Ausgerechnet an einem Tag, an dem im Rhein kaum Wasser war, ging drei Fischern aus Bislich der dickste Fisch ihrer Laufbahn ins Netz: 1,54 Meter lang, 63 Kilo schwer, doch von äußerst unfischlicher Gestalt. Autorin: Christiane Neukirch
Ausgerechnet an einem Tag, an dem es besonders aussichtlos schien, machten drei Lüttinger Lachsfischer den Fang ihres Lebens. An jenem 16. Februar des Jahres 1858 führte der Rhein wenig Wasser – zu wenig, um die Netze auszuwerfen. Doch die drei bestiegen trotzdem ihr Boot; denn sie wollten die Gelegenheit nutzen, Steine beiseite zu räumen, die sonst unter der Wasseroberfläche verborgen blieben, ihnen aber immer wieder die Netze zerrissen. Und da, unter einer Lage Kies, ragte plötzlich ein menschlicher Arm hervor.
Model aus Bronze
Anstatt darüber erschrocken zu sein, packte die Fischer wildes Entzücken, denn sie erkannten sofort: der Arm gehörte nicht zu einer Wasserleiche: er war aus metall! Und an dem Arm hing ein Mensch aus Bronze, genauer gesagt, ein Knabe. Lebensgroß, mit allem Drum und Dran; nur der zweite Arm fehlte.
Was liegt für einen Fischer näher, als mit seiner Beute zu prahlen? Mit ihrem Fund marschierten die drei sogleich zum Haus des Fährmanns in ihrem Heimatort Bislich; dort wurde erstmal für alle – den gefundenen Knaben eingeschlossen – ein Schnaps ausgegeben und dann beraten, was mit dem Fund zu tun sei. Und schon hatte der bronzene Jüngling einen neuen Job: als Model einer Peepshow. Einmal anschauen mit Lendenschurz kostete zehn Pfennig. Lendenschurz lüften: zwanzig.
Diesen zweifelhaften Job übte der Knabe jedoch nicht lange aus, denn bald schon mischte sich die Polizei ein: die Fund-Stelle im Rhein war staatlicher Boden, und so musste der Wert der Statue bestimmt werden. Denn laut Gesetz gehörten 50 Prozent des Werts dem König, die anderen 50 den Fischern.
Ein weitgereister Knabe aus Griechenland
Um diesen Wert zu ermitteln, stellte sich auch die Frage: Woher kam der Weitgereiste? Und wo wollte er hin? Dass der Jüngling im Grunde sehr alt war, ließ sich schnell erahnen.
Nahe dem Fundort lag die Stadt Xanten, die in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine blühende Römermetropole war; ein Schmelztiegel aller möglichen Kulturen und Sprachen, ein Zentrum des Handels, Handwerks und der Vergnügungen.
Der ursprünglich für den Knaben vorgesehene Job war wohl der eines stummen Tablettträgers, der auf Festivitäten reicher Städter Speisen und Getränken präsentieren sollte. Erst 2008 fand man bei einer Röntgenuntersuchung heraus, dass der vermeintlich römische Diener eigentlich aus Griechenland stammt.
Wahrlich dürfte er zu den am weitesten gereisten Vertretern seiner Generation gehören: von Griechenland aus ging es nach Rom, von dort nach Germanien, dann nach seiner 2000 Jahre dauernden Tauchstation im Rhein weiter nach Xanten und Berlin, nach dem Zweiten Weltkrieg folgte 1945 noch ein Abstecher nach Leningrad als Kriegsbeute und 2008 ein Zwischenstopp als Exponat im Xantener Museum, bis ihm zuletzt sein Ruhesitz zugeteilt wurde: im Pergamon-Museum zu Berlin.