Der Weißkopfseeadler, Wappentier seines Landes, war ein Geschenk von US-Justizminister Robert Kennedy an Willy Brandt, damals Oberbürgermeister und Krisen-Manager von West-Berlin. Das Tier wurde sogar nach ihm benannt. Mit dem Adler ging es bald bergab. Der echte Willy konnte durchstarten. Autorin: Prisca Straub
Den ganzen Tag schon hat Robert Kennedy Hände geschüttelt, Blumensträuße bekommen und Autogramme gegeben. "Freezing cold", saukalt ist es in West-Berlin, so ohne Schal und Hut in einer offenen Limousine. Neben Bobby steht Gastgeber Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin - mit Schal und Hut - und mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn.
Brandt hat große Erwartungen gesetzt in den Besuch des US-amerikanischen Justizministers. Noch lieber wäre ihm zwar JFK gewesen, "the President", aber der kleine Bruder gilt inzwischen als zweitwichtigster Mann in Washington. Und zu besprechen gäbe es viel: Den Berlinern geht so langsam die Luft aus. Seit vergangenem Sommer sind bei Fluchtversuchen an der Mauer etliche Menschen umgekommen. Sowjetische und amerikanische Panzer stehen einander gefechtsbereit gegenüber. Rückenstärkung aus den USA wäre jetzt wirklich angebracht. "Die Lage ist ernst", Herr Präsident, hat Willy Brandt geschrieben. Doch der schickt jetzt erst mal seinen Bruder Bobby, der den Besuch mit einer dreiwöchigen Weltreise verbindet.
Robert Kennedy trifft Willy Brandt in West-Berlin
In West-Berlin erwartet Robert Kennedy ein vollgestopftes Besuchsprogramm. Stadtrundfahrt - mit Brandenburger Tor und Stacheldraht. Am Tag zuvor in Rom ist Ehefrau Ethel vor johlenden Paparazzi mit einer Vespa in ein parkendes Auto gekracht. Und aus dem Weißen Haus erreichen Bobby alarmierende Gerüchte. Pool-Partys. Call-Girls. Wie oft hat er Johnny angefleht, sich bitteschön zusammenzureißen: Die nationale Sicherheit, "for God's sake!" - Auf der Aussichtsplattform, argwöhnisch belauert von den Feldstechern der Ost-Berliner Volkspolizei, lächelt der 36-Jährige alle Zumutungen routiniert hinweg.
Immerhin: Sein Gastgeschenk für Willy Brandt ist pünktlich eingetroffen: Am 21. Februar 1962 ist ein Weißkopfseeadler mit einer US-Frachtmaschine auf dem Tempelhofer Flugfeld gelandet.
Und so lässt Bobby es sich nicht nehmen, selbst mit Hand anzulegen: In einer grob gezimmerten Transportkiste wird der Greifvogel einmal quer durch den Zoologischen Garten geschleppt. In Richtung Freiluftvoliere, begleitet von Tausenden von Schaulustigen. Als Robert die Kiste öffnet, äugt der mächtige Vogel streng in die Runde und verzieht sich ins Geäst. Und jetzt die Krönung des Ganzen: Das stolze Wappentier der USA soll den Namen Willy Brandt tragen. Der Applaus ist ohrenbetäubend. Der Oberbürgermeister verzieht keine Miene. Er hätte gern gewusst, wie es weitergeht mit der Sicherheit von West-Berlin.
Was sich hingegen ziemlich bald herausstellt: Sein gefiederter Namensvetter steht nicht gerade voll im Saft. Der Adler scheint ziemlichen alt zu sein. Die gelben Fänge sind verformt, Willy kann sich kaum aufrecht halten. Das Schlucken bereitet ihm Probleme. Angeblich wird bald ein jüngeres Double angeschafft, um dem echten Willy die Blamage zu ersparen.
Epochales Gastgeschenk: "Ich bin ein Berliner!"
Im Jahr nach Bobbys Besuch kommt dann endlich John F. Kennedy nach Berlin. Mit einem epochalen Gastgeschenk im Gepäck: den unfassbar schlichten und bis heute unvergessenen Satz: "Ish bin ain Bearleener!"