Herr Severin hatte inzwischen still den schwarzen Kasten in sein Turmzimmer hinaufgetragen, und oben hatte er Kasperle herausgelassen. Ganz verstriezelt sah der sich um, und Herr Severin hatte ein wenig gelacht und gesagt: „Kasperle, du kleiner dummer Schelm, diesmal wärst du beinahe erwischt worden!“
Ach ja, wirklich beinahe! Kasperle schlug das Herz laut, wenn er an das Gelärme dachte, das sich um ihn herum erhoben hatte.
Nach einer Stunde kam Meister Helmer. Der freute sich herzhaft, als er Kasperle unversehrt wiedersah, und er hätte ihn gern wieder zu sich genommen, aber er stimmte doch Herrn Severin zu, als der sagte: „Kasperle muß fort. Morgen reise ich und nehme ihn mit im schwarzen Kasten. Und nun, Kasperle, spitze deine Ohren: es geht zurück ins Waldhaus. Ich weiß nun, wo es liegt, aber —“
Kasperle hatte gerade vor Freude einen Purzelbaum schlagen wollen, als dies „Aber“ ihn zurückhielt. Ein wenig ängstlich sah er Herrn Severin an, und der sagte ernsthaft: „Ja aber, Kasperle, du mußt arg vernünftig sein, denn wir kommen an allerlei Orte, wo man dich kennt. In Waldrast soll ich nach der Orgel schauen, und — auf Schloß Hirschsprung erwartet mich der Herzog. Da mußt du dann immer im Kasten bleiben und darfst keine dummen Streiche machen. Wirst du das können?“
Kasperle seufzte schwer, doch dann versicherte er treuherzig, er wolle ganz ungeheuer folgsam sein. Ja, und dabei glitzerten seine Äuglein schon wieder sehr lustig, denn der Gedanke, so ungesehen ins Herzogsschloß und nach Waldrast zu kommen, machte ihm großen Spaß. Viel lieber hätte er freilich Rosemarie und das Michele wiedergesehen, und als er an diesem Abend noch mit Herrn Severin zusammensaß, erzählte er dem viel von den beiden, und der sagte: „Nun, wer weiß, vielleicht sehen wir sie noch. Auf einer Reise trifft man oft wunderlich mit den Menschen zusammen!“
Am nächsten Morgen, noch war die Sonne nicht recht aufgegangen, mußte Kasperle in den schwarzen Kasten steigen. Ein wenig eng ging es drin zu, denn Herrn Severins Werkzeug und allerlei mußten auch noch hinein, und Herr Severin meinte, schwer sei das Kasperle schon, als er den Kasten aufhob. Dann ging es hinaus. Im bunten Garten stand Meister Helmer, und da ringsum kein Mensch zu sehen war, durfte Kasperle noch einmal aussteigen und noch einmal flink durch die Gänge laufen. Wie schön war doch der Garten! Kasperle wurde das Herz schwer, als es an das Scheiden von Meister Helmer und seinen vielen Blumen ging. Doch Herr Severin trieb zum Aufbruch, gleich würde die Post vorbeikommen. Und Kasperle kroch wieder in seinen Kasten, und da kam schon mit Traratrara die gelbe Postkutsche angefahren. Der schwarze Kasten wurde oben aufgestellt. Herr Severin stieg in den Wagen, und heidi! fort ging die Reise.
„Lieb Städtchen, ade! Scheiden tut weh,“ blies der Postillion, und rissel, rassel fuhr der Wagen ins Land hinein.
Mittags kamen sie an ein Gasthaus, da hielt der Wagen. Die Gäste stiegen aus, und Herr Severin sagte, er müßte ein Zimmer haben und allein essen, dies halte er immer so. Potzhundert, dachte der Wirt, das ist aber ein Vornehmer! Und er ließ Herrn Severin das Essen in einem besonderen Zimmer auftragen. Da spazierte dann Kasperle aus seinem Kasten heraus, schmauste mit, und nachher wunderte sich der Wirt über den gewaltigen Appetit, den der vornehme Herr gehabt hatte.
Und weiter ging die Fahrt, immer weiter. Endlich kam ein Wirtshaus mit einem feuerroten Ochsen im Wirtshausschild. Da stieg Herr Severin aus und sagte dem Postillion Lebewohl. Der meinte, nun müsse der Herr sich aber gewaltig schleppen, denn Waldrast liege hoch in den Bergen, und der schwarze Kasten sei arg schwer.
