Es ist ein Szenario wie aus einem Katastrophenfilm: Eine Maschine stürzt direkt nach dem Start ab, Rettung ist nahe. Eigentlich. Denn es ist Winter und eiskalt, kaum jemand kann sich das dem havarierten Flieger retten. Und doch wird einer zum Helden, der sein Leben gibt für das etlicher anderer Passagiere. Autorin: Silke Wolfrum
Katastrophen sind schrecklich und es fällt schwer irgendetwas Positives darin zu sehen. Noch dazu, wenn man – wie es viele tun – davon ausgeht, dass der Menschen im Katastrophenfall zum Tier wird, nur noch an sich denkt oder höchstens noch an das Überleben seiner Angehörigen. Und doch gibt es immer wieder Geschehnisse, die genau diese Sichtweise widerlegen. Eines davon ist der Air-Florida-Flug 90.
Selbstlos helfen
Am 13. Januar 1982 wütet in Washington ein Schneesturm. Der Washington Nation Airport muss vorübergehend geschlossen werden, der Flug der Boing 737 verzögert sich. Sie wird enteist, dabei kommt es allerdings zu Fehlern. Als sich der Kapitän der Maschine entschließt, zu starten, klebt immer noch Schnee an den Tragflächen, die Startgeschwindigkeit ist nicht hoch genug, es kommt zum Strömungsabriss. Nach nur rund eineinhalb Kilometern Flug stürzt die 46 Tonnen schwere Maschine auf die viel befahrene Rochambeau Bridge, die über den zugefrorenen Potomac River führt. Das Flugzeug zerbricht und versinkt rund 60 Meter vom Ufer entfernt. An Bord sind 79 Personen.
Wer als Erste oder Erster?
Einer davon ist der Bankangestellte Arland Williams, Vater zweier Kinder. Er ist 46 Jahre alt, geschieden und neu verlobt. Ihm und fünf anderen Passagieren gelingt es die Maschine zu verlassen und sich an ein Rumpfstück zu klammern, das im eiskalten Wasser treibt. Die Überlebenden schreien und winken. Viele sehen sie vom Ufer aus, geschockt, entsetzt, verzweifelt.
Ein Mann, der Vorarbeiter Roger Orion, springt ins Wasser, um zu ihnen zu schwimmen, aber er muss umkehren, das Wasser ist zu kalt. Auch ein Schlauchboot schafft es nicht zu den sechs Menschen, Eisschollen auf dem Fluss versperren den Weg. Wenn nicht bald Rettung kommt, müssen die sechs erfrieren.
Endlich nähert sich ein Helikopter. Der Sanitäter Melvin E. Windsor wirft eine Rettungsleine herab. Der erste Flugpassagier klammert sich daran fest und schwebt zum Ufer. Der Helikopter kehrt zurück, Arland Williams ergreift die Leine und – gibt sie weiter. Er sieht zu, wie der zweite Flugpassagier an Land gebracht wird. Ein drittes Mal kehrt der Helikopter zurück. Diesmal kann der Sanitäter Windsor zwei Rettungsleinen herunterwerfen. Wieder bekommt Arland Willams eine zu fassen und wieder gibt er sie weiter. Nun klammern sich gleich drei Flugpassagiere an den Leinen fest, zwei davon verlieren den Halt, können aber an Land gebracht werden. Am Flugzeugrumpf hängt jetzt nur noch einer: Arland Williams, der Mann, der zwei Mal die rettende Leine an ihm völlig unbekannte Menschen gereicht hat, statt sie selbst zu ergreifen. Als der Helikopter ein letztes Mal zurückkehrt, ist Arland Williams im eiskalten Wasser ertrunken.