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德语故事:Die kleine Moorhexe

时间:2009-11-29来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 故事 德语 und die sie der ist
Tief, tief im Märchenwald liegt das dunkle Reich des grossen, bösen Moorkönigs. Es ist ein finsteres, verlorenes Reich. Es blühen keine Blumen dort, es singen keine Vögel, sogar die Sonne scheut sich, ihre Kinder, die Sonnenstrahlen dorthin zu senden. Jeder, der die Grenze überschreitet, verirrt sich, verliert Weg und Boden unter den Füssen und versinkt schliesslich in der kalten und feuchten Finsternis, hinunter zum Moorschloss, wo er für immer bleiben muss.
Der grosse, böse Moorkönig hat eine kleine Tochter, die er über alles liebt. Das ist die kleine Moorhexe. Ihr Vater erfüllt ihr jeden Wunsch und versucht, ihr jede nur mögliche Freude zu machen. Doch seit einiger Zeit will ihm dies nicht mehr so recht gelingen. Seine kleine Tochter schleicht lustlos umher. Ihre grünen Augen blicken ohne Glanz. Ja, es dünkt ihn sogar, dass ihre grünen Wangen mit jedem Tag blasser und blasser werden. Was ist denn los mit der kleinen Moorhexe? - Warum ist sie auf einmal so still geworden? - Niemand weiss es.
Manchmal, wenn die kleine Moorhexe ganz allein im Schilf versteckt sitzt und über das weite Moor hinweg schaut, stützt sie den Kopf in die Hände und seufzt leise, so leise, dass es niemand hören kann. Da ist etwas in ihr drin, das weh tut. Aber sie weiss nicht, was es ist. Gross und schwer ist dieses Weh, und es scheint jeden Tag grösser zu werden, scheint sie von innen erdrücken zu wollen. Manchmal ist es so gross, dieses Weh, dass sie meint, zerspringen zu müssen. Das Herumgeistern, Herumheulen und Schrecklich-böse-sein macht ihr schon lange keinen Spass mehr. Da ist nur noch lange Weile, lange, sehr lange, lange Weile. Und dieses schreckliche, drückende, reissende Weh.
In einer Woche hat die kleine Moorhexe Geburtstag. Dann wird sie dreihundert Jahre alt. Für eine Hexe ist das nicht viel. Etwa so, wie wenn ein Menschenkind zehn Jahre alt wird. Für diesen besonderen Geburtstag will sich der grosse, böse Moorkönig etwas ganz besonderes einfallen lassen - eine besonders listige, besonders böse Überraschung. Der grosse, böse Moorkönig ist überzeugt, dass seine kleine Tochter ihr Lachen und ihre Fröhlichkeit wieder zurückgewinnt, wenn sein Geschenk nur listig und böse genug ist. Natürlich muss es auch etwas sein, das sich die kleine Moorhexe wirklich und ganz fest wünscht. Aber das herauszufinden ist gar nicht so leicht; schliesslich kann er sie ja nicht einfach danach fragen.
Also tut der grosse, böse Moorkönig etwas, das er schon viele, viele Jahre nicht mehr getan hat: er verlässt das feuchte und finstere Moorschloss. Heimlich und leise folgt er seiner Tochter auf ihren Streifzügen durch Schilf und Sumpf, um herauszufinden, was sie sich zu ihrem dreihundertsten Geburtstag denn wünschen könnte. Wie ist er erstaunt, als er sieht, wie die kleine Moorhexe im hohen Schilf verschwindet und er sie flüstern hört: "He, du, spiel mit mir - mir ist langweilig - ich will, dass du mit mir spielst ..." Nach einer Pause noch einmal, diesmal ungewohnt flehend: "Warum willst du nicht mit mir spielen - ich tu dir nichts - ich verspreche es dir ..." Aber der unsichtbare Moorbewohner scheint diesem Versprechen nicht zu trauen, sondern sucht mit einem lauten Platsch das Weite. Beinahe hätte sich der Moorkönig verraten, so erbost ist er über die Unverschämtheit dieses Wesens, das es gewagt hat, seiner Tochter das Spiel zu verweigern. Aber wenigstens weiss er jetzt, was sein geliebtes Kind sich wünscht - natürlich soll es mehr sein als ein Frosch oder eine Kröte - es muss etwas sein, das der Tochter des grossen, bösen Moorkönigs würdig ist ... Mit einem zufriedenen Lächeln macht er sich auf den Heimweg, zurück ins Moorschloss. Er hat herausgefunden, was er wissen wollte ...
Gar nicht weit vom Märchenwald entfernt liegt auf einem Hügel das prächtige Königsschloss. Schneeweiss leuchten seine Mauern in der Sonne, und von den golden schimmernden Türmen wehen Fahnen in allen Farben. Es ist Nachmittag. Im Schlossgarten springt und hüpft ein kleines Mädchen abwechselnd auf einem Bein. Es trägt ein seidenes Kleidchen, hat langes, goldenes Haar, und auf seinem Kopf funkelt eine winzige Krone. Es ist die Prinzessin, des Königs einzige Tochter. Heute Machmittag hat sie schulfrei. Deshalb darf sie im Garten spielen, solange sie will. Aber das Spielen, Hüpfen und Singen scheint ihr keinen Spass zu machen. Ihre Stimme und die Melodie, die sie vor sich hin summt, klingen traurig. Schliesslich setzt sie sich mit einem Seufzer auf eine Bank und stützt den Kopf in ihre kleinen, weissen Hände. "Ach, wie ist das langweilig", murmelt sie, "niemand ist da, mit dem ich spielen kann - und nie, nie passiert etwas Spannendes - immer nur brav sein und vornehm und - und langweilig - jawohl - stinklangweilig." Das letzte Wort ist gar nicht so vornehm; also wiederholt es die kleine Prinzessin lauter und trotzig und geniesst es, ein bisschen ungezogen zu sein. " - Stinklangweilig - jawohl - s t i n k langweilig ..." - Doch halt, was war das? - Dort, in den Büschen vor der Wegbiegung sieht sie plötzlich etwas aufleuchten. Einen winzig kurzen Augenblick nur, aber so hell, als hätte sich dort ein Sonnenstrahl verfangen und wäre soeben in tausend kleine Funken zersprungen. Die Königstochter guckt und guckt, und schliesslich, von Neugier getrieben, steht sie auf und eilt dorthin, wo sie dieses rätselhafte Aufleuchten gesehen hat. Seltsam, zuerst kann sie nichts entdecken. Sie biegt die Äste auseinander, schaut hinein, hinunter und auch hinauf - aber da ist nichts - gar nichts - schon will sie sich wieder enttäuscht abwenden, da hört sie neben sich ein leises Kichern. "Hi-hi", tönt es, "hi-hi-hi ..." Wie silberne Glöckchen perlen die Töne, mal näher, mal weiter entfernt, mal von rechts, mal von links , dann von beiden Seiten gleichzeitig und schliesslich von oben und unten und rechts und links - ein hüpfendes, flatterndes, wehendes Gelächter. Verwirrt dreht die Prinzessin den Kopf nach allen Seiten. "Wo seid ihr," ruft sie, "warum lacht ihr mich aus?" "Hi-hi-hi," tönt es von überall her zurück, "wir lachen dich doch nicht aus. Wir finden es nur lustig - ja - lustig - hi-hi-hi ..." Verwundert schüttelt die Prinzessin ihr goldenes Haar. "Lustig? Was soll denn hier lustig sein? Könnt ihr mir sagen, was in diesem langweiligen Garten lustig sein soll?" Das Lachen scheint sich zu kugeln. "Lustig - ja - hi-hi - aber natürlich nicht in diesem Garten, nein. Aber dort, wo wir herkommen ist es lustig - lustig und spannend - ja - hi-hi - du armes, kleines Mädchen, so allein in diesem grossen Garten - das ist wirklich langweilig - hi-hi ..." Jetzt wird die Prinzessin ärgerlich. Sie ballt ihre kleinen Hände zu Fäusten und schüttelt wieder ihr goldenes Haar. "Seid ihr hergekommen, um mir zu sagen, wie