So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, darin war es gar warm und behaglich, und sie stiegen die teppichbedeckten Stufen hinan und kamen in ein schönes Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, der leuchtete von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte Leute standen um ihn und bewunderten die kostbaren Sachen, die darunter lagen. Das Zwillingspaar hielt sich fest an den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, der neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre lieblichen Lippen:
»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und Unglück aus der Welt von hinnen treibe.«
Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von Sinnen lachen: »Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit kann man nicht handeln« und »Liebe,« lachte die schöne Dame neben ihm, »quelle idée! Die ist gar so unbequem und aufreibend –!«
»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig um sich, »hier ist nicht gut sein.«
Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite und sie zogen weiter.
Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares Häuschen, da brannte auch ein Tannenbäumchen, aber nur ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen und ein paar Aepfeln und Nüssen daran.
Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei Kinderchen im Arm und am Fenster ein finsterer Mann, der brütete vor sich hin und sah das Weihnachtsbäumchen kaum.
Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem anderen Pärchen zu:
»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom Traumhimmel sind wir gesandt, die neue Religion zu verkündigen, das Evangelium der Liebe und Wahrheit.«
Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert zur Seite, und der blassen Frau liefen die Thränen über die schmalen Wangen.
»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn sie hängt schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht leben.«
»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem Lachen, »wenn man die Wahrheit sagt, wird man mit Hunden gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium ist nicht für Arme.«
Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den Straßen umher und wagten nicht mehr in die Häuser einzutreten. Sie kamen an ein großes, großes Haus, das hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein und aus den geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein von vielen Lichtern, Orgelklang und Gesang von vielen frommen Stimmen; sie schlüpften hinein und standen in einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare stand eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, wie sie selber, mit einem goldenen Krönchen auf dem Haupte.