Passepartout und sein Herr reisten im selben Abteil. Ein dritter Fahrgast saß ihnen gegenüber auf einem der Fensterplätze. Es war der Brigadegeneral Sir Francis Cromarty, der auf der Schiffsreise zu Mr. Foggs Whist-Partnern gehört hatte.
Der General war groß, blond und mochte etwa 50 Jahre alt sein. Mit Ausnahme einiger Aufenthalte im Mutterland, war er seit seiner frühen Jugend nicht aus Indien herausgekommen. Kein Wunder, dass er sich in den Sitten und Gebräuchen dieses Landes bestens auskannte.
Phileas Fogg hätte von diesem Herrn viel Wissenswertes erfahren können, doch er zog es vor zu schweigen und überschlug im Geist die Stundenzahl, die ihn die Reise bisher gekostet hatte. Wäre er nicht so sparsam mit seinen Bewegungen gewesen, hätte er sich zufrieden die Hände reiben können.
Seit der General von der merkwürdigen Wette des Mr. Fogg gehört hatte, fragte er sich, was dieser verschrobene Engländer für ein Mensch war.
Die Zugfahrt führte die Reisenden vorbei an hohen Gipfeln und dichten Laubwäldern. Eine richtige Unterhaltung wollte zwischen den Herren nicht aufkommen. Daher war der General froh, als ihm ein neues Gesprächsthema einfiel: "Noch vor wenigen Jahren wäre Ihr Reiseplan an dieser Stelle gescheitert, Mister Fogg."
"Und warum, Sir Francis?"
"Die Eisenbahnlinie reichte damals nur bis zum Fuß des Gebirges. Dann ging es im Tragsessel oder auf dem Ponyrücken weiter bis hinüber nach Kandallah."
"So eine Verzögerung wäre nicht das Schlimmste. Bei der Aufstellung meines Planes habe ich solche Zeitverluste einkalkuliert", antwortete Phileas Fogg.
"Immerhin hätte Ihnen das Abenteuer Ihres Dieners erhebliche Unannehmlichkeiten bereiten können."
Passepartout hatte die Füße in seine Reisedecke gewickelt und schlief. Er ahnte nicht, dass von ihm die Rede war.
"Die englische Regierung bestraft solche Delikte sehr streng", begann Sir Francis Cromarty noch einmal. "Wir sind der Meinung, dass die religiösen Bräuche der Hindus unbedingt respektiert werden müssen. Wenn man Ihren Diener erwischt hätte…"
"… dann wäre er eben ins Gefängnis gegangen und nach Verbüßung der Strafe nach Europa zurückgefahren. Mich selbst hätte der Zwischenfall nicht aufhalten können."
Damit war das Gespräch wieder einmal erschöpft. In der Nacht kletterte der Zug hinauf ins Gebirge und am nächsten Tag, dem 21. Oktober, wieder hinunter in die fruchtbaren Ebenen. Der Dampf ringelte sich in Spiralen um hohe Palmen, zwischen den malerischen Hütten.
Als um 12 Uhr 30 Minuten in der Station von Burhanpur ein Stopp eingelegt wurde, nutzte Passepartout die Gelegenheit um ein Paar Pantoffeln zu kaufen. Der Preis war viel zu hoch, aber sie waren mit Perlen verziert. Passepartout betrachtete sie stolz.
Nach einer kleinen Mahlzeit ging die Fahrt weiter. Während die Zugreise andauerte, vollzog sich in Passepartout ein erstaunlicher Sinneswandel. Bis zur Ankunft in Bombay hatte er noch gehofft, dass der Spuk bald vorüber wäre. Doch seitdem er mit Volldampf über den indischen Kontinent ratterte, sah er die Reise in einem neuen Licht. Der Unternehmergeist seiner Jugendjahre wurde wiedererweckt, und er begann, die Pläne seines Herrn ernst zu nehmen.
Er dachte voller Unruhe daran, welche Hindernisse ihnen noch begegnen könnten. Immer wieder zählte er die Tage und schimpfte bei jedem Aufenthalt an den Bahnhöfen.
Am nächsten Tag, dem 22. Oktober erwähnte Sir Francis Cromarty einmal beiläufig die Uhrzeit. Passepartout warf einen Blick auf sein Erbstück. "Genau 3 Uhr früh", verkündete er. Das kostbare Stück war immer noch nach der Ortszeit von Greenwich, London eingestellt und ging um fünf Stunden nach.
Sir Francis berichtigte Passepartouts Zeitangabe und versuchte, wie bereits Mr. Fix in Suez, die Zusammenhänge zu erklären. Er wollte dem Franzosen begreiflich machen, dass er seine Uhr auf jedem Meridian, also Längengrad, neu stellen müsse, denn man reiste in östlicher Richtung, also der Sonne entgegen. Mit jedem Längengrad wurde der Tag 4 Minuten kürzer. Vergebens! Der dickköpfige Bursche behielt die Londoner Zeit bei.
Um 8 Uhr früh, etwa fünfzehn Meilen vor der Station Rothal, hielt der Zug auf einer weiten Lichtung. Der Zugführer rief: "Alles aussteigen! Der Zug endet hier!"
Phileas Fogg sah den General fragend an, aber auch der wusste nicht, was der Halt zu bedeuten hatte. Passepartout rannte hinaus, den Zug entlang und kam augenblicklich zurück: "Mister Fogg, es gibt keine Eisenbahn mehr!", schrie er. "Die Bahnlinie endet hier!"
Jetzt stieg auch Sir Francis und Mr. Fogg aus und wendeten sich an den Zugführer: "Wo sind wir hier", fragte Sir Francis Cromarty.
"In der Siedlung Kholby."
"Und weshalb halten wir?"
"Die Eisenbahnlinie ist noch nicht fertig. Auf den nächsten 50 Meilen bis Allahabad fehlen noch die Schienen. Von dort ab ist die Strecke vollständig."
"Aber die Zeitungen haben doch von der Eröffnung der gesamten Bahnlinie berichtet", warf Sir Francis wütend ein. "Wie können Sie denn dann Fahrkarten von Bombay nach Kalkutta verkaufen?"
"Die Reisenden wissen doch alle, dass sie sich selbst irgendwie über die Strecke von Kholby nach Allahabad helfen müssen."
Der Einzige, der ruhig blieb, war Phileas Fogg: "Sir Francis, wenn Sie nichts dagegen haben, werden wir uns jetzt um ein Transportmittel nach Allahabad bemühen."
"Und was wird aus Ihrem Reiseplan, Mister Fogg?"
"Die Verzögerung war einkalkuliert, Sir Francis."
"Wie? Sie wussten, dass die Bahnlinie…?"
"Ich wusste gar nichts, musste aber früher oder später mit einem Hindernis rechnen. Noch ist nichts verloren. Ich habe zwei Tage Vorsprung, die ich notfalls opfern kann. Der Dampfer nach Hongkong geht am 25. in Kalkutta ab. Heute ist er der 22., ich habe also Zeit."
Darauf konnte niemand etwas erwidern und so machten sie sich auf die Suche, nach einem geeigneten Transportmittel. Doch sie kamen zu spät; alles war bereits vergeben.
"Ich gehe zu Fuß", verkündete Mr. Fogg.
Passepartout sah an sich hinunter, seine wunderschönen Pantöffelchen waren für einen langen Fußmarsch völlig ungeeignet. Glücklicherweise konnte er einen Gegenvorschlag machen, denn er war allein auf Entdeckungstour gegangen: "Gnädiger Herr, ich wüsste schon, womit wir weiterreisen können."
"Und das wäre…?"
"Ein Elefant. Er gehört einem Inder, der gar nicht weit von hier wohnt."
Fünf Minuten später standen die Männer vor einer Hütte. Hinter einer Palisadenwand befand sich der Elefant. Kiuni - so wurde das Tier genannt - konnte lange Strecken in zügigem Tempo zurücklegen. Mr. Fogg hatte keine Wahl, er musste sich mit dem Elefanten abfinden.
So begann Mr. Fogg seine Verhandlungen mit dem Besitzer. Er war bereit das Tier für 10 Pfund pro Stunde zu mieten. Nein. Für 20 Pfund? Niemals. Für 40 Pfund? Überhaupt nicht.
Phileas Fogg blieb ruhig und bot an Kiuni für 1000 Pfund zu kaufen. Der Handel ging weiter und bei 2000 Pfund ergab sich der Inder.
"Bei meinen Pantoffeln", schrie Passepartout, "das nenne ich teures Elefantenfleisch."
Der Handel war perfekt. Jetzt brauchten sie nur noch einen Elefantentreiber. Ein junger Parse bot sich an, dem Mr. Fogg einen reichlichen Lohn anbot. Der Parse verstand das Handwerk des Elefantentreibers oder "Mahaut" genannt, ausgezeichnet. Er warf dem Tier eine Schabracke über den Rücken und befestigte an seinen Flanken Tragstühle, die sehr unbequem aussahen.
Phileas Fogg lud den Brigadegeneral ein, mit ihm zusammen nach Allahabad zu reiten. So kaufte die Reisegesellschaft noch etwas Proviant ein, und die beiden Gentlemen nahmen Platz in den Tragstühlen. Passepartout thronte rittlings, zwischen seinem Herrn und dem General, auf dem Rücken des Elefanten und der Parse hockte im Genick des Tieres.
Um 9 Uhr war es soweit: Sie verließen Kholby und verschwanden bald im dichten Fächerpalmenwald.