lustig es bei euch ist," fragt sie wütend, "nun, ich weiss es jetzt. Also verschwindet wieder und lasst mich in Ruhe!" Sie will davon laufen, doch plötzlich sieht sie sich umringt von einem Schwarm tanzender, funkelnder Lichter. "Hi-hi - warum schicktst du uns fort? Möchtest du denn nicht einmal etwas Lustiges und Spannendes erleben? Warum kommst du nicht mit uns? Niemand ist hier. Niemand kann es dir verbieten. Komm doch mit - komm doch mit!" Und wie ein flirrender Fliegenschwarm tanzen die Lichter um die Prinzessin herum, so dass sie ausser dem funkelnden Gestöber nichts mehr sehen kann und schliesslich ganz verwirrt ist. Sie merkt nicht einmal, dass ihre Füsse beginnen, sich langsam vorwärts zu bewegen. Niemand sieht, wie sie den lachenden, lockenden Irrlichtern folgt, hinaus aus dem Schlossgarten - weiter über Wiesen und Felder und schliesslich verschwindet im dunklen Zauberwald ... Hell funkeln die Lichter in den düstern Schatten der Bäume, und hell übertönt das Gelächter das dunkle, angstvolle und warnende Flüstern, das wie ein leises Wehklagen durch Bäume und Büsche weht ... "Geh nicht weiter," raunen Blätter und Zweige, "kehr um - noch ist es Zeit - kehr um!" Doch die Prinzessin hört weder das Rauschen der Bäume, noch das Rufen der Vögel und der anderen Tiere. Wie in einem Traum geht sie weiter, setzt Fuss vor Fuss, immer tiefer in den Zauberwald hinein. Schon haben sie den Waldsee erreicht - die letzte Grenze zum Reich des Moorkönigs. Das klare Wasser beginnt sich zu kräuseln. Es entstehen erst kleine, dann immer grössere Wellen, wie bei einem Sturm. Dann taucht mitten in den wogenden Fluten eine leuchtende, blaue Gestalt mit wehenden Schleiern auf. Es ist die Wasserfee. Sie hebt ihre Arme, ringt flehend und wie in grosser Verzweiflung die Hände. "Geh nicht weiter," ruft sie, "kehr um, Kind - du läufst in dein Verderben!" Doch die Prinzessin hört nicht das Rufen der Wasserfee. Wie in einem Traum gefangen setzt sie weiter Fuss vor Fuss und überschreitet schliesslich, ohne es zu merken, die letzte Grenze zum Reich des grossen bösen Moorkönigs. Noch ein letzter Schritt - ein letzter Schritt auf festem Boden - dann tritt sie ins Leere... Und während die Irrlichter kichernd und lachend im Schilf verschwinden, versinkt die Prinzessin lautlos in der kalten und feuchten Finsternis des Moores.
Das Geburtstagsfest der kleinen Moorhexe ist in vollem Gange. Der Lärm im Grossen Festsaal ist ohrenbetäubend. Das ganze Moorvolk hat sich versammelt, um den Geburtstag der Tochter des grossen, bösen Moorkönigs zu feiern. Die Gäste schreien, quietschen und quaken wild tanzend über den glitschigen Boden. Über die schlammverzierten Wände hüpfen Tausende von Irrlichtern und verbreiten ein gespenstisches Licht im Saal. Unter einem Baldachin aus Schilf und Algen sitzt der Moorkönig auf seinem Thron und beobachtet mit grün leuchtenden Augen gespannt seine Tochter, die kleine Moorhexe. Wie ein glückliches Geburtstagskind sieht sie ja nicht gerade aus. Im Gegenteil. Es scheint, als ob das Getümmel um sie herum gar nichts mit ihr zu tun hätte. Mit niedergeschlagenen Augen und hängende Armen steht sie stumm und reglos inmitten der lärmenden Geburtstagsgäste. Jetzt erhebt sich der grosse, böse Moorkönig langsam von seinem Thron. Mit erhobenem Zepter gebietet er Schweigen. Sofort wird es mucksmäuschenstill im Grossen Saal. Alle Gäste wenden ihre grünen, grauen, braunen oder gelben Gesichter ihrem Herrscher zu. Auf ein Zeichen des Königs schleppen Diener ächzend einen grossen, flachen Korb herein und stellen ihn vor die Füsse der kleinen Moorhexe. Die Geburtstagüberraschung! Endlich! Darauf haben alle schon den ganzen Abend gewartet. Bis zu diesem Augenblick hat der Moorkönig sein Geheimnis hüten können, so dass niemand und keiner eine Ahnung hat, was sich unter dem Deckel dieses sonderbaren Korbes verbirgt. Langsam beugt sich die kleine Moorhexe vor. Sie hebt den Deckel - und ihre Augen werden in ungläubigem Staunen riesengross. Auf einem Polster aus Schilf und Tang liegt ein kleines, schlafendes Mädchen. Es trägt ein seidenes Kleidchen, hat langes, goldenes Haar, und auf seinem Kopf funkelt eine winzige Krone ... Gerade öffnen sich die blauen Augen. Da schiesst die Prinzessin mit einem Schrei hoch, um sich gleich darauf wimmernd zusammenzukauern und den Kopf in den Armen zu verbergen. Die kleine Moorhexe kann ihr Glück kaum fassen. Immer wieder schaut sie von der Prinzessin zu ihrem Vater und wieder zur Prinzessin und wieder zum Vater. Dieser verzieht sein grünes Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln. Endlich sieht er seine über alles geliebte Tochter wieder strahlen, und er ist glücklich, dass ihm die Überraschung so gut gelungen ist. Als die kleine Moorhexe mit lautem Freudengeheul erst um dem Korb herum, dann durch den ganzen Saal tanzt und ihrem Vater schliesslich jubelnd um den Hals fällt, da ist er so froh und erleichtert, dass er für einen Augenblick sogar vergisst, dass er der grosse, böse Moorkönig ist.
Aber die arme, kleine Prinzessin! Ihr Herz ist vor Entsetzen beinahe stehen geblieben. Fest versteckt sie ihren Kopf in den Armen, um dieses schreckliche, grüne Gesicht mit den schrecklichen, grünen Haaren nicht weiter sehen zu müssen. Doch so sehr sie auch die Augen zukneift, ihre Ohren kann sie nicht verschliessen. Sie muss das grässliche Kreischen und Schreien um sie herum ertragen, und es gibt keine Möglichkeit, sich davor zu verstecken oder zu fliehen. - Vielleicht ist das alles nur ein furchtbar böser Traum - denkt sie verzweifelt - sicher wache ich gleich auf und bin zu Hause in meinem Bett - Aber es ist kein Traum. Sie fühlt, wie sie an den Armen hochgezerrt wird - und da ist es wieder, dieses schreckliche, grüne Gesicht ...
Die kleine Moorhexe packt die Prinzessin bei den Händen und tanzt mit ihr quer durch das Gewimmel der Geburtstagsgäste. "Jetzt bin ich nicht mehr allein! Ich habe eine Freundin! Ich bin nicht mehr allein", ruft sie allein begeistert zu. Sie schüttelt die Prinzessin, dass dieser beinahe Hören und Sehen vergeht und schreit in ihr Ohr: "He, du, pass auf - ich weiss ganz viele lustige Sachen, die wir spielen können - du wirst staunen." Aber der armen Prinzessin ist weder nach Spiel noch nach Spass zumute, und lustig findet sie das Ganze erst recht nicht. Die kleine Moorhexe stört das allerdings nicht im geringsten. Sie hüpft und tanzt mit ihrer neuen Freundin, die ihr der Vater zum Geburtstag geschenkt hat, durch den ganzen Saal. Nach Stunden endlich werden ihre Füsse müde und ihre Augenlider schwer. Mitten unter den Gästen sinkt sie zu Boden und ist im nächsten Augenblick auch schon tief eingeschlafen. Da verlässt der grosse, böse Moorkönig seinen Thron und trägt die kleine Moorhexe, seine über alles geliebte Tochter, aus dem Saal in ihr Zimmer und legt sie behutsam in ihr Bett. Die Prinzessin hingegen wird in einen Käfig gesperrt, der am Fussende des Bettes steht.
