Etwa eine Tagesreise von Torquilstone entfernt, suchte Isaak von York ein Nachtquartier bei seinem Freund, dem Rabbiner Nathan Ben Israel.
Lucas de Beaumanoir
Als er am nächsten Morgen die restlichen vier Stunden bis Templestowe zurücklegen wollte, warnte ihn sein Freund.
"Weißt du denn, Isaak, dass Lucas de Beaumanoir, der Großmeister des Templerordens, in Templestowe ist? Er ist ein grausamer Tyrann gegen unser Volk. Du solltest dort nicht hinreisen."
Nun erzählte Isaak, was der Grund für seine Reise war und der Rabbi hörte aufmerksam zu. "Dann geh", sagte der Rabbi, "und sei klug. Klugheit rettete auch Daniel aus der Höhle der Löwen. Gehe dem Großmeister aus dem Weg, denn Juden zu misshandeln, bereitet ihm großes Vergnügen."
Isaak verabschiedete sich und setzte seine Reise fort.
Das Ordenshaus der Templer war umgeben von Wiesen und Weideland. Die Anlage war gut befestigt und zwei schwarz gekleidete Wachen befanden sich an der Zugbrücke, während andere die Wälle auf und ab schritten.
Isaak hielt am Tor und überlegte, wie er am besten auftreten solle. Von Nathan wusste er, dass unter dem Großmeister strenge Ordensdisziplin anstelle von ausschweifender Zügellosigkeit getreten war. Wurde er zuvor wegen seines Reichtums gehasst, so war es jetzt sein jüdischer Glaube, wegen dem er unterdrückt wurde.
Lucas de Beaumanoir ging in einem kleinen Garten umher und unterhielt sich mit einem Ordensbruder. Der Großmeister war ein Mann in vorgerücktem Alter. Seine finsteren Gesichtszüge ließen den gefürchteten Krieger erkennen, seine magere, große Statur den strengen Asketen. Auf seinem weißen Mantel befand sich an der linken Schulter das Ordenskreuz aus rotem Tuch.
Der Mann neben ihm, war der Vorsteher des Ordnenshauses und Beaumanoir klagte ihm sein Leid. Seit er aus Palästina zurück war, musste er miterleben wie ausschweifend und zügellos die Templer in England hausten. Sie schmückten sich mit prunkvollen Kleidern, deckten sich die Tafel mit exotischen Speisen und vertrieben sich die Zeit mit Frauen.
"Conrad, mein Bruder - ich werde den Orden reinigen! Es ist meine Aufgabe."
In diesem Augenblick trat ein Novize des Ordens in den Garten, verbeugte sich demütig vor dem Großmeister und meldete einen Juden, der Bruder Brian de Bois-Guilbert zu sprechen wünschte.
"Gut, mein Sohn, dass du mich informierst. Solange ich hier bin, ist der Vorsteher nur ein gewöhnlicher Bruder. Es liegt mir viel daran, besonders über Bois-Guilbert Bescheid zu wissen."
"Er ist als tapfer und mutig bekannt", erwiderte Conrad Mont Fitchet.
Der Großmeister zweifelte nicht an der Tapferkeit des Templers. Jedoch war er überzeugt, dass er sich nicht an die Regeln des Ordens hielt. Er befahl dem Novizen den Juden hereinzuführen.
Isaak näherte sich unterwürfig und demütig dem Großmeister. Drei Schritte vor dem Templer warf er sich auf den Boden und küsste die Erde, dann erhob er sich und blickte nach unten.
"Höre, Jude! Unser Gelübde verbietet, Zeit und Wort zu verschwenden, und mit einem Juden zu reden, ist unserem Stand nicht angemessen. Darum fass dich kurz in deinen Antworten, und sprich die Wahrheit; sonst lasse ich dir die Zunge aus dem Hals reißen."
Isaak wollte etwas sagen, aber Beaumanoir fuhr fort: "Schweig! Du hast nur zu antworten, wenn ich dich frage. Was willst du von Brian de Bois-Guilbert?"
Vor Schreck und Angst konnte Isaak kaum atmen. Der Großmeister bemerkte seine Todesangst und beruhigte ihn, dass er nichts zu befürchten hätte, so lange er bei der Wahrheit blieb.
"Ich überbringe einen Brief an diesen edlen Ritter, von Prior Aymer aus der Abtei Jorvaulx", stammelte er.
"Was sind das für Zeiten, Conrad. Ein Zisterziensermönch schickt eine Botschaft an einen Templer und findet keinen besseren Boten als einen Juden! - Gib mir den Brief!"
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Zitternd übergab Isaak das Schreiben. Prior Aymer erklärte darin, dass er von Geächteten gefangen gehalten wurde. Dort habe er erfahren, dass Brian mit der schönen Jüdin entkommen sei. Er wolle ihn warnen, weil er gehört hatte, dass der Großmeister auf dem Weg zum Ordenhaus sei und dieser dem Treiben ein jähres Ende setzen würde. Brian solle das Lösegeld nehmen, das der Jude für seine Tochter zahlen wolle. Damit könne er sich fünfzig Mädchen kaufen.
Der Großmeister war sprachlos. Nach einer kurzen Stille fragte er den Juden: "Deine Tochter übt die Heilkunst aus?"
"Ja, ehrwürdiger Vater", stammelte Isaak, "und welches Lösegeld Ihr auch immer…."
"Schweig! Deiner Tochter soll es so ergehen, wie allen Hexen. Sie wird auf dem Scheiterhaufen verbrennen und ihre Asche in alle vier Winde verstreut werden."
Der arme Isaak wurde davongejagt und alle seine Bitten blieben ungehört. Er konnte nichts tun, als zum Haus des Rabbiners zurückzukehren und versuchen, durch ihn zu erfahren, was mit seiner Tochter geschehen sollte. Bis dahin hatte er sich um ihre Ehre gesorgt, jetzt zitterte er um ihr Leben.