ich eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler Kerzen Schein – für die Weihnacht. – Aber gebt mir die Wintersonnenwende wieder, laßt mich umbrausen, umtosen vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich umschmeicheln und mir ins Herz hineinlachen. – Nehmt mir Alles dafür hin!
Was die Weihnacht ist?
Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, und Heuchelei und Geldstolz – das ist Weihnacht unter den Menschen; und zum Hohn nennen sie's das Fest der Liebe! Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht – wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn die Kinderärmchen sich nach uns ausstrecken, die Kinderstimme uns anjauchzt –«
Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der Schwelle stand ein Kindchen und blickte verschlafen um sich und strich sich die blonden Härchen aus dem heißen Gesicht. – Nicht schlafen konnte das Kind vor Freude über Weihnacht, und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört neben dran und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich hin, und stand mitten unter dem lustigen Volk. –
Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen kam wieder herausspaziert und sagte mit dumpfer Stimme: Eins! und nun war alles wieder still und stumm und leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen konnten nicht so schnell zum Fenster hinfliegen – da erblickte sie das Kind: »Das sind die Engelein vom Himmel,« jauchzte es, »Tanne, die hast du mir mitgebracht!«
Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen und preßte sie an sich und drückte und herzte sie – ach – und da vergingen sie ihm unter den Händen, und das Kind betrachtete verwundert seine leeren feuchten Aermchen – da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte bitterlich.
Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar gefangen hatten beim Spielen, die neigten sich an des Kindes Ohr und erzählten ihm vom Tannenwald und dem Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, da schliefs Kindchen ein.
Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder aufgewacht, und größer und älter geworden, wann die Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht ihm, dem großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer wieder das Märchen durch die Seele – das Märchen von den Schneeflocken, die ausgezogen, die Liebe zu suchen, und an der Liebe gestorben sind.