Am nächsten Morgen schläft die kleine Moorhexe sehr, sehr lange. Der grosse, böse Moorkönig beginnt sich schon Sorgen zu machen um sein Kind. War vielleicht der ganze Trubel, die ganze Aufregung des gestrigen Geburtstages zu viel für sie gewesen? Schliesslich ist die kleine Moorhexe erst gerade mal 300 Jahre alt geworden! Vorsichtig und auf Zehenspitzen schleicht er in das Zimmer seiner noch immer schlafenden Tochter. An den Käfig am Fusse des Bettes verschwendet er keinen einzigen Blick. So sieht er auch nicht, dass dessen Türe offen steht ... Wie erstaunt aber gucken seine Augen, als er neben dem grünen Haargewirr seiner Tochter auch goldene Locken schimmern und glänzen sieht! In diesem Augenblick räkelt sich die kleine Moorhexe im Schlaf. Sie gibt ein kleines, glückliches Quietschen von sich. Dann rückt sie noch näher zu ihrer ebenfalls schlafenden Freundin heran und schlingt ihre grünen Arme um sie. Kopfschüttelnd wendet sich der grosse, böse Moorkönig ab und verlässt ebenso leise, wie er gekommen ist, das Zimmer seiner Tochter.
Nein, die arme Prinzessin musste in dieser Nacht nicht lange im Käfig eingesperrt bleiben. Nachdem alles ruhig geworden war und sie endlich einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte, wurde ihr mit entsetzlich deutlich klar, was geschehen war: Man hatte sie überlistet und entführt - in eine fremde, schreckliche Welt, aus der es kein Entkommen, keine Rettung gab. Auf ewig musste sie nun hier bleiben unter all diesen fürchterlichen Wesen. Da kauerte sie sich in ihrem eisernen Gefängnis zusammen und begann, bitterlich zu weinen. Nicht viel später erwachte die kleine Moorhexe. Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen und wusste zunächst gar nicht, was diese seltsamen Geräusche zu bedeuten hatten. Die kleine Moorhexe hatte noch nie in ihrem Leben geweint und auch noch nie jemanden weinen hören. Moorleute weinen nämlich nicht. So konnte sie auch nicht wissen, was es mit diesem merkwürdigen Schniefen und Schnauben auf sich hatte. Doch dann erblickte sie den Käfig am Fussende ihres Bettes und entdeckte die zusammengekauerte Gestalt darin. Langsam stieg die kleine Moorhexe aus ihrem Bett und näherte sich dem Käfig. Schnell war die Türe geöffnet, und eine kleine, grüne Hand streckte sich zögernd dem weinenden Mädchen entgegen und begann leise und sanft über die goldenen Haare zu streichen. Eigentlich wusste die kleine Moorhexe gar nicht, was sie da tat und erst recht nicht, warum sie es tat. Denn im Moorreich hatte noch nie jemand einen anderen getröstet. Aber da war auf einmal tief in ihr drin ein ganz neues, wunderbar seltsames Gefühl, genau dort an jener Stelle, wo früher dieses schreckliche Weh gewesen war. Das Weh war verschwunden, einfach weg. An seine Stelle war etwas getreten, das sie nicht benennen konnte. Es war weich, warm, aufregend, und es leuchtete in ihr, wie ein kleines, helles Licht. Und so erfuhr die verstörte und verzweifelte Prinzessin inmitten all der Schrecken die erste, scheue Freundschaft eines fremden, unbekannten Wesens, der kleinen Moorhexe. Und auf einmal erschien ihr dieses seltsame Wesen nicht mehr gar so schrecklich oder hässlich.
Ein neuer Tag in einem neuen Leben der kleinen Moorhexe! Und was für ein Tag! Sie öffnet die Augen und wendet den Kopf. - Ja, sie ist noch da, die neue Freundin. Es ist also kein Traum gewesen, das gestrige Geburtstagsfest. Dieser herrlichste, grossartigste, wundervollste von allen dreihundert Geburtstagen, die sie bisher erlebt hat. Mit einem Jubelschrei springt die kleine Moorhexe aus ihrem Moorbett. Sie packt die Prinzessin bei den Händen und zerrt sie mit aus dem Zimmer, rennt mit ihr durch Gänge und Hallen, Treppen hinauf und hinunter, und die vom Schaf noch ganz benommene Prinzessin taumelt atemlos hinter ihr her. Die kleine Moorhexe weiss gar nicht, womit sie anfangen soll - plötzlich ist alles im Moorreich wieder neu, lustig und spannend - jetzt, wo sie eine Freundin hat, mit der sie alles teilen kann: Im nahen Schilf die Frösche erschrecken und herumjagen - vielleicht sogar einem grösseren Tier auflauern und es in den Sumpf locken, zu zweit gelingt das sicher viel besser, als allein. Auf jeden Fall aber kann man immer die Krähen ärgern, die über das Moor hinweg fliegen, wenn man ihnen stinkende Schlammbrocken hinterher wirft. Zwar trifft man die schwarzen Vögel kaum einmal, aber ihr wütendes Gekreische macht doch jedes Mal Spass. Merkwürdig ist nur, dass die Prinzessin alles dies gar nicht lustig zu finden scheint. Widerstandslos lässt sie sich hierhin und dorthin ziehen, bleibt aber still und stumm stehen, sobald die kleine Moorhexe ihre Hand loslässt. Und ihr blasses Gesicht zeigt nicht einmal die kleinste Spur eines Lächelns. "He, warum guckst du so?" fragt die kleine Moorhexe schliesslich, "gefällt es dir nicht hier? - Schau doch, wie lustig es ist, wenn alle davon rennen und Angst haben. Macht es dir denn keinen Spass, andere zu erschrecken?" Da schaut die Prinzessin ihre wunderliche Gespielin mit grossen Augen an und schüttelt den Kopf. "Was ist denn lustig daran, andere zu erschrecken?" fragt sie nach einer Weile und fügt leise hinzu: "Das ist nicht lustig. Das ist böse." Jetzt bekommt auch die kleine Moorhexe grosse Augen. - Lustig - böse - wo ist da der Unterschied? - Natürlich ist es böse, andere zu erschrecken, aber es ist doch auch lustig! Und überhaupt, was soll sie denn anderes sein, als böse? Schliesslich ist sie doch eine Hexe, uns als Tochter des grossen, bösen Moorkönigs ist es ihre Pflicht, ebenfalls böse zu sein. Doch dann sieht sie sich ihre neue Freundin genauer an, ihr goldenes Haar, die sanften, blauen Augen, das seidene Kleidchen - nein, vor i h r hat sich bestimmt noch niemand gefürchtet. Also nimmt die kleine Moorhexe die zarte, weisse Hand ihrer Freundin in ihre grüne Hand und fragt schüchtern: "Was würdest d u denn lustig finden?" Die Prinzessin denkt lange nach. "Ich weiss nicht," sagt sie schliesslich leise, "ich glaube, es ist schon ziemlich lange her, dass ich so richtig Spass hatte. In der letzten Zeit war da nur Langeweile." "Oh, Langeweile kenne ich auch," ruft da die kleine Moorhexe, "weiss du was? Wir könnten jetzt ganz neu herausfinden, was uns beiden Spass machen würde, dir und mir, uns beiden - wäre das nicht toll?" Doch die Prinzessin schüttelt den Kopf. Über ihre Wangen kullern zwei dicke Tränen. "Ich möchte nach Hause," schluchzt sie, "ich möchte meine Blumen sehen und die Schmetterlinge - und - und meinen Papa - ich will zurück zu meinem Papa!" Bei den letzten Worten bricht sie herzzerreissendes Weinen aus. Auf einmal wird das Herz der kleinen Moorhexe ganz schwer. Und über das helle, klare Licht, das in der vergangenen Nacht darin zu leuchten begonnen hat, legt sich auf einmal etwas, das sich anfühlt wie ein dunkles, schweres, nasses Tuch. Zaghaft und unbeholfen legt sie ihre grünen Arme um die weinende Prinzessin. "Musst nicht traurig sein," murmelt sie in das goldene Haar ihrer Freundin hinein, "vielleicht gefällt es dir mit der Zeit doch ganz gut hier mit mir zusammen. Vielleicht vergisst du mit der Zeit die Blumen und die Schmetterlinge ..."