„Wird nicht so schlimm sein,“ meinte Herr Severin und schritt am roten Ochsen vorbei auf schmalem Wiesenweg in den Wald hinein. Innen öffnete er den Kasten, und Kasperle durfte nun neben ihm herspazieren. Sie paßten beide freilich sehr auf, ob jemand käme, aber niemand begegnete ihnen auf dem Weg. Herr Severin spielte auf seiner Geige, Kasperle hielt tapfer Schritt, und nach etlichen Stunden kroch er wieder in den schwarzen Kasten, denn die Turmspitze von Waldrast wurde sichtbar.
Kasperle zog in Waldrast ein. Niemand sah ihn, er aber sah durch sein Guckloch allerlei, zuerst die base Mummeline, die auf der Straße stand und auf ein paar Buben schalt. Und dann sah Kasperle das liebe Schulhaus, er sah Herrn Habermus, der kam, den fremden Künstler zu begrüßen. Kasperle hörte die gute, freundliche Stimme reden, und der Kasten wurde ihm drückend eng. Ganz bitter schwer war es ihm, daß er niemand guten Tag sagen durfte, und als Herr Severin etwas später im Wirtshaus den Kasten öffnete, fand er Kasperle klitschnaß von Tränen.
Herr Severin tröstete gut und linde; er zeigte Kasperle, daß sie dicht neben dem Schulhaus wohnten. Von seinem Fenster aus konnte Kasperle denen drüben in die Stuben sehen, und gerade wollte er das tun, als die base Mummeline ans Fenster trat. Hei, fuhr da Kasperle zurück! Ganz böse sah er gleich aus, und Herr Severin hob warnend den Finger: „Kasperle, Kasperle, mache keinen dummen Streich!“
Kasperle wollte das bestimmt nicht. Wenn nur die base Mummeline nicht gewesen wäre! Aber allemal, wenn er ans Fenster trat, immer erschien sie drüben. Kasperle kam gar nicht dazu, die Schullehrerin und ihre Kinder zu sehen, und er hatte doch so große Sehnsucht nach ihnen.
Ja, als er einmal gerade wieder um die Ecke schauen wollte, öffnete drüben die base die Türe, und sie kam tripp trapp ins Wirtshaus herüber. Die Wirtin war ihre gute Freundin, und Kasperle wußte auch, die war genau so neugierig wie die base selbst. Er rutschte flink in den Kasten, und nach einem Weilchen kamen auch richtig die beiden Frauen in das Zimmer. Die base Mummeline sah sich neugierig darin um, und Kasperle hörte sie sagen: „Er hat alles in dem schwarzen Kasten.“
„Den machen wir auf,“ tuschelte die Wirtin, und schon fingerten die beiden Frauen an dem Kasten herum. Nun wußte Kasperle wohl, so leicht bekam den niemand auf, aber ungemütlich war es ihm doch; er dachte: Ich verjage sie. Er steckte den Kopf in sein Rucksäcklein und blies und brummte plötzlich hinein, ganz schauerlich klang es, und die beiden Frauen fielen beinahe um vor Schreck. „Uhuhuuuh!“ tönte es, und die base Mummeline jammerte: „Er hat den Teufel drin!“
Aber die Wirtin war beherzter. „Das muß ich sehen,“ sagte sie und ging wieder auf den Kasten zu, aber noch war sie nicht dran, als die Türe aufgerissen wurde und Herr Severin ins Zimmer kam. Der hatte schon unten das Uhuhuuuh vernommen. Die beiden Neugierigen erschraken arg, doch die base Mummeline faßte sich schnell und rief ganz streng: „Ihr habt einen Teufel im Kasten.“
„Ei, nur einen, der es auf Neugierige abgesehen hat!“ sagte Herr Severin lachend. „Nehmt euch in acht, manchmal fährt er auch mit einem lauten Knall heraus.“
„Huch!“ kreischten die Frauen, und rumpel pumpel rasten sie hinaus, die Treppe hinab, und Kasperle platzte bald vor Lachen in seinem Kasten. Herr Severin lachte mit, er sagte aber doch, es sei gut, daß sie morgen schon weiterzögen, Kasperle dürfe die Leute nicht mehr schrecken, es könne ihm doch schlecht bekommen. Und am Abend schloß Herr Severin vorsichtig das Zimmer. Er ging noch in das Lehrerhaus hinüber, und er dachte, das Kasperle einschließen ist schon am sichersten. Aber auch am langweiligsten, dachte Kasperle. Der sah immer wieder geschwinde einmal zum Fenster hinaus, und als draußen alles still geworden war, hockte er sich auf das Fensterbrett und blickte sehnsüchtig nach dem Schulhaus hinüber. Ach, nur einmal hineinsehen hätte er mögen! Gerade vor seinem Fenster stand ein dicker Holzapfelbaum. Wenn er an dem Baum hinabkletterte, dann —. Aber da dachte er an Herrn Severins Verbot, auch lag unten ein Hund, und die Geschichte kam ihm etwas bänglich vor. Aber ein paar unreife Holzäpfel der base Mummeline ins Zimmer werfen, das ging vielleicht doch; so platsch ins offene Fenster hinein, das wäre doch ganz spaßig!
