Ab jetzt schildere ich den Gang der Ereignisse, indem ich meine Briefe, die ich an Mr. Holmes geschrieben habe, abschreibe. Diese Schriftstücke geben meine Gefühle und Erkenntnisse besser wieder, als ich es je aus der Erinnerung heraus könnte.
Baskerville Hall, den 13. Oktober
Mein lieber Holmes,
je länger ich hier bin, desto mehr verfalle ich dem Zauber des Moors und seiner finsteren Anziehungskraft. Hier wird man sich stets der Heimstätten und des Vorhandenseins prähistorischer Menschen bewusst. Der Geist des Moors ist allgegenwärtig.
Über die letzten Tage gab es nicht viel zu berichten, doch nun ereignete sich etwas sehr Überraschendes. Doch zuerst muss ich Ihnen noch andere Begebenheiten mitteilen. Eine davon ist der entlaufene Sträfling auf dem Moor. Wahrscheinlich hat er die Region verlassen, worüber die Bauern dieses Landstrichs mehr als beruhigt sind. Seit seiner Flucht sind zwei Wochen vergangen und es ist beinahe unmöglich, dass er sich die ganze Zeit im Moor aufgehalten hat. Trotz der guten Chancen, sich zu verstecken, könnte sich hier kein Mensch beköstigen. Daher vermuten wir, dass er endgültig das Weite gesucht hat und die Bauern schlafen wieder ruhiger.
Wir auf Baskerville Hall brauchten nichts zu befürchten, da wir vier Männer sind im Haus. Doch manchmal machte ich mir um die Stapletons nicht geringe Sorgen. In ihrem Hause wohnen nur Schwester, Bruder, ein Hausmädchen und ein älterer Diener. Da Mr. Stapleton nicht besonders kräftig ist, wären sie alle in den Händen dieses Sträflings verloren gewesen. Sir Henry war derart beunruhigt, dass er ihnen sogar Perkins, den Reitknecht, zum Schutz schicken wollte. Doch Stapleton lehnte ab.
Tatsächlich hat unser Freund, Sir Henry, ein wachsendes Interesse an unserer hübschen Nachbarin. Sie hat aber auch ein freundliches, bezauberndes Wesen - ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder. Seine Augen haben einen so harten Glanz und seine fest aufeinander gepressten Lippen zeigen mir, dass er recht rau sein kann. Hoffentlich ist er immer gut zu ihr.
Stapleton kam übrigens noch am ersten Tag zu uns und führte uns am nächsten Morgen zu dem Punkt, von dem die Legende des grausamen Hugo ausgehen soll. Der Ausflug führte uns mehrere Meilen über das Moor, an einen derart trostlosen Ort, dass man den Ursprung der Geschichte begreift. Sir Henry zeigte sehr großes Interesse. Mehrmals fragte er Stapleton mit großem Ernst, ob er wirklich glauben könne, dass es eine Vermischung übernatürlicher Mächte mit menschlichen Angelegenheiten gäbe.
Stapleton antwortete vorsichtig, aber er hielt augenscheinlich etwas zurück und sprach damit seine wirkliche Meinung nicht aus. Er erzählte lediglich von ähnlichen Fällen und hinterließ den Eindruck, dass er die Meinung der Allgemeinheit teilte.
Das Mittagessen nahmen wir in Merripit House ein, wo Sir Henry die Bekanntschaft von Miss Stapleton machte. Er war sofort von ihrem Wesen fasziniert und es war kaum zu übersehen, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Seitdem schwärmt unser Freund ständig von ihr und es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht mit den Geschwistern zusammentreffen.
Nur Stapleton scheint von dem Verlauf der Dinge nicht angetan; obwohl er sich über eine solche Heirat doch freuen sollte, begegnete er uns mehr als einmal mit verärgertem, abweisendem Gesichtsausdruck. Jedoch, vielleicht hängt er lediglich sehr an ihr. Außerdem muss ich Ihnen mitteilen, dass es kaum möglich sein wird, Sir Henry von nun an nicht mehr aus den Augen zu verlieren, wenn sich aus dieser Bekanntschaft Liebe entwickeln sollte. Dann nämlich wäre meine Beliebtheit schnell beim Teufel.
Letzten Donnerstag speiste Dr. Mortimer bei uns und unterhielt uns mit seinem neuesten prähistorischen Fund. Später kamen die Stapletons dazu und der Doktor führte uns in die Eibenallee. Sir Henry wollte genau wissen, was sich in jener finsteren Nacht zugetragen hatte, in der Sir Charles zu Tode kam. Die Allee ist ein trübseliger Weg zwischen zwei grünen Eibenwänden. Ungefähr in der Mitte der langen Strecke ist das Tor, bei dem der alte Sir Charles gestanden hatte und die Zigarrenasche zu Boden fallen ließ. Jenseits davon liegt das Moor.
Ich versuchte mir vorzustellen, was genau passiert sein könnte. Vielleicht war der alte Mann am Tor gestanden, hat vom Moor her etwas auf sich zukommen sehen, etwas sehr Grauenvolles … er bekam Angst, lief vor Entsetzen in die andere Richtung davon, bis er tot zu Boden fiel. Aber wovor könnte er geflüchtet sein? Vor einem Schäferhund oder vor einem gespenstisch schwarzen Monsterhund ungeheuerlichen Ausmaßes? Alles war verwischt, aber ich spürte die dunklen Schatten eines Vergehens.
Seit meinem letzten Brief an Sie habe ich einen anderen Nachbarn kennen gelernt. Einen Mr. Frankland von Lafter Hall, dessen Haus ungefähr vier Meilen südlich von uns steht. Ein rotwangiger älterer Herr mit weißem Haar und cholerischem Verhalten. Er liebt das englische Gesetz und hat mit seinen Prozessen inzwischen ein Vermögen verloren. Aber abgesehen von seiner Nörgelei scheint er ein harmloser Zeitgenosse.
Da ich nun über alles und jeden hier berichtet habe, möchte ich mit dem Allerwichtigsten schließen - mit den Barrymores. Letzte Nacht hatte ich es mit einem außergewöhnlichen Geschehnis zu tun. Mrs. Barrymore interessiert mich außerordentlich. Sie ist ein wenig erregbarer Mensch und trotzdem habe ich sie damals bitterlich weinen hören; auch habe ich öfter Tränenspuren in ihrem Gesicht gesehen. Sie scheint von einem tiefen Kummer aufgewühlt, sodass ich mich frage, ob Barrymore ein Haustyrann ist oder ob sie von Schuld geplagt wird.
Mein Schlaf ist hier im Hause nicht sehr tief und in der vergangenen Nacht, so gegen zwei Uhr, schlich sich jemand an meinem Zimmer vorbei. Ich erwachte und sah leise nach. Der lange Schatten eines Mannes, der, eine Kerze haltend, den Gang hinunterschlich. Er trug Hemd und Hose und war barfuß. Den Umrissen und der Größe nach handelte es sich bei dem Schatten um Barrymore. Ich wartete, bis er außer Sichtweite war, und folgte ihm. Am Ende des Ganges betrat er ein Zimmer. Ich schlich ihm nach und lugte durch die geöffnete Tür.
Barrymore saß zusammengekauert auf dem Fenstersims und hielt die Kerze gegen das Fenster. Sein Blick schien vor Erwartung gespannt. Nachdem er einige Minuten lang hinausgeblickt hatte, seufzte er tief und blies die Kerze aus. Ich eilte in mein Zimmer und eine Weile später hörte ich die verstohlenen Schritte wieder an meiner Tür vorbeischleichen. Viel später, ich war beinahe wieder eingeschlafen, hörte ich, wie sich irgendwo im Haus ein Schlüssel im Schloss drehte. Leider konnte ich nicht ausmachen, woher genau dieser Klang kam.
Auf jeden Fall geht in diesem Haus etwas nicht mit rechten Dingen zu, ein Geheimnis, das wir früher oder später entschlüsseln müssen. Heute Morgen habe ich mit Sir Henry darüber gesprochen und wir haben für die kommende Nacht einen Schlachtplan entwickelt. So dürfte mein nächster Bericht für Sie interessant werden.