Aber die Prinzessin vergisst weder die Blumen noch die Schmetterlinge. Doch viel schlimmer ist, dass das Heimweh nach ihrem Papa ihr Herz fast zerreisst. Bestimmt macht er sich grosse Sorgen um sein kleines Mädchen und ist ganz allein in den riesengrossen Schloss, wo es ausser ihnen beiden nur Diener und Minister gibt, die nichts weiter tun, als sich zu verbeugen und "Jawohl, Majestät" murmeln. Wenn die Prinzessin daran denkt, wie traurig ihr Papa jetzt ist, muss sie weinen und weinen und weinen. Sie kann gar nicht mehr aufhören damit. Da sitzt die kleine Moorhexe nun neben ihrer unglücklichen Freundin und zerbricht sich den Kopf, wie sie ihr helfen kann. Doch alles Denken und Studieren bleibt umsonst. Sie kann nichts anderes tun, als ihre Hand zu halten und über ihr goldenes Haar zu streichen. Im ganzen Moorreich gibt es nichts, gar nichts, was die Prinzessin trösten könnte.
Die kleine Moorhexe muss hilflos mit ansehen, wie die Prinzessin jeden Tag ein wenig blasser, schwächer und kränker wird. Bald kann sie kaum noch aufstehen. Sie hustet und friert, obwohl ihre Stirn und ihre Hände glühend heiss sind. Dann, eines Morgens, leibt sie einfach liegen. Mit geschlossenen Augen und schneeweissem Gesicht liegt sie regungslos in dem feuchten, kalten Moorbett. Mit einem Entsetzensschrei packt die kleine Moorhexe ihre Freundin bei den Schultern und schüttelt sie, dass die goldenen Haare fliegen. Nach einer endlos scheinenden Weile öffnet das Mädchen endlich die Augen, doch sie fallen sogleich wieder zu. "Lass mich schlafen," flüstert die Prinzessin kaum hörbar, "bald bin ich wieder zu Hause bei meinem Papa ..." Da weiss die kleine Moorhexe plötzlich, was sie zu tun hat - ganz klar und ohne jeden Zweifel. Wenn es nur noch nicht zu spät ist ... Sie drückt die eiskalte Hand ihrer Freundin und beugt sich zu ihrem Ohr hinunter. "Hab keine Angst - ich weiss jetzt, wie ich dir helfen kann - nun wird alles wieder gut." ... Hoffentlich - flüstert eine kleine, angstvolle Stimme in ihr, aber die möchte sie nicht hören. Danach steht sie auf und läuft aus dem Zimmer. Sie rennt durch Gänge und Hallen, Treppen hinauf und hinunter und wieder durch Gänge und Hallen. "Vater," ruft sie, und ihre Stimme hallt durch die unendlichen, stillen Räume, "Vater, wo bist du?" "Habt ihr meinen Vater gesehen?" fragt sie die Moorleute, die lautlos wie Schatten vorüber huschen. Endlich findet sie zwei Irrlichter, die zu wissen scheinen, wo sich der grosse, böse Moorkönig gerade aufhält. Kichernd und flackernd hüpfen sie vor der kleinen Moorhexe her - durch Gänge und Hallen, Treppen hinauf und hinunter. Endlos lange. Als die kleine Moorhexe erkennt, dass die Irrlichter ein Spiel mit ihr treiben, wird sie wütend. "He, wer hat euch erlaubt, mich an der Nase herumzuführen?" schreit sie und stampft mit dem Fuss auf, dass der schlammige Boden in alle Richtungen aufspritzt, "ihr führt mich jetzt sofort zu meinem Vater, sonst blase ich euch aus, verstanden?" Das wirkt! Die beiden Irrlichter zucken eingeschüchtert zusammen. Wenige Augenblicke später stehen sie vor dem Moorkönig.
Als der Moorkönig seine kleine Tochter erblickt, vergisst er schon wieder beinahe, dass er nicht nur der grosse, sondern auch der böse Moorkönig ist. Sein Gesicht verzieht sich zu einem breiten Lächeln. "das ist aber nett von dir, dass du mich besuchen kommst," sagt er freundlich, und streicht über das wirre, grüne Haargestrüpp seiner Tochter. Doch dann sieht er genauer hin und entdeckt in ihrem Gesicht unverständliche Spuren von Kummer und Angst. Da wird seine Miene sorgenvoll. "Nanu, was hast du denn? Du bist ja ganz blass." - Seltsam, warum nur fühlt die kleine Moorhexe auf einmal so ein eigenartiges Flattern in ihrer Brust? Wie ein Vogel, dessen Flügel gegen Gitterstäbe schlagen ... das ist doch ihr Papa, und er wird ihr bestimmt helfen ... ... oder etwa nicht? Zögernd schlingt sie ihre grünen Arme um ihn. "Es - es ist wegen der - der Prinzessin, "stammelt sie in seine forschenden, grünen Augen hinein, "sie - sie ist so traurig und - und ganz krank vor Heimweh - - bitte - - kannst du sie wieder nach Hause bringen ..." Die letzten Worte ersterben ihr auf den Lippen ... der kleine Vogel in ihrer Brust drückt sich in den hintersten Winkel und versucht, sich unter seinen Flügeln zu verstecken. Das Gesicht des grossen, bösen Moorkönigs ist wie mit einem lautlosen Donnerschlag furchtbar und schrecklich finster geworden, und in diesem furchtbaren und schrecklichen Gesicht lodern in vernichtendem Feuer zwei ebenso furchtbare Augen. Die kleine Moorhexe sinkt in die Knie und schlägt die Hände vor das Gesicht. Das ganze Moorreich erstarrt vor Entsetzen. Dann hallt die Stimme des Königs durch das Moorschloss, dass Boden und Wände erzittern: "Hört alle zu im ganzen Reich - und vernehmt meinen Befehl: Ein jeder von euch halte Wache und achte darauf, dass unsere Gefangene, die Prinzessin, nicht fliehen kann - - - d u aber," wendet er sich seiner Tochter zu, "du hast mich auf das schwerste enttäuscht und erzürnt - - geh jetzt und besinne dich darauf, was sich für die Tochter des Moorkönigs gehört. Eines aber sollst du wissen: Solltest du versuchen, der Prinzessin zur Flucht zu verhelfen, werde ich euch beide in Kröten verwandeln und auf ewig in den tiefsten und finstersten Kerker sperren. Und nun geh mir aus den Augen! Geh!" Wie Donnergrollen verhallt die Stimme des Moorkönigs in den Hallen des Schlosses. Das ganze Moorreich erbebt. Das Moorvolk erzittert und verkriecht sich in namenlosem Schrecken. Wie ein eisiger Wind fegt das Entsetzen über alles hinweg, durch alles hindurch. Auf einmal ist alles so kalt und finster, dass sogar die Irrlichter einfrieren und erlöschen. Langsam, ganz langsam hebt die kleine Moorhexe den Kopf. Sie weiss nicht, wie lange sie am Boden kauerte. Ihr Vater ist bereits gegangen. Jetzt ist sie allein. Es gibt keine Minuten mehr, nicht einmal Sekunden. Selbst die Zeit scheint eingefroren zu sein. So eisig und kalt, wie es um sie herum geworden ist, so eisig und kalt ist es auch in ihr drin. Als ob dieser schreckliche Eiswind mitten durch sie hindurch gefegt wäre, mitten durch ihr kleines, zitterndes Herz. Aber ganz tief in ihrem Herzen, in diesem zitternden, fast zugeschneiten und zugefrorenen Herzen, regt sich trotzig ein winzig kleiner Funke. Er wehrt sich gegen das Ausgelöscht-werden und setzt tapfer seine schwache Glut gegen Eis und Kälte. Und so steht die kleine Moorhexe langsam mit bleischweren Gliedern auf. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit beginnt sie einfach Fuss vor Fuss zu setzen - zurück auf den einzigen Weg, den sie jetzt noch gehen kann - zurück zu ihrer kleinen Freundin mit dem seidenen Kleidchen und den goldenen Haaren, der ersten und einzigen Freundin, die sie je hatte und der sie jetzt nicht mehr helfen kann. - Aber wenn ich mich einfach neben sie lege, kann ich vielleicht auch sterben - geht es ihr durch den Sinn - einfach neben ihr liegen und sterben ... Und so tastet sie sich den kalten Mauern entlang durch finstere Gänge, dunkle Hallen, Treppen hinauf und hinunter, zurück zu ihrem Zimmer.
