Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige Gedanken hatte – worüber? – Sie waren zu tief, um das ergründen zu können. Vielleicht war's, ob die Welt da um mich her mit ihren langen Straßen und engen Häusern eine wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und ob die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn und Augen habe, die mir das alles so erscheinen lassen – ja, vielleicht war's das, worüber ich nachdachte. Und neben mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden Stimmchen wie ein kleiner Bach; und weil mich das in meinem tiefsinnigen Denken störte, sagte ich:
»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!«
Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber als das liebliche Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, konnte ich erst recht nicht denken, und als ich mich ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen verloren. Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich wieder zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, und unter die trockenen Blätter, die darunter lagen, aber nirgends leuchteten die Zauberaugen meines Märchens.
Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem langen, spitzen Kirchturm saß:
»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick – hast du mein Märchen nicht gesehen?«
Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und als sie schnarrend zu einer Antwort einsetzte, da sagte sie mit rasselnder Stimme eine ganze Menge Zahlen her – als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! Nun fragte ich die Leute auf der Straße:
»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde – habt Ihr mein Märchen nicht gesehen?«
Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir nicht. Und wenn sie Dir gehört und weggelaufen ist, so zeige es doch bei der Polizei an« – – als ob eine blauröckige Polizei mit einem Knüppel ein Märchen einfangen könnte!
Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. Aber die standen ganz still und regten sich nicht und ließen nur zwei, drei gelbe Blätter vor mir niedersinken. Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und zu gebildet zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich nun durchaus mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren hatte, wieder haben mußte, so ging ich auf Reisen, ihm nach.
Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, wie eine grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel sich wölben, über und über bedeckt von weißen Maßliebchen. Mir war es, als ob mein Märchen sein goldenes Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich – ich bin das Leben!« – Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und deckte die grüne Sammetwiese und die Maßliebchenhügel zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen wie weiße Mövenflügel.