Die base wurde immer fuchswild über so etwas. Kasperle kicherte leise vor sich hin, griff in die Äste und pflückte etliche Äpfel. Das Werfen konnte er gut, und so ging es, eins, zwei, drei! wirklich glatt in der base Stube hinein. Wohin die Äpfel trafen, das sah Kasperle nicht, aber ein arges Zetergeschrei hörte er; es klirrte etwas, und er rutschte erschrocken vom Fensterbrett herab. Drüben hatte er wohl ein Unheil angerichtet.
Der Lärm dauerte eine Weile an, dann wurde es still. Im Schulhaus saß die base Mummeline im Ofenwinkel und heulte, und alle standen um sie herum und trösteten sie. Auch Herr Severin stand dabei, und der dachte immerzu: Kasperle, du bist ein arger Schelm! Da war die base in ihr Zimmer gekommen und hatte einen Wasserkrug getragen, und just als sie eben an der Türe stand, kam es, eins, zwei drei! Klirr! ging der Krug in Scherben, bums! flog ein großer Apfel an der base recht große Nase, klirr! einer in den Spiegel, und da soll man nicht schreien und zetern! Die base sah Herrn Severin schief an und sagte, der Herr werde schon wissen, woher die Äpfel kämen; mit seinem schwarzen Kasten sei das nicht richtig.
Da tat Herr Severin ganz böse, und er sagte, die base Mummeline möchte nur kommen, er wolle ihr schon den Inhalt des Kastens weisen. Doch davon wollte die base nichts wissen, ja, sie lief eiligst in ihr Zimmer und ging sehr geschwinde in ihr Bett. Sie kroch tief unter ihre Decke, aber es flog nun kein Holzapfel mehr in ihre Stube.
Herr Severin aber nahm seine Geige und spielte darauf. Das klang fein und lieblich, und in Waldrast vergaßen sie darüber das Zubettgehen. Sie lauschten dem schönen Spiel und wünschten, der Geiger möchte noch lang im Dorfe bleiben. Doch kaum glitzerten am Morgen die ersten Sonnenstrahlen auf den Spitzen der Berge, da zog Herr Severin mit seinem schwarzen Kasten von dannen.
„Das war ein Schlimmer,“ sagte die base Mummeline hinter ihm her, „man müßte seinen Kasten untersuchen.“ Aber das glaubte ihr niemand, am wenigsten der Schullehrer und seine Frau. Ja, der gute Herr Habermus fand die Geschichte mit den Holzäpfeln gar nicht wunderbar und gruselich, er sagte: „So etwas und noch mehr bringen auch die Waldraster Buben fertig. Wer weiß, wer es gewesen ist!“
An Kasperle dachte niemand. Der zog inzwischen vergnügt mit Herrn Severin den Weg entlang, den er vor etlichen Wochen in Angst gelaufen war. Im Walde war es still, und niemand begegnete den Wanderern. Sie schliefen auch im Walde und gelangten endlich an des Micheles Hüteplatz. „Michele ist nicht mehr da,“ sagte Kasperle traurig. Aber der Michele war doch da. Der saß vor der Felsspalte und pfiff auf einer Flöte, die er sich selbst gemacht hatte. Seine Geißen weideten vergnügt um ihn herum. Da erhob Kasperle laut seine Stimme, und Michele sah sich um, als erwache er aus einem Traum. Und dann sprang er über Steingeröll und Wurzeln, toller als seine Geißen, er packte Kasperles Hände und drehte den Freund rundum. Er war ganz atemlos vor Freude und konnte erst gar nichts sagen. Kasperle mußte erzählen, und Herr Severin sprach auch ein Wörtlein dazu. So erfuhr Michele alles. Er selbst war geschwinde mit seiner Erzählung fertig, er sagte nur: „Den Geißen schmeckt’s hier besser, darum bin ich heute mal hergezogen.“
„Das hat sich freilich gut getroffen.“ Herr Severin sagte es, während er sacht an seiner Geige herumstimmte; er sah wohl des Micheles sehnsüchtigen Blick.
