Als unerschrockene Pilotin machte die junge Amy Johnson Schlagzeilen und wurde bald zur gefeierten Ikone. Sie drang in eine Männerdomäne ein und zeigte, dass auch Frauen über den Wolken zuhause sind. Wenn schon sterben, dann beim Fliegen – hatte sie sich gewünscht. Autorin: Ulrike Rückert
"Notlandung im Sandsturm!" - "Schrecken im Gebirge!" - "Motorausfall über dem Dschungel!" Noch nie hatte eine Frau einen so weiten, gefährlichen Flug gewagt! Das "Glamour-Girl des Maschinenzeitalters" nannte eine Zeitung Amy Johnson, die berühmteste britische Fliegerin. 1930 machte die Sechsundzwanzigjährige weltweit Schlagzeilen, als sie allein in einer kleinen Kiste mit offenem Cockpit von London nach Australien flog!
Auch Frauen können fliegen!
Es war das Heldenzeitalter der Luftfahrt. An Passagierflüge und Frachtverkehr in großem Stil war noch nicht zu denken, aber immer neue Rekordflüge über immer größere Entfernungen befeuerten Visionen von den Möglichkeiten des Flugzeugs. Die als Superstars gefeierten Pioniere waren erfahrene Berufspiloten, viele mit Luftwaffenausbildung. Amy Johnson besaß erst seit einigen Monaten einen Flugschein und war nie weiter geflogen als die dreihundert Kilometer von London nach Hull.
Sie hatte ihren verhassten Bürojob aufgegeben, um die Fliegerei zum Beruf zu machen. Für eine Frau waren die Aussichten da nahezu gleich Null. Deshalb wollte sie sich mit einer spektakulären Leistung profilieren: den Zeitrekord für den Flug nach Australien zu brechen. "Kann eine Frau das tun?", fragte die Presse in Großbuchstaben.
Sie konnte. Einen neuen Rekord schaffte sie nicht, aber als sie nach neunzehn Tagen heil in Australien landete, wurde sie wie ein Staatsgast empfangen. Ihre Rückkehr nach London trieb eine Million begeisterter Fans auf die Straßen. Mit dem Australienflug katapultierte sich Amy Johnson direkt in die Ruhmeshalle der Fliegerei und in die internationale Schickeria. Sie wurde als Nationalheldin und Ikone der Emanzipation bejubelt.
Frauen drangen überall in männlichen Domänen ein, und niemand verkörperte diesen Aufbruch so wie die Fliegerinnen - technikbegeistert, furchtlos und unabhängig.
Es geht nach oben!
Auch in ihrer Ehe mit dem Piloten Jim Mollison warf Amy Johnson traditionelle Rollenmuster über den Haufen: mal unternahm sie aufsehenerregende Flüge mit ihm gemeinsam, mal allein – nach Tokio und nach Südafrika -, und sie brach einen Rekord ihres eigenen Ehemanns.
Doch die Ehe scheiterte und die Ära der Rekordflüge ging zu Ende. 1939 machte Amy Johnson Passagierflüge für eine Fluggesellschaft. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde die zivile Luftfahrt eingestellt. Wie andere Pilotinnen, wollte sich Amy Johnson zur Luftwaffe melden, doch das Militär lehnte Frauen ab. Man ließ sie nur in einer Hilfsorganisation Überführungsflüge für die Royal Air Force machen.
Am 5. Januar 1941 kam Amy Johnson bei gefrierendem Nebel und einer dichten Wolkendecke weit von ihrem Kurs ab. Die Besatzung eines Kriegsschiffs in der Themsemündung sah sie mit dem Fallschirm abspringen, bevor ihr Flugzeug ins Wasser stürzte. Die Seeleute versuchten vergeblich, sie zu retten. Ihr Leichnam wurde nie gefunden.