Die Prinzessin liegt unverändert still und mit geschlossenen Augen in dem kalten, feuchten Moorbett, als die kleine Moorhexe die Zimmertüre öffnet. Mit zitternder Hand streicht sie ihrer Freundin über das schneeweisse Gesicht. Ob sie spürt, dass sie nicht mehr allein ist? Sie öffnet ihre Augen nicht, doch ein leiser Seufzer haucht über ihre wachsbleichen Lippen. In diesem Augenblick geschieht etwas Merkwürdiges. Als ob die kleine Moorhexe aus einem Traum erwacht wäre, reisst sie auf einmal die Augen auf und schüttelt sich heftig. - Nein - schreit es in ihr auf - ich will nicht einfach zusehen, wie du stirbst. Es muss doch noch irgendwo eine Hilfe geben! - Und sie setzt sich an den Bettrand und beginnt noch einmal nachzudenken und zu studieren. Und wieder nachzudenken und zu studieren. Doch sosehr sie sich auch den Kopf zermartert, es fällt ihr einfach nichts Brauchbares mehr ein. Im ganzen Moorreich gibt es niemanden, der es wagen würde, sich gegen den König zu stellen. Plötzlich stösst sie auf einen völlig unmöglichen Gedanken. So unmöglich ist diese Idee, dass die kleine Moorhexe sie gleich wieder beiseite schiebt. Doch vielleicht gerade weil diese Idee so unmöglich erscheint, taucht sie wieder auf. Und wieder und wieder. Lästig und unbeirrbar. Wenn sie überhaupt Hilfe für die kranke Prinzessin finden soll, muss sie diese ausserhalb des Moorreiches suchen ... Noch einmal beugt sie sich über ihre Freundin. "Ich lasse dich nicht im Stich, hörst du," flüstert sie in ihr Ohr, "aber ich muss dich jetzt noch einmal allein lassen. Es kann eine Weile dauern, bis ich zurück bin. Also halte durch und stirb bitte nicht, hörst du? Du darfst nicht sterben!" Dann huscht die kleine Moorhexe aus ihrem Zimmer.
Noch immer ist es stockfinster im ganzen Moorreich. So sieht keiner, dass die kleine Moorhexe schon kurze Zeit später an jener Grenze angekommen ist, die noch kein Bewohner des Moorreiches überschritten hat. Niemand ausser den Irrlichtern. Aber die Irrlichter sind seit dem Wutanfall des Moorkönigs erloschen. Jetzt setzt die kleine Moorhexe den ersten Fuss über die Grenze. Vorsichtig schaut sie sich um. Ganz aus der Nähe hört sie das leise Plätschern von Wasser. Also muss der Waldsee schon ganz nahe sein. Ihr Herz hämmert bis zu Hals. Jetzt erschrickt sie über ihre eigene Tollkühnheit. Dies hier ist das Reich der Wasserfee, der Herrin des Waldsees. Hier endet die Macht des Moorkönigs . Nun ist die kleine Moorhexe ganz allein auf sich selbst gestellt. Wenn sie daran denkt, was sie früher mit verirrten Waldbewohnern angestellt hat, die ebenso schutzlos waren, wie sie jetzt ... nein, daran denkt man jetzt besser nicht. Die Wasserfee ist das einzige Wesen weit und breit, das ebenso viel Macht besitzt, wie der Moorkönig. Nur sie kann der Prinzessin helfen. Ob sie es tun wird, ist allerdings eine andere Frage, denn Moorkönig und Wasserfee sind sich nicht gerade wohlgesonnen. Um es deutlicher zu sagen, sie sind sich spinnefeind. Aber der kleinen Moorhexe bleibt keine andere Wahl, als all ihren Mut zusammenzunehmen. Einen Weg zurück gibt es nicht. Mit einem tiefen Atemzug und zitternden Knien verlässt sie das Schilf und tritt an das Ufer des Waldsees. Dort hat sich das leise Plätschern des Wassers inzwischen zu einem wilden Aufruhr gesteigert. Sturm peitscht die Wellen, fegt durch Büsche und Bäume, und die Vögel, die eben noch in den Ästen geschlafen haben, wachen auf und schreien. Die kleine Moorhexe beginnt zu rufen. "Wasserfee! Wasserfee! Hörst du mich? Wasserfee, bitte komm und hilf mir! Wasserfee!" Noch höher schlagen die Wellen. Noch lauter braust der Sturm. Die Vögel flattern und kreischen in den ohrenbetäubenden Lärm. Blätter, Zweige und ganze Äste fliegen durch die Luft. Doch die Wasserfee zeigt sich nicht. Bald erkennt die kleine Moorhexe, dass es keinen Sinn hat, weiter zu rufen. Das Getöse um sie herum ist so laut, dass sie selbst ihre Stimme nicht hört. Doch zurückkehren kann und will sie nicht. Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Wasserfee zu erreichen. In diesem Augenblick flattert eine Ente dicht an ihrem Gesicht vorbei - und wird gleich darauf von zwei zitternden, grünen Händen gepackt und festgehalten. Der Ente nützt alles Schreien und Flattern nichts. Es gibt kein Entkommen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die kleine Moorhexe einen Bewohner des Waldsees oder des Waldes überlistet und gefangen hat. Doch diesmal will sie dem Tier nichts zuleide tun. So versucht sie verzweifelt, es an der Flucht zu hindern, ohne ihm weh zu tun. "Hab keine Angst," flüstert sie dicht an dem wild um sich schnappenden Kopf der Ente, " ich tu dir nichts, bestimmt nicht. Ich möchte nur, dass du zu der Wasserfee gehst und ihr sagst, dass ich sie unbedingt sprechen muss - es geht um Leben und Tod! Bitte!" Noch während sie die Ente beschwört, fühlt sie, wie es in ihren Augen ganz eigenartig zu brennen beginnt. Für eine Sekunde fühlt sie etwas Warmes, Nasses auf ihren Wangen, bevor der nächste Windstoss dieses Etwas auffängt und davon trägt. Sie weiss nicht, dass dies Tränen sind. Kaum hat der Wind diese Tränen eingefangen, verstummt er in ungläubigem Staunen, und die salzigen Tropfen fallen, glitzernden Perlen gleich, in den schäumenden Waldsee. Da halten auch die Wellen des Waldsees inne und können kaum glauben, was sie da gespürt haben ... Wie ist so etwas möglich? Moorleute weinen doch nicht! Die kleine Moorhexe versteht überhaupt nichts mehr. Sie starrt fassungslos auf das mit einem Schlag völlig ruhig liegende Wasser. Vor Staunen hat sie ganz vergessen, die schreiende und flatternde Ente festzuhalten, die natürlich sofort weggeflogen und im Schilf verschwunden ist. Da - endlich taucht sie aus der Tiefe des Waldsees auf: die Wasserfee. Stumm und regungslos verharrt sie dort, wo sie erschienen ist, eine glitzernd blaue Gestalt, umhüllt von weissen Schleiern, die wie zarte Nebel über dem Wasser wehen. Und ihre tiefblauen Augen sind streng auf die kleine, zitternde Gestalt am Ufer gerichtet. Dann kommt sie näher und näher, bis sie vor der unerwarteten Besucherin still steht. Wie gross sie ist. Mindestens ebenso gross wie der Moorkönig. Und ebenso furchteinflössend. Doch die Wasserfee will die kleine Moorhexe nicht ängstigen. Sie hebt ihren glitzernden, blauen Arm. Wie ein kühler, sanfter Hauch streicht ihre Hand über die tränennasse Wange der kleinen Moorhexe. "Es ist also tatsächlich wahr," hört sie die hohe Gestalt über ihr flüstern, "das sind wirklich Tränen." Die kleine Moorhexe versteht die Verwunderung der Wasserfee nicht. Sie schüttelt ihre wirren Haare und wischt sich heftig über die Wangen. "Ich weiss nicht, was Tränen sind, "stammelt sie verwirrt, "ist denn das wichtig? Ich möchte nur, dass du der Prinzessin hilfst - sie stirbt!" Da huscht ein sanftes Lächeln über das schimmernde Gesicht der Wasserfee. "Oh doch, kleine Moorprinzessin. Glaube mir, Tränen sind wichtig. Niemand kann gleichzeitig traurig und böse sein. Deine Tränen haben mir gezeigt, dass du nicht in heimtückischer Absicht gekommen bist, sondern, dass du es ehrlich meinst. Aber nun erzähle mir, was dich so bedrückt." Zögernd beginnt die kleine Moorhexe zu erzählen: Von ihrem Geburtstag, von der grossen Überraschung und ihrer noch grösseren Freude, und wie dann alles so ganz anders weiterging, als sie es sich ausgemalt hatte. Und jetzt - jetzt liegt die Prinzessin im Sterben, und niemand im ganzen Moorreich kann oder will ihr helfen. Von den schrecklichen Worten ihres Vaters sagt sie nichts. Die Erinnerung daran tut so weh, als hätte sie einen schweren Stein zusammen mit einem spitzen Messer verschluckt. Die Wasserfee fragt auch nicht weiter. Vielleicht hat sie das Ungesagte auch so erraten. Sie schaut die kleine Moorhexe mit einem langen, rätselvollen Blick an und wiegt nachdenklich des Haupt. "Nun ja, kleine Moorprinzessin", sagt sie nach einer Weile, "das ist wirklich eine schlimme Sache. Gar nicht einfach, da etwas auszurichten. Und ich will dir auch nicht verschweigen, dass es für jeden sehr gefährlich ist, sich gegen den Willen deines Vaters zu stellen. Auch für dich. Hast du dir das gut überlegt?" Nein, das hat sie nicht. Aber da gibt es auch nichts zu überlegen. Niemals, unter keinen Umständen kann sie die Prinzessin im Stich lassen. Sie muss ihre Freundin retten, koste es, was es wolle. Sie nickt so heftig, dass ihre grünen Haare fliegen. Da lächelt die Wasserfee noch einmal. "Du bist wirklich mutig, kleine Moorprinzessin. Und du musst deine Freundin sehr, sehr lieb haben. Nun gut, ich glaube ich, weiss, wie wir sie retten können. Aber dazu brauche ich etwas Zeit. Komm morgen noch einmal zu mir." Nach den letzten Worten dreht sich die Wasserfee um und versinkt in den Fluten des Waldsees. Zurück bleibt eine kleine, verwirrte Moorhexe, in derem Herzen gerade wieder ein winziger Hoffnungsschimmer aufzuleuchten beginnt.
So leicht und unbemerkt, wie sich die kleine Moorhexe von zu Hause wegstehlen konnte, so unmöglich ist es jedoch, ebenso heimlich wieder zurückzukommen. Denn in der Zwischenzeit sind im Moorreich alle Irrlichter wieder angegangen und stehen nun Reihe an Reihe an den Grenzen und halten Wache. Hineinkommen würde sie ja noch, mit viel Glück und einer guten Ausrede, falls sie erwischt würde. Aber ein zweites Mal unbemerkt wieder hinausschleichen - nein, das wäre bestimmt nicht möglich. - Was soll ich denn jetzt bloss tun - fragt sie sich verzweifelt - muss ich hier draussen warten, bis die Wasserfee ihren Zauber, oder was auch immer gefunden hat? Aber dann kommt die Hilfe für die Prinzessin vielleicht zu spät. Andererseits, wenn sie mich erwischen, lassen sie mich bestimmt nicht wieder weg, dann ist ebenso alles verloren ... Die kleine Moorhexe kann es drehen und wenden, wie sie will. Es bleibt ihr keine andere Wahl, als hier zu bleiben und zu warten. Mit einem wehmütigen und sehnsüchtigen Seufzer denkt sie noch einmal an ihre Freundin, die nun ganz allein in dem kalten und feuchten Moorbett liegt. Dann setzt sie sich unter einen Baum und lehnt sich an den Stamm. Sie merkt gar nicht, wie ihre Augen zufallen und sie in das weiche Moos niedersinkt. - Armes, kleines, verlorenes Moorkind - rauschen die Zweige des Baumes und er breitet schützend seine Äste über der vor Erschöpfung eingeschlafenen, kleinen Moorhexe aus. Da liegt sie nun, tief und fest schlafend, und sie sieht so unschuldig aus, dass nach einiger Zeit die Tiere des Waldes es wagen, näher zu kommen. Zuerst eine vorwitzige, kleine Maus, dann ein kleiner, frecher Hase. Sogar das scheue Reh und der ebenso vorwitzige, wie freche Fuchs haben die unglaubliche Neuigkeit vernommen: Die Tochter des grossen, bösen Moorkönigs hat die Wasserfee aufgesucht und um Hilfe gebeten. Vorsichtig beschnuppern sie mit ihren feinen Nasen das fremde, grüne Wesen, das da ganz allein und schutzlos liegt und schläft.
Die ersten Sonnenstrahlen gucken durch die Baumkronen, und die Vögel sind mitten in ihrem Morgenkonzert, als die kleine Moorhexe erwacht. Verwundert blickt sie nach oben. So also sehen Sonnenstrahlen aus, so hell und warm sind sie. Bisher ist sie dem Sonnenlicht immer ausgewichen. Moorleute mögen nun mal mehr das Dunkle und Düstere. Aber für die kleine Moorhexe hat sich seit gestern alles verändert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie nun ihr verschlafenes Gesicht von der Wärme der Sonne streicheln lässt. Schliesslich streckt sie gähnend ihre Glieder und steht auf. Sie fühlt sich auf wundersame Weise gestärkt und voll von neuem Mut. Bestimmt hat die Wasserfee inzwischen ein Mittel gefunden, um die Prinzessin zu retten.
Das Wasser des Waldsees kräuselt sich wie zu einer freundlichen Begrüssung, als die kleine Moorhexe an sein Ufer tritt. Dann künden die Wellen auch schon das Erscheinen der Wasserfee an. Funkelnd, glitzernd und leuchtend blau erhebt sie sich aus dem Wasser und schwebt ans Ufer. "So, kleine Moorprinzessin," sagt sie und hält der kleinen Moorhexe ein winziges Fläschchen entgegen, in dem etwas leuchtet und funkelt, "hier hast du, was du brauchst: Ein paar Tropfen dieses Trankes werden deinen Vater und mit ihm alle seine Diener, Wächter und Soldaten für eine Stunde in Tiefen Schlaf versetzen. In dieser Zeit kannst du mit der Prinzessin fliehen. - Jetzt geh, du musst dich beeilen - viel Glück!" Noch bevor die kleine Moorhexe sich für die gütige Hilfe bedanken kann, ist die Wasserfee wieder im See verschwunden. Jetzt gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren. So schnell ihre Füsse laufen können, eilt die kleine Hexe zurück ins Moorreich. Jetzt bei Tageslicht ist es vielleicht sogar weniger schwierig, dort hinüber zu kommen. Irrlichter mögen nämlich kein Sonnenlicht. Wenn sie also eine Stelle findet, wo die Sonne an die Grenze scheint, wird dort wahrscheinlich kein Irrlicht anzutreffen sein. Tatsächlich scheint sogar die Sonne ihr zu helfen. Sie bescheint die dunkle Schilfmauer an der Grenze so hell, dass, wer auch immer dahinter Wache schieben muss, dies sicher mit zugekniffenen Augen tut.
Endlich steht die kleine Moorhexe wieder vor ihrer Zimmertür. Atemlos und mit wild klopfendem Herzen tritt sie ein. - Wenn sie nur noch nicht zu spät gekommen ist! - Die Prinzessin liegt noch immer blass und reglos in dem feuchten, kalten Moorbett. Sie scheint nicht einmal mehr zu atmen. Aber sie lebt noch. Und die kleine Moorhexe beugt sich zu ihrer Freundin hinunter und flüstert leise in ihr Ohr: "Jetzt wird alles gut. Heute Abend bringe ich dich nach Hause. Wir müssen nur noch bis zum Abendessen warten. So lange musst du noch durchhalten. Meinst du, das geht?" Die Prinzessin atmet nicht. Doch über ihre blassen Lippen haucht ein tiefer Seufzer, und dann dreht sie sich auf die Seite und schmiegt sich an ihre tapfere und mutige Freundin. Unendlich langsam verstreicht die Zeit. Mit weit geöffneten Augen liegt die kleine Moorhexe neben der Prinzessin, starrt gegen die Decke und zählt die Minuten.
Im Moorreich geht vieles drunter und drüber. Niemand weiss genau, was wo und wann passiert. Doch etwas ist seit jeher und immer gleich: Das Abendessen, zu dem sich das gesamte Moorvolk versammelt. Punkt sechs Uhr sitzen alle Moorleute an dem riesengrossen Tisch im Speisesaal. Und unter erwartungsvollem Gequake und Geschrei wird das Essen aufgetragen. Damit lässt der Moorkönig seine über alles geliebte Tochter feiern. So war es jedenfalls bis heute. Was aber wird heute sein? Der grosse, böse Moorkönig wird wohl kaum Lust haben, seine Tochter feiern zu lassen ... Statt des üblichen, ohrenbetäubenden Lärms herrscht jetzt angespanntes, banges Schweigen. Als die kleine Moorhexe den Saal betritt, begegnet sie keinem einzigen Blick. Alle Gesichter wenden sich zur Seite, oder blicken zu Boden. Mit trotzig erhobenem Kopf marschiert sie durch die Menge zu ihrem Platz. Da ist der Vater. Auch er schaut sie nicht an. Doch er hat sein Gesicht nicht abgewendet hat. Und das ist das Schlimmste. Denn sein Blick geht durch sie hindurch, als wäre sie gar nicht da, als gäbe es sie nicht mehr. Einen Augenblick hält die kleine Moorhexe inne. Dann wirft sie den Kopf noch trotziger in den Nacken und setzt sich an ihren Platz neben dem Vater. Selbst, wenn jemand sie angesehen hätte, wäre ihm nichts aufgefallen, als ihr hochmütiges Gesicht. Und niemand bemerkte die funkelnden Tropfen, die in den riesigen Suppentopf fielen. Zunächst hört man nichts anderes, als geräuschvolles Schlürfen und Schmatzen. Es gibt Salamanderbrühe mit Krötenaugen. Dies Köstlichkeit verschmäht keiner im ganzen Moorreich. Schon wenige Augenblicke später tönt es "Klirr", und die Suppenlöffel fallen in die Suppenteller - gleich danach - "platsch" - plumpsen die Köpfe den Löffeln hinterher. Wie das spritzt! Und wie komisch sie alle aussehen, wie sie da reglos sitzen, einer wie der andere mit dem Gesicht im Suppenteller! Doch die kleine Moorhexe hat keine Zeit, irgend etwas komisch zu finden. Jetzt darf sie keine Sekunde verlieren. Ohne einen Blick zurück zu wenden verlässt sie den Saal und rennt fort, zu ihrem Zimmer.
O Wunder - die Prinzessin scheint die nahende Rettung sogar in ihrem todesnahen Schlaf geahnt zu haben. Sie sitzt am Bettrand und streckt ihrer hereinstürzenden Freundin mit einem matten, aber glücklichen Lächeln die Hände entgegen. Nun aber nichts wie weg hier! Doch so schnell, wie die beiden Mädchen das gern hätten, geht es jedoch nicht. Die Prinzessin ist noch sehr schwach und kann sich kaum auf den Füssen halten. So muss die kleine Moorhexe ihre ganze Kraft aufbieten, um sie zu stützen. Wie weit ist der Weg bis zur Grenze! Und wie schnell vergeht eine Stunde! - Bald, o viel zu bald werden die Moorleute wieder aufwachen und wird der Vater herausgefunden haben, was in der Zeit dieses überraschenden Schlafes geschehen ist. Von diesem Augenblick an wird das ganze Moorreich die beiden Königstöchter jagen. Die Wache haltenden Irrlichter flackern wie wild, als die zwei Flüchtlinge an ihnen vorbei hasten. Natürlich, die Irrlichter sind ja nicht eingeschlafen, weil sie keine Suppe gegessen haben ... Schon hören sie das Geschrei der Verfolger näher und näher kommen, da erreichen sie in letzter Sekunde die Grenze und sind endlich in Sicherheit. Erschöpft und atemlos lassen sich die beiden Mädchen auf dem weichen Waldboden fallen. Doch wie geht es nun weiter? Zwar sind sie heil und mit viel Glück aus dem Moorreich entkommen. Aber in dem dunklen Wald kennt sich die kleine Moorhexe ebenso wenig aus, wie die Prinzessin. Ob vielleicht die Wasserfee noch einmal helfen kann? Aber ihr Reich ist der Waldsee. Wie kann sie da den richtigen Weg zum Schloss kennen? Zitternd vor Angst und Kälte schmiegt sich die Prinzessin an ihre Freundin. Da tönt über ihnen ein dumpfes "Schuhuuh". Die Prinzessin erstarrt. "Hörst du das," flüstert sie mit schreckgeweiteten Augen, "das ist bestimmt ein böser Geist." Aber die kleine Moorhexe beruhigt sie: "Hab keine Angst, das ist nur eine Eule. - Moment mal, vielleicht kann sie uns sogar weiterhelfen. - Hallo du," ruft sie dann zu den dunklen Baumkronen hinauf, "weißt du, wie man von hier zum Schloss kommt? Ich muss die Prinzessin nämlich möglichst schnell nach Hause bringen - sie ist sehr krank." Natürlich hat sich die bemerkenswerte Geschichte von der kleinen Moorhexe und ihrem Besuch bei der Wasserfee schon längst unter allen Wesen des Waldes verbreitet. So ist auch die Eule nicht erstaunt, als sie die Bitte um Hilfe vernimmt. Und wenn schon die Wasserfee bereit war, der kleinen Moorhexe zu helfen, so ist es die Eule auch. Mit lautlosem Flügelschlag segelt sie von ihrem Sitz herunter und umkreist den Baum. "Ich zeige euch den Weg," schuhuuht sie, "folgt mir." So machen sich die beiden Mädchen wieder auf den Weg. Über Wurzeln und Steine stolpern sie und folgen den Rufen der Eule durch den finstern Wald. Die kleine Moorhexe stützt ihre Freundin, so gut sie kann. Doch sie ist ja selbst noch klein und jetzt fast am Ende ihrer Kräfte. Doch jedes Mal, wenn sie glaubt, im nächsten Augenblick zusammenzubrechen, hört sie ringsum ein Flüstern und Raunen: "Halte durch, tapferes Mädchen - nur Mut - du schaffst es - du schaffst es ..." Und die Eule fliegt von Baum zu Baum, sie wartet, wenn sie nicht mehr weiter kann und fliegt wieder weiter, sobald die kleine Moorhexe wieder zu Atem gekommen ist. Und so schleppt die kleine Moorhexe die kranke Prinzessin durch den dunklen Wald, über Felder und Wiesen, zurück zum Schloss, zurück nach Hause.
Kann man die Freude des Königs überhaupt beschreiben, als er sein vermisstes Kind wieder in die Arme schliessen kann? Über sein vor Kummer und Sorge zerfurchtes Gesicht rinnen ganze Bäche von Tränen. Und die kleine Moorhexe erfährt etwas neues über das Geheimnis der Tränen: Nämlich, dass man nicht nur aus Kummer, sondern auch vor Freude weinen kann. Der König drückt die Retterin seines geliebten Kindes so fest an sich, dass danach sein kostbares Gewand voll Schlamm, Blätter und Tannennadeln ist. Bald danach liegt die Prinzessin in ihrem weichen, seidenen Bett. Sie streckt ihre Arme nach der kleinen Moorhexe aus und lächelt ihr entgegen. "Möchtest du nicht bei mir bleiben, für immer," fragt sie leise, "wir könnten zusammen alles mögliche spielen und viel Spass haben. Und wir wären beide nicht mehr allein." Doch die kleine Moorhexe schüttelt den Kopf. "Ach, weißt du, so, wie du bei mir krank geworden bist vor Heimweh, so würde ich krank werden bei dir. Unsere Welten sind einfach zu verschieden, als dass eine von uns in der Welt der anderen leben könnte." Als sie sieht, wie sich das Gesicht der Prinzessin verdüstert, fügt sie hinzu: "Aber wir bleiben Freundinnen. Jetzt kenne ich ja den Weg zum Schloss. Da werde ich dich bestimmt bald besuchen, so oft du es willst." Die Prinzessin seufzt leise - und ist im nächsten Augenblick eingeschlafen.
Auf dem Rückweg ist die kleine Moorhexe sehr, sehr nachdenklich. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie ernst ihre eigene Lage nun ist. Sie hatte ja bisher alle Hände voll zu tun gehabt, ihre Freundin zu retten und keine Zeit gehabt, über irgend etwas nachzudenken. Doch nun taucht die bange Frage auf, wie es mit ihr selbst weitergehen soll. Wieder erinnert sie sich an das finstere Gesicht ihres Vaters und seine schrecklichen Worte. Da werden ihre Füsse auf einmal ganz schwer. Ob der Moorkönig seine Drohung wirklich wahrmachen wird und die eigene Tochter in eine Kröte verwandet? Wer kann das wissen? Die Schritte der kleinen Moorhexe werden langsamer und langsamer. Ja, wohin soll sie denn, wenn nicht nach Hause? Sie findet keine Antwort auf diese Frage. Ohne, dass sie es bemerkt hat, ist sie schliesslich wieder beim Waldsee angekommen. Von hier aus kann sie bereits die dunkle Schilfmauer sehen. Ein sehnsüchtiger Seufzer entringt sich ihrem wehen Herzen. Dann sinkt sie unter einem Baum ins Moos ... und ist gleich darauf tief und fest eingeschlafen. Es ist derselbe Baum, der in der vergangenen Nacht über ihren Schlaf gewacht hat. Auch jetzt rauschen seine Blätter ein sanftes, tröstendes Lied.
Als die kleine Moorhexe Stunden später hochschreckt, ist sie nicht mehr allein. Eine leuchtend blaue Gestalt sitzt neben ihr und schaut sie mit unergründlichem Blick an. Es ist die Wasserfee. Wieder und wieder streicht ihre glitzernde Hand über das Gesicht der kleinen Moorhexe. "Nun, kleine Moorprinzessin, was willst du als nächstes tun?" fragt sie. "Wenn ich das nur wüsste," seufzt die kleine Moorhexe, "ich habe Angst, nach Hause zu gehen. Mein Vater ist bestimmt noch immer böse auf mich. Vielleicht macht er seine Drohung wirklich wahr und verwandelt mich in eine Kröte." "Ja, das ist gut möglich," meint die Wasserfee nachdenklich, "trotzdem glaube ich nicht, dass dein Vater ewig böse auf dich sein kann. Dazu hat er dich viel zu sehr lieb. Irgendwann wird er dir bestimmt verzeihen." "Das kann aber lange dauern," meint die kleine Moorhexe zweifelnd, "du kennst meinen Vater nicht!" Da lächelt die Wasserfee ein kleines, feines Lächeln. "Du irrst dich, kleine Moorprinzessin. Ich kenne deinen Vater besser, als du dir vorstellen kannst. Glaube mir, er war nicht immer so böse ..." Und als sie die erstaunten Augen der kleinen Moorhexe sieht, fügt sie hinzu: "Natürlich - er wird dir wohl nichts gesagt haben - weißt du, er ist mein Bruder." Im Kopf der kleinen Moorhexe beginnt sich alles zu drehen. In ihrem Hals sitzt plötzlich ein seltsamer Kloss, und ihre Augen werden wieder ganz heiss. "Dann - dann bist du ja meine Tante," stammelt sie schliesslich völlig verwirrt. "So ist es, mein Kind - und mehr als das - ich bin deine Patin. - Gefällt dir das?" Die kleine Moorhexe nickt sprachlos. Da nimmt die Wasserfee ihr Patenkind bei der Hand und steht auf. "Es ist wohl das Beste, wenn du für einige Zeit bei mir bleibst, bis du wieder heim gehen kannst. Komm jetzt - und vertrau mir, es wird alles gut." Widerstandslos folgt die kleine Moorhexe ihrer Patin. Bevor die beiden in die Tiefe des Waldsees tauchen, drehen sie sich noch einmal um und schauen zur Schilfmauer hinüber. Die Wasserfee streicht der kleinen Moorhexe über das wirre, grüne Haar. "Sei nicht allzu traurig, mein Kind," flüstert sie, "insgeheim habe ich immer gehofft und gewartet, dass du eines Tages den Weg zu mir finden würdest. Ich bin nie glücklich gewesen über die Feindschaft zwischen meinem Bruder und mir. Jetzt, wo du da bist, gibt es vielleicht ein Mittel, das uns allen den Frieden zurück bringt." Auf den fragenden Blick der kleinen Moorhexe fährt sie fort: "Es gibt ein Lied, ein ganz besonderes Lied. Dieses Lied kann das härteste und verstockteste Herz öffnen, besonders, wenn ein Kind es für seinen Vater singt. Ich werde dich dieses Lied lehren. Es wird über die Schilfmauer hinweg tönen, bis in den hintersten Winkel des Moorreiches hinein. Und es wird auch das Herz deines Vaters wieder öffnen."
Doch bevor die kleine Moorhexe das Lied singen kann, muss sie zuerst überhaupt singen lernen. Moorleute können nämlich normalerweise weder weinen noch singen. Doch das Weinen hat die kleine Moorhexe ja bereits gelernt. Also wird es ihr auch gelingen, die merkwürdigen Töne, die jetzt noch aus ihrer Kehle purzeln, zu einem Lied werden zu lassen. Und sie übt fleissig. Jeden Tag. Stundenlang. Damit sie bald wieder heimgehen kann zu ihrem Papa. Und dann wird es ein grosses Fest geben im Moorreich. Und sie wird nicht nur ihre Patin, die Wasserfee, sondern auch ihre Freundin, die Prinzessin einladen. Dann werden sich die Wasserfee und der Moorkönig wieder versöhnen und es wird endlich wieder Friede sein zwischen dem Wasserreich und dem Moorreich. Und alles, alles wird wieder gut.
Aber das ist eine andere Geschichte ...
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