„Da, nimm und spiel’ mir etwas vor!“ sagte er plötzlich und reichte dem Buben die Geige hin.
Der erschrak ordentlich. Daheim der Schneider-Jakob, der im Dorf zum Tanz aufspielte, der hatte ihn freilich schon manchmal auf seiner Geige spielen lassen. Die sah aber anders aus als die des schönen fremden Herrn. Der Bub wagte kaum, sie recht anzufassen, doch als er sie hielt, kam die Lust zu spielen über ihn, und er strich zart mit dem Bogen darüber hin.
Kasperle machte so große Augen, als er nur konnte, wie Michele spielte. Herr Severin hörte aber still zu, und als Michele verlegen innehielt, sagte er: „Im Herbst, wenn ich heimreise, dann will ich kommen und dich mit mir nehmen. Deiner Mutter will ich für etliche Jahre so viel geben, wie du als Geißenhirt verdienst, du aber sollst bei mir lernen, was ein rechter Geiger braucht. Willst du?“
Hei, ob das Michele wollte! Er und Kasperle machten solche Freudensprünge, daß beinahe die Geißen neidisch wurden, weil sie nicht so hoch hüpfen konnten. Und als Herr Severin und Kasperle weiterzogen, blieb das Michele so glückselig zurück, als säße es mitten auf der schönen Himmelswiese. Geiger sollte er werden, spielen dürfen, was ihm die Bäume vorrauschten und das Bächlein flüsterte! Er dachte: Das verdanke ich Kasperle, allein dem Kasperle! und er ahnte nicht, daß Herr Severin bei Kasperles Erzählung gedacht hatte: Der Bube, der so arm ist und doch ein volles Geldsäcklein zurückweist, von dem niemand etwas ahnt, der gefällt mir. Kann er geigen, dann will ich ihm helfen, ein rechter Künstler zu werden.
Kasperle war purzelvergnügt über des Kameraden Glück. Er wollte vor lauter Freude singen, aber da sagte Herr Severin geschwinde: „Sei still, sei still, sonst fangen die Bäume an zu schelten über dies Geschrei. Flink, krieche lieber in den Kasten, sonst treffen wir gar noch einen Jäger, der dich erkennt!“
Da flitzte Kasperle sehr eilig in seinen Kasten, Herr Severin nahm ihn auf den Rücken, und er war heilfroh, als das Schloß vor ihm auftauchte. So ein richtiges lebendiges Kasperle zu schleppen, war wirklich nicht leicht!
Im Schloß wurde der fremde Künstler wohl empfangen. Nur wunderten sich alle über den großen schwarzen Kasten, den er bei sich hatte. „Darin ist ein seltenes Spielwerk,“ sagte Herr Severin, „das muß ich immer bei mir führen.“ Und er verschloß sorgsam das Zimmer, auch mußte Kasperle noch tief ins Bett schlüpfen, damit ihn ja niemand zu sehen bekam. Das war langweilig; viel lieber hätte er im Schloß etwas herumgegeistert oder zugesehen, wie Herr Severin des Herzogs Spinett eine Seele gab.
Herr Severin saß in dem Saal, ganz allein, das hatte er so gewollt, als sich sacht eine Türe auftat und ein kleines Mädchen hereinkam. Die ging ganz, ganz leise auf den Fußspitzen und lauschte andächtig, als der Künstler spielte. Herr Severin sah sie an und dachte: Sie sieht doch aus wie Rosemarie, von der das Kasperle erzählt hatte! Da ließ er das Spinett singen, und er selbst sang halblaut dazu:
„Rosemarie, du kleine,
Rosemarie, du feine,
Einer hat mir aufgetragen,
Schönes Grüßlein dir zu sagen.
Trallallala, trallallala!
Rosemarie, du kleine,
Rosemarie, du feine,
Sage mir, ob du wohl weißt,
Wie der kleine Schelm doch heißt?“
„Kasperle heißt er!“ klang es lieblich neben ihm. Rosemarie stand am Spinett und sah Herrn Severin mit ihren großen Augen fragend an: „Wo ist Kasperle?“
„Du bist also wirklich Rosemarie,“ sagte Herr Severin. „Kasperle kommt ins Waldhaus zurück, er geht wieder heim.“
Rosemarie lächelte holdselig, und sie tippte mit feinem Fingerlein auf das Spinett, da klang es wie: „Grüße, Grüße, viele Grüße!“
„Ich werd’ es bestellen, und wenn du schweigen kannst, kleine Rosemarie, dann wirst du auch noch einmal das Kasperle sehen.“
Rosemarie sah Herrn Severin ernsthaft an, sie legte ihr Fingerlein fest auf den roten Mund, und dann huschte sie geschwinde aus dem Saal, denn jemand kam, im Nebenzimmer tönten Schritte.
Der Herzog war es. Der wollte hören, ob das Spinett nun schon eine Seele habe, und dann wollte er wissen, was für ein seltenes Spielwerk der Künstler im schwarzen Kasten habe. Der Herr Herzog war nämlich etwas neugierig, und er war ganz verdrießlich, als Herr Severin sagte, dies dürfe er nicht zeigen, dies Spielwerk gehöre nicht ihm, und er habe versprochen, es niemand zu zeigen.
Ich werde es schon sehen! dachte der Herzog und ging brummelnd davon. Herr Severin bekam Angst. Wenn ein Herzog etwas gern will, dann ist das so eine Sache. Wer konnte wissen, ob der nicht seinen Landjägern befahl: „Macht mir den Kasten einmal auf!“ Sorgenvoll ging er durch die vielen Gänge, an vielen geschlossenen Türen vorbei nach seiner Stube, und dabei lief ihm eine schwarze kleine Katze über den Weg. Halt, dachte er, die kommt mir zurecht, und er fing schnell das Kätzchen und nahm es mit.
In seinem Zimmer saß Kasperle verdrießlich wie einer, dem die Pfingstfreude verregnet ist. Sein Gesicht wurde aber gleich hell, als Herr Severin ihm von Rosemarie erzählte. „Gewiß hat der Herzog sie mit ihren Eltern eingeladen,“ sagte Kasperle.
„Ja, mein Kasperle, jetzt könnte dir das auch geschehen sein, wenn du nicht gar so unnütz und neugierig gewesen wärst. Aber nun mußt du in den Kamin kriechen, weit hinauf wie ein Schornsteinfeger.“ Und Herr Severin erzählte Kasperle von des Herzogs Verlangen.
Da bekam aber Kasperle einen Schreck, denn vor dem Herzog hatte er die allergrößte Angst. Er kroch flink in den Kamin, das ging ganz gut, und Herr Severin steckte das schwarze Kätzlein in den Kasten. Kaum waren sie beide fertig, da kam ein Kammerherr, der sagte, er wolle dem fremden Geiger das Schloß zeigen, der Herzog habe es befohlen. Und inzwischen will er in den schwarzen Kasten sehen, dachte Herr Severin und lachte heimlich.
Er hatte recht gehabt. Kaum waren die beiden aus dem Zimmer gegangen, als Kasperle Schritte hörte, Stimmen wurden laut, und er vernahm des Herzogs Befehl: „Öffnet den Kasten!“
Jemine, dachte Kasperle, wie schade, daß ein Kamin kein Guckloch hat! Er wollte versuchen, etwas zu sehen, und gerade war er bis ans Ofenloch gerutscht, als der Kasten aufging und die schwarze Katze fauchend heraussprang. Ritsch, saß sie dem Herzog auf der Schulter, und ehe sie noch jemand fassen konnte, sprang sie zum offenen Fenster hinaus.
„Prschiii!“ Kasperle war Ruß in die Nase gekommen, er mußte laut niesen. „Hazzi, prschiii!“ Und puh! quoll eine dicke, dicke Rußwolke aus dem Kamin, und der Herzog prustete, spuckte, nieste, und dann rannte er aus dem Zimmer, und seine Diener rannten ihm nach. Sie dachten alle, die schwarze Wolke sei aus dem Kasten gekommen, und der Herzog schalt arg, der Künstler sei ein Hexenmeister. Und schämen tat er sich auch.
Herr Severin lachte sehr, als er in seine Stube zurückkehrte und die Bescherung sah. Das Kasperle sah aus wie ein kleiner Schornsteinfeger, er gefiel sich selbst gar nicht. Aber Herr Severin half ihm sich waschen, da wurde er wieder blank und kroch vergnügt in seinen Kasten zurück. Danach ging Herr Severin zum Herzog und sagte, er wolle fort, denn das wunderbare Spielzeug sei nun beinahe kaputt, und der Herzog seufzte sehr und bat Herrn Severin inständig, ihm abends noch etwas vorzuspielen.
Der Geiger versprach das auch, doch bat er, es dürften keine Kinder dabei sein. „Ach,“ rief der Herzog, „die gibt es ja gar nicht im Schloß! Nur die kleine Gräfin Rosemarie ist da, die stört doch nicht.“
„Doch, sie stört, sie muß ins Bett,“ erklärte Herr Severin und tat ganz streng.
Da durfte Rosemarie abends nicht in den Saal kommen, um dem Spiel des fremden Künstlers zu lauschen. Aber alle Dienstboten standen hinter den Türen, und Herr Severin spielte so wundersam, daß der Herzog zu weinen anfing.
Inzwischen aber saß Kasperle selig und vergnügt mit Rosemarie zusammen in einer winzigen Stube neben Herrn Severins Zimmer. Die wurde nie benutzt und war mehr eine Rumpelkammer, aber den beiden gefiel es ausgezeichnet darin. Der gute Herr Severin hatte Rosemarie gesagt, wo sie Kasperle finden würde. Kasperle erzählte Rosemarie alles, was er erlebt hatte, und dazwischen schmauste er Kuchen und Schokolade; dies hatte Rosemarie ihm mitgebracht. Rosemarie graute sich nun nicht mehr vor Kasperle, und als der erzählte, wie er immer wieder hatte fliehen müssen, da weinte sie bittere Tränen. „Du armes, armes Kasperle!“ sagte sie sanft; „wie gut, daß du ins Waldhaus zurückkommst!“ Dann drohte sie aber auch einmal ein wenig und schalt: „Ei, du Unnütz du!“ Und alle, die Kasperle geholfen hatten, die Schullehrersleute, Meister Helmer und vor allem das Michele gewann Rosemarie gleich lieb. Das Michele aber wollte sie sehen. „Der muß auch mein Freund werden,“ sagte sie. „Und wenn er groß ist und so schön spielen kann wie Herr Severin, dann —“ „heiratest du ihn,“ rief Kasperle. Und plötzlich rollten ihm die dicken, dicken Tränen über das Gesicht. „Und ich bin dann immer noch ein Kasperle!“ klagte er.
Doch Rosemarie tröstete ihn. Vielleicht hätte er bis dahin seine Heimatinsel gefunden. „Ich will auch suchen, wenn ich groß bin,“ versprach sie, „und Michele soll suchen, und Herr Severin tut es sicher auch.“
Da war Kasperle schon wieder getröstet. Er stopfte noch den letzten Rest Kuchen in seinen großen Mund, und dann erzählte er noch flink die Geschichte mit den Holzäpfeln. Darüber lachte und lachte Rosemarie, bis Herr Severin kam und sagte: „Ei, flink ins Bett, Rosemarie du feine, es ist schon arg spät!“
„Auf Wiedersehen morgen!“ flüsterte Rosemarie noch, dann huschte sie zum Zimmer hinaus. Es merkte niemand, daß sie noch nicht ins Bett gegangen war. Und nachher träumte sie immerzu von Kasperle, von Michele und von dem schönen, bunten Garten. Doch als sie aufwachte, da war Herr Severin mit seinem schwarzen Kasten weggezogen; Kasperle war fort, Rosemarie konnte ihn nicht mehr sehen.