Auf Zehenspitzen schlichen wir durch den Garten der Witwe. Als wir gerade an der Küche vorbeikamen, stolperte ich über eine Wurzel und machte Lärm. Wir warfen uns hin und blieben still liegen. Jim, der große Neger von Mrs. Watson, saß in der Küchentür. Er fuhr in die Höhe und sagte: "Wer da?" Dann horchte er wieder. Er stellte sich direkt zwischen uns; wir hätten ihn fast berühren können. Eine ganze Ewigkeit mussten wir so verharren.
Am Knöchel juckte mich was; aber ich traute mich nicht zu kratzen. So fingen auch mein Ohr und mein Rücken an zu jucken. Überhaupt juckte es mich bald überall. Wie es eben häufig vorkommt, wenn man sich nicht kratzen darf - bei vornehmen Leuten oder bei einem Begräbnis. Ich glaubte, ich würde bald sterben, wenn ich mich nicht gleich kratzen könnte.
Leider gab Jim nicht auf und setzte sich auf die Erde. Grad zwischen mich und Tom. Er lehnte mit dem Rücken gegen einen Baum und streckte seine Füße von sich. Fast hätte er mein Bein berührt. Mich juckte es überall, selbst in den Nasenlöchern. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich ruhig halten sollte. Als ich glaubte, ich könnte es keine Sekunde länger aushalten, fing Jim an tief zu atmen, ja sogar zu schnarchen. Da war mir schlagartig wieder sauwohl.
Tom schnalzte leise mit der Zunge und wir krochen auf Händen und Füßen fort. Als wir ungefähr zehn Meter weit weg waren, überlegte Tom, ob wir Jim nicht an den Baum binden sollten. Aber ich wollte das nicht, denn wenn er aufwachen und Lärm machen würde, dann würden alle merken, dass ich nicht mehr im Haus war.
Daraufhin fiel Tom ein, dass wir unbedingt noch Kerzen bräuchten. Erst wollte ich nicht, ich hatte Angst, aber dann schlichen wir zurück in die Küche, Tom erwischte drei Kerzen und legte fünf Cent auf den Tisch als Bezahlung. Bevor wir weiter schlichen, ging er nochmals zu Jim und neckte ihn ein bisschen. Zum Schluss nahm er ihm den Hut vom Kopf und hängte ihn auf den Ast direkt über ihm. Jim rührte sich kein bisschen.
Dann schlichen wir auf dem Pfad weiter, den Gartenzaun entlang und kamen schließlich auf der Spitze des steilen Hügels auf der anderen Seite vom Haus raus.
Jim erzählte später, dass Hexen ihn verzaubert hätten und dann wären sie durchs ganze Land geritten, hätten ihn schließlich wieder unter den Baum gesetzt und seinen Hut an den Ast gehängt. Jedes Mal wenn er die Geschichte erzählte, erfand er neue Details dazu. Aus der ganzen Umgebung kamen Neger, um Jim von seinem Erlebnis erzählen zu hören. Seitdem war er angesehener im Land als die anderen. Mit der Zeit wurde er so berühmt unter den Negern des Landes, dass er zu verdorben war, weiterhin noch als Diener zu arbeiten.
Als Tom und ich auf der Hügelspitze standen, schauten wir runter in die dunkle Stadt. Die Sterne glänzten über uns und unten war der Fluss, eine ganze Meile breit, still und großartig. Wir gingen den Hügel runter und trafen uns mit Joe Harper, Ben Rogers und noch einigen Burschen in dem alten Färberhof. Dann ließen wir uns auf dem Kahn den Fluss runter treiben. Dort krochen wir durch dichtes Gebüsch und Tom zeigte ihnen dann eine Höhle im Berg; grad da, wo das Gebüsch am dichtesten war. Er ließ alle schwören, das Geheimnis zu bewahren und wir zündeten die Kerzen an.
Mehr als zweihundert Meter krochen wir in die Höhle hinein; durch Gänge, wo keiner ein Loch vermutet haben würde. Endlich hielten wir in einem Raum, der ganz dunstig und feucht war. Tom sagte: "Nun wollen wir eine Räuberbande bilden, die Tom Sawyers Bande! Und jeder muss einen Eid schwören und seinen Namen mit Blut schreiben!"
Natürlich wollten alle in die Bande aufgenommen werden. So zog Tom den Fetzen Papier heraus, auf den er den Eid geschrieben hatte. Er las ihn vor und jeder musste schwören, zur Bande zu halten, keine Geheimnisse zu verraten, sich gegenseitig zu beschützen, und noch viele ehrenwerte Anweisungen. Bei nicht Einhalten musste dem Bandenmitglied die Kehle durchgeschnitten werden, die Leiche verbrannt, die Asche zerstreut und sein Name aus der Blutliste gestrichen werden. Alle hielten den Eid für famos. Tom hatte einiges selbst ausgedacht und den Rest aus Piraten- und Räuberbüchern herausgelesen.
Einige meinten, dass bei nicht Einhalten des Eids auch die Familien des schwatzenden Burschen getötet werden sollte. Tom nahm einen Bleistift und schrieb diesen guten Gedanken noch dazu. Doch Ben Rogers fiel ein, dass Huckleberry ja gar keine Familie hätte. Einen Vater hatte er zwar noch, aber den hatte man seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen.
Sie sprachen eine Weile darüber und wollten mich sogar aus der Bande ausschließen, weil ich keine Familie hätte. Doch plötzlich fiel mir ein Ausweg ein: "Die Miss Watson, die könntet ihr doch umbringen!"
Da waren alle einverstanden. Mit einer Stecknadel piekten sie sich in den Finger und unterzeichneten mit dem Blut aufs Papier. Auch ich machte mein Zeichen.
Erst dann überlegten wir, was so eine Bande denn eigentlich zu tun hätte. Tom sagte: "Na rauben und morden muss eine Bande!" Und so beschlossen sie, Wegelagerer zu werden, die Postkutschen und Reisewagen überfallen würden. Sie würden sich Masken aufsetzen, die Männer töten und ihnen Uhren und Geld fortnehmen.
Vielleicht würden sie auch mal eine Geisel nehmen und in der Höhle festhalten, bis sie ausgelöst würde. Genau so, wie es in Büchern beschrieben war. Und dann würden sie Wache schieben und schießen, sobald einer von ihnen nur einen Fuß bewegte.
"Sag, wollen wir die Weiber auch umbringen?", fragte Ben Rogers.
"Mensch, Ben. Bist du dumm. Die Frauen umbringen? Das hat noch in keinem Buch gestanden. Die schleppt man in eine Höhle und behandelt sie höflich und ritterlich. Dann verlieben sie sich in uns und wollen gar nicht mehr fort!", entgegnete Tom.
Zwar hatten die anderen nun Angst, dass sie bald die Höhle voll hätten mit Weibern, aber sie fügten sich dem Reglement ihres Anführers Tom.
Inzwischen war der kleine Tommy Barnes eingeschlafen. Als sie ihn aufweckten, schrie er vor Angst und wollte heim zu seiner Mama. Da machten sich alle über ihn lustig, bis er wütend drohte, er würde alle Geheimnisse verraten. Da gab Tom ihm fünf Cent, damit er den Mund hielt. Dann sagte er: "Wir sollten alle heimgehen und uns nächste Woche treffen, ein bisschen rauben und ein paar Kerle tot machen!"
Zum Schluss wählten wir Tom Sawyer zum Hauptmann und Joe Harper zu seinem Stellvertreter. Wir setzten einen Tag fest, an dem alle kommen konnten. Nur nicht am Sonntag, denn das fanden alle gottlos. Damit war die Sache abgemacht und wir gingen nach Hause.
Übers Scheunendach kletterte ich wieder durchs Fenster. Meine neuen Kleider waren ganz schmierig und ich war hundemüde.