Sie verlassen ihr vertrautes Leben und setzen alles auf eine unbekannte Karte. TV-Reportagen, die Auswanderer bei ihren ersten Schritten begleiten, kommen bei den Zuschauern gut an – besonders weil sie unterhaltsam sind.
Ein Deutscher steht vor dem absoluten Neubeginn in der Fremde – das ist der Inhalt jeder Folge der TV-Sendung "Mein neues Leben (XXL)". Seit einiger Zeit laufen regelmäßig Dokumentationen auf den Privatsendern, die Deutsche auf ihrem Weg zu einer neuen Existenz im Ausland begleiten. Sie heißen "Goodbye Deutschland" oder "Umzug in ein neues Leben" und sie alle begleiten Deutsche, die ihrer Heimat den Rücken kehren, für immer, vorerst.
Die Gründe für eine Auswanderung sind bei jedem anders. Aber viele haben gemeinsam, dass sie unvorbereitet und naiv in ihr Abenteuer aufbrechen. Genau diese Ahnungslosigkeit bildet das Fundament der Sendungen. Allerdings wollen die Produzenten der Shows den Eindruck vermeiden, man profitiere von gescheiterten Auswanderern. Vielmehr wolle man einen Querschnitt der deutschen Auswanderer zeigen. Bei der Auswahl der Protagonisten komme es vor allem auf "eine gute Mischung an, auf exotische Ziele und eine spannende Geschichte".
Den Sendungen fehlt es nicht an Unterhaltungswert. Alle zwei Minuten fließen Tränen, zum Beispiel wenn die geliebten Pflanzen zu Hause bleiben müssen, die Kinder unerwartet tapfer sind oder einfach wenn der große Abschied kommt. Die Zuschauer honorieren das. Die kleinen Episoden der modernen Abenteurer schauen durchschnittlich eine Million Zuschauer, die mitfiebern.
Ein gewisser aufklärerischer Inhalt ist in den Reportagen trotzdem enthalten. Denn viele der deutschen Auswanderer scheitern mit ihrem Traum. Viele ziehen allzu blauäugig in die Ferne, ohne Geld, ohne Sprachkenntnisse, ohne sicheren Job und ohne die geringste Vorstellung, was sie in der Fremde erwartet. "Trotzdem steht die Unterhaltung bei diesen Sendungen im Vordergrund", meint die Medienpsychologin Dagmar Unz von der Universität Saarbrücken. Die Zuschauer würden sich zwar fragen "Was würde ich in der Situation machen?" und dadurch hinzulernen, aber die Sendungen seien kein Bildungsfernsehen. Vielmehr bedienten sie das Fernweh der Menschen, die Lust auf Abenteuer, das Fremde.
GLOSSAR
etwas hinter sich lassen – etwas verlassen
alles auf eine Karte setzen – alles riskieren
etwas kommt gut an – etwas ist sehr beliebt
Privatsender, der – hier: ein Fernsehsender, der kein Geld vom Staat bekommt und sich selbst bezahlen muss
Existenz, die – die Lebensgrundlage
jemandem/ etwas den Rücken kehren – sich von jemandem/ etwas abwenden; jemanden/ etwas verlassen
vorerst - vorläufig
aufbrechen – hier: losgehen; weggehen
Fundament, das – die Grundlage; die Basis
Produzent, der – hier: jemand, der eine Sendung herstellt
von etwas profitieren – bei etwas einen Gewinn bekommen
gescheitert – keinen Erfolg haben
Querschnitt, der – eine Auswahl an unterschiedlichen Dingen
Protagonist, der – eine Person in einem Film; hier: die Person, die auswandert
Unterhaltungswert, der – der Umfang an Vergnügen
etwas honorieren – etwas belohnen; danken
mit jemandem mitfiebern – die Entwicklung von jemandem verfolgen; gespannt sein, wie jemand Probleme löst
gewiss – unbestimmbar
aufklärerisch – bildend
blauäugig – umgangssprachlich: naiv
Bildungsfernsehen, das – Sendungen, die Informationen und Wissen vermitteln
Fernweh, das – die Lust, weit wegzugehen