Es war später Nachmittag an einem Sonntag. Papa hatte tief in seinem Kleiderschrank gewühlt und daraus eine alte, verschlissene Jeansjacke hervorgeholt, an der es noch nicht einmal mehr Ärmel gab. Dafür war sie übersät mit unzähligen, bunten Aufnähern, die teilweise nur aus seltsamen Wörtern bestanden, andere mit Bildern geschmückt waren. Unter der Jacke hatte er ein verwaschenes T-Shirt an, das ebenfalls mit Bild und Schrift verziert war. Seine Beine und seinen Hintern hatte er in eine viel zu enge Lederhose gequetscht, die kurz davor war, auseinander zu platzen.
»Du siehst aber witzig aus.« lachte sein Sohn Jonas. »Ist heute Karneval oder gehst du auf eine Kostümparty?«
Papa drehte sich um und verzog beleidigt das Gesicht. »Das ist kein Kostüm. Das ist meine metal-Kutte. Damit bin ich früher fast jeden Tag aus dem Haus gegangen. Damit habe ich die Discos, Partys und Konzerte unsicher gemacht.«
Er ging zu einer Kommode, kramte ein altes Foto daraus hervor und hielt es Jonas vor die Nase. »So habe ich damals ausgesehen.«
Tatsächlich waren es die gleichen Klamotten. Aber das musste schon mindestens hundert Jahre her sein, dachte sich Jonas.
»Hast du lange Haare gehabt? Du siehst auf dem Bild aus wie ein Mädchen.« und musste sich vor Lachen den Bauch halten.
»Du hast ja überhaupt keine Ahnung, wie das früher gewesen ist. Wir sind alle so rumgelaufen.«
»Und warum ziehst du das alles heute wieder an?«
Papa seufzte. »Heute ist doch mein Schallplattensonntag.«
Jonas nickte. Das kannte er bereits. Papa verzog sich dann in seine Männerhöhle im Keller und hörte sich dort alte Musik von Früher an. Bisher hatte sich Jonas aber noch nie dafür interessiert.
In diesem Moment klingelte es an der Haustür.
»Mach mal schnell auf.« sagte Papa. Ich muss erstmal versuchen, ob ich die Hose zu kriege.« Mit rotem Kopf drehte er sich zum Spiegel um, zog den Bauch ein und zog verzweifelt am Reißverschluss.
Jonas eilte währenddessen die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Er sah sich zehn Männern gegenüber, die alle ähnliche Klamotten trugen, wie sie Papa gerade anzog. Einer von ihnen beugte sich herunter und kniff Jonas in die Wange.
»Na, bist du denn auch schon ein richtiger metaller und machst mit beim Schallplattensonntag?«
»metaller?« Jonas wusste damit nichts anzufangen und dachte nach. Er hatte ein paar alte Geldmünzen in seinem Zimmer liegen und ein Regal war aus metall. Aber warum er dann gleich ein metaller sein sollte, konnte er sich nicht vorstellen.
Die Männer traten ein und ließen sich den Weg zur Männerhöhle zeigen. Dort machten sie es sich bereits auf den Sofas gemütlich. Einer von ihnen stellte sich hinter Papas selbst gebauter Theke, holte Gläser und Getränke aus den Schränken und verteilte sie großzügig.
Da kam auch schon Papa herein. Ich atmete schwer, was wohl auch daran lag, dass er noch immer den Bauch einzog. Er begrüßte seine Gäste und ließ sich dann in seinen Sessel fallen.
»Bleibt der kleine Mann auch hier?« fragten sie interessiert. Jonas zuckte nur mit den Schultern und kletterte dann über unzählige Beine zum hintersten und einzig freien Platz. Papa legte eine seiner Schallplatten auf, drehte die Lautstärke auf und freute sich wie ein Honigkuchenpferd.
Aus den Lautsprechern erklang donnerndes Schlagzeug. Kurz darauf jaulten die Gitarren los und kreischende Stimmen heizten den Hörern kräftig ein. Drei von ihnen, unter anderem auch Papa, sprangen auf und spielten ebenfalls Gitarre. Eigentlich versuchten sie es nur, denn sie hatten nichts in Händen und spielten einfach in der Luft. Jonas hatte das Gefühl, in seinem Kinderzimmer zu sitzen, denn dort spielte er auch manchmal Auto oder Flugzeug nur mit Luft.
Nach ein paar Minuten war das erste Lied zu Ende und die Männer gröhlten laut vor Freude.
»Ich will die nächste Musik einschalten.« rief Jonas. Schon krabbelte er wieder umständlich über die vielen Beine und es dauerte eine Weile, bis er neben Papas Sessel stand. Er ließ den Zeigefinger über die vielen Platten im Schrank wandern und blieb irgendwann stehen. »Die da.«
Gemeinsam legten sie die schwarze Scheibe auf den Teller und starteten sie. Laut ertönte die Musik. Wieder gröhlten die Männer und sangen laut mit, während ein paar es sich nicht nehmen ließen, erneut zu unsichtbaren Gitarren und Schlagzeugen zu greifen.
Inzwischen war Jonas wieder auf seinem Platz in der Ecke angekommen. Er ließ sich in das weiche Polster plumpsen und sah sich alles um sich herum an. Das war unglaublich witzig. Er hätte nie gedacht, dass Erwachsene so viel Spaß an Musik haben könnten. Aber nur ein paar Sekunden später war es wieder vorbei. Das Lied endete, es wurde still in der Männerhöhle.
»Zeit für eine neue Platte.« rief Papa und wollte schon eine aus dem Regal holen, als Jonas aufsprang und über die Beine kletterte.
»Ich will das machen. Lass mich bitte. Das macht viel Spaß.«
Dabei wurde er lautstark von den anderen Männern unterstützt. »Genau. Lass das den Bengel machen. Er hat guten Geschmack bewiesen. Er sucht uns bestimmt eine gute Scheibe aus.«
Und so war es auch. Jonas zog eine heraus, legte sie auf und kletterte zurück an seinen Platz. Doch auch dieses Mal endete die Platte schon nach dem ersten Lied.
»Das darf doch nicht wahr sein. Was ist denn mit euren Schallplatten los? Die können doch nicht jedes Mal nach einem Lied zu Ende sein. Sind die etwa kaputt? Da ist mir mein MP3 Player aber lieber. Da kann ich stundenlang hören, ohne etwas Neues aussuchen zu müssen. So was solltet ihr euch auch mal kaufen.«
Ein letztes Mal kletterte er über die Beine der Männer und ging zum Ausgang der Männerhöhle. Kurz bevor er durch die Tür ging, drehte er sich noch einmal um. »Schallplatten sind doof.« rief er und streckte allen die Zunge raus.
Als er dann aber auf dem Weg nach oben die lauten Gitarren erklingen hörte, war er doch traurig, gegangen zu sein. »Eigentlich ist die Musik richtig gut.« murmelte Jonas vor sich hin.
Dann schlich er sich die Treppe wieder hinunter, setzte sich an den Eingang der Männerhöhle und hörte den restlichen